Die Anführerin als „lahme Ente“
Europa ist ein warnendes Beispiel
Nicht mal ein Jahr ist es her, dass der US-Sender CNN auf seiner Homepage eine Analyse veröffentlichte, die bestens die Stimmung im liberalen Teil Amerikas traf: „Wie Angela Merkel beim Coronavirus von einer lahmen Ente zur Führerin der Welt wurde“, war der Text betitelt. Die Begeisterung für die nüchterne Naturwissenschaftlerin und ihre geradlinige Politik in der Krise war groß im Land des Poltergeistes Donald Trump. Inzwischen aber würde die Überschrift eher umgekehrt funktionieren. „Bitte, bitte, lassen Sie nicht geschehen, was in Europa passiert ist“, hat der neue Präsident Joe Biden seine Landsleute kürzlich vor dem Versagen des alten Kontinents im Kampf gegen die Pandemie gewarnt. Mit der Kritik ist vor allem Deutschland gemeint. Die Zeiten, in denen Kanzlerin Merkel als Vorbild gegolten habe, seien vorbei, schrieb am Donnerstag die New York Times: „Eine Reihe von widersprüchlichen Entscheidungen (…), die Ankündigung von zentralen Kurswechseln zur späten Stunde und Last-minute-Pressekonferenzen haben ihren Ruf getrübt.“Die Rücknahme der Oster-Ruhetage war nach Beobachtung des Blatts „nur die letzte einer ganzen Serie von chaotischen Aktionen“der Merkel-Regierung. Vor allem der zwischenzeitliche Impfstopp mit dem Vakzin von AstraZeneca ist angesichts der drohenden dritten Infektionswelle auf breites Unverständnis in den USA gestoßen. Dazu kommen bürokratische Hemmnisse. New-York-TimesKorrespondentin Melissa Eddy twitterte nach der jüngsten Kehrtwende beim Oster-Lockdown: „German Ordnung taking a beating these days …“(Die deutsche Ordnung muss in diesen Tagen eine Niederlage einstecken). Das gilt aus amerikanischer Sicht erst recht für die einstmals bewunderte Kanzlerin. Karl Doemens