Eine Künstlerin mit Sinn für das Witzige
Lore Kienzl aus Fuchstal arbeitet zwei- und dreidimensional mit Stift, Feder, Papier, Keramik und vielen weiteren Utensilien. Bei aller Kunstfreiheit prägt sie auch die klare Logik der Mathematik
Fuchstal Mathematik und Kunst haben Lore Kienzl schon als Schülerin fasziniert. Nach dem Abitur wollte sie ursprünglich eine Kunstakademie besuchen. Doch das kam als Ausbildung in den Augen ihrer Eltern nicht infrage. Also studierte sie in München Mathematik. Heute sagt sie: „Das hat mir für die Kunst enorm viel Klarheit gebracht.“
Die Mathematik habe sie Logik gelehrt, es fasziniere sie, dass die komplizierteste Aufgabenstellung am Ende als Ergebnis in einer ganz kleinen Formel endet. Inspiration für ihre Kunst schöpft Lore Kienzl, die in Fuchstal wohnt und ihr Alter nicht verraten möchte – „Das ist doch nur eine Zahl“– aus den Themen, die sie am meisten beschäftigen: der Mensch „und wie er im Leben steht“sowie Philosophie und Zen.
In ihren Lehrjahren bei Fritz Pfnür in München, dessen Arbeiten sie beeindruckten und prägten, eignete sich die Mathematikerin als wesentlich an: „Man muss sehen können, mit den Augen malen.“Beim Zeichnen gehe es darum, „im Flüchtigen das Charakteristische in ein, zwei Strichen festzuhalten“. So entstand – fast ohne aufs Papier zu schauen – eine Aktstudie an einem Tänzer über drei Blätter, die heute in ihrem Wohnzimmer hängt. Von Fritz Pfnür übernahm die gebürtige Münchnerin die Angewohnheit, immer Stift und Skizzenbuch bei sich zu tragen.
Vier Jahre lang stellte sie ihm wöchentlich eine neue Arbeit vor, die er beurteilte. Als schließlich ihre zweite Tochter geboren wurde, hörten die Atelierbesuche auf. „Er wollte immer etwas Neues sehen, um darüber zu reden“, sagt sie. Es habe die Zeit gefehlt, und die Forderung, zu jedem Treffen etwas Neues mitzubringen, wurde zum Druck. Doch füllten sich im Lauf der Jahrzehnte nach dieser Phase viele Skizzenbücher, die an Ausstellungen, Konzerte, Cafébesuche oder Kuraufenthalte in Sri Lanka erinnern.
In ihnen notiert Kienzl zudem Kontaktdaten oder bemerkenswerte Äußerungen ihrer Gegenüber wie den Satz „Der Unterschied macht den Unterschied“, über den sie beim Zurückblättern immer noch schmunzelt. Musikalische Sessions, Lesungen, Cafébesuche gehen ihr ab – vor allem aber sehnt sie die Öffnung der Kinos herbei, eine ihrer großen Leidenschaften.
Während sie wie zurzeit viel zeichnet oder – wie im Frühjahr 2020 lockdownbedingt – zusammen mit ihrer Schwester in Berchtesgaden per Telefonkontakt dichtet, arbeitet sie im Sommer vorwiegend figürlich. Dann ist sie entweder im Atelier im Keller ihres Hauses oder im Gartenatelier zu finden. Unabhängig von der Technik ist ihr Anliegen, Bewegung einzufangen.
Auch ihre Bronzefiguren, mit schlanken Körpern, ohne Arme, scheinen wie in einer Bewegung eingefangen. In den Skulpturen beschäftigt sie sich zudem mit den unterschiedlichsten Ausprägungen zwischenmenschlicher Beziehungen.
Neben dem Menschen sind seit der großen Flüchtlingswelle Schiffe ein Lieblingsthema der Mathematikerin, die bis zur Pensionierung im Flugzeugbau arbeitete. Mit diesem Motiv könne sie Bewegung und Freiheit zugleich ausdrücken, sagt Kienzl, die Mitglied im Regionalverband bildender Künstler (RBK) ist.
Kurz nach ihrem Umzug ins Fuchstal lernte Lore Kienzl bei einer Ausstellung in der Säulenhalle Josef Lang und Egon Stöckle kennen. Von Letzterem könne sie lernen, fand sie, und steht seit 2000 mit ihm in einer Arbeitsverbindung. „Durch diese Zusammenarbeit bin ich ins Figürliche gekommen“, sagt sie. Vom Bronzeguss ausgehend, gestaltete sie schließlich auch mit Raku, einer besonderen Keramik, für die sie selbst einen Brennofen aus einem alten Ölfass baute.
Lore Kienzl ist Zweite Vorsitzende des Freundeskreises Oswald Malura Museum in Oberdießen. Aufgewachsen mit drei Geschwistern in Fürstenfeldbruck, lebt sie seit 1989 im Fuchstal. Schon der Vater schnitzte und malte neben seinem Beruf als Polizist, und auch seine Tochter betätigte sich neben Schule, Studium und Beruf künstlerisch. Lehrer und Kollegen habe sie ständig karikiert, sagt sie. Auch am Anfang
Skizzenbuch und Stift sind immer dabei
Fantastische Wesen bevölkern die Blätter
ihrer Berufszeit. „Das waren die Anfänge der Digitalisierung, wir haben Lochkarten selbst gelocht“, erinnert sie sich an die Arbeit mit der Frühform der Datenträger bei einem Flugzeugbauer in Ottobrunn.
Der feine Strich ihrer Tuschezeichnungen geht ins Comicartige, fantastische Wesen bevölkern die Blätter. Die Formensprache ist sehr abstrakt, fast ins Skurrile gehend. „Ich mag mehr das Witzige“, lacht sie. Mit wenigen Strichen fängt Lore Kienzl das Wesentliche jedes Lebewesens ein, daraus entstehen Tiger mit eckigem Körper oder menschliche Wesen. Häufig entstehen spontan fiktive Figuren, die bereits zahlreiche Bücher illustrieren.
Einige Skulpturen von Lore Kienzl sind in einem kleinen Fenster in dem dunkelroten Haus in der Schlossergasse zu sehen. Die nächste Ausstellung findet voraussichtlich im Oktober im Thaininger Rochlhaus statt.