Landsberger Tagblatt

Mit Bachelor in den Kreißsaal

Hebammen müssen in Zukunft studieren, um den Beruf zu erlernen. In Augsburg wird der neue Bachelor-Studiengan­g im Herbst 2023 starten. Wie kommt das an?

- VON ANDREAS DENGLER

Augsburg Sara Stefke klingt erleichter­t. Gemeinsam mit ihren Kolleginne­n hat sie es wieder geschafft. „Es ist ein Junge“, platzt es aus ihr heraus. Kurz vor dem Gespräch stand sie noch im Kreißsaal und begleitete die Geburt des kleinen Patrick. Die 20-Jährige ist Examenssch­ülerin an der Augsburger Hebammensc­hule. Im Herbst wird sie ihre dreijährig­e Ausbildung abschließe­n.

Wenn Stefke die Schule verlässt, wird dort der letzte Jahrgang die Ausbildung zur Hebamme beginnen. Wer danach den Beruf erlernen will, muss studieren. So sieht es ein Gesetz vor, mit dem Deutschlan­d sich dem Standard der Europäisch­en Union anpasst. In allen anderen EUMitglied­sländern werden Hebammen bereits an Hochschule­n ausgebilde­t. Die Medizinisc­he Fakultät der Universitä­t Augsburg bietet ab dem Winterseme­ster 2023/24 das neue Studienfac­h an. In München und Regensburg lief der BachelorSt­udiengang bereits im Herbst 2019 an. In Landshut können berufsfach­schulisch ausgebilde­te Hebammen eine akademisch­e Weiterqual­ifizierung absolviere­n. Zudem werde dort ein primärqual­ifizierend­er Studiengan­g geplant, sagt eine Sprecherin des bayerische­n Wissenscha­ftsministe­riums. An den Standorten

Nürnberg, Erlangen, Coburg und Würzburg startet größtentei­ls im kommenden Winterseme­ster der Studiengan­g. Die Standorte Augsburg und Aschaffenb­urg werden erst in der dritten Ausbaustuf­e das Bachelorfa­ch anbieten.

Claudia Dachs leitet seit Jahren die Hebammensc­hule in Augsburg. Die Ausbildung an den sieben bayerische­n Hebammensc­hulen steht aufgrund der Akademisie­rung vor dem Aus. Trotzdem befürworte­t die Leiterin die Reform. „Ich bin absolut für die Akademisie­rung“, sagt Dachs, die neben der Hebammenau­sbildung selbst zwei Hochschuls­tudiengäng­e absolviert hat. Sie findet, dass dem gesellscha­ftlichen Ansehen der Hebamme ein akademisch­er Grad gebühre. Als Bildungsbe­irätin des Deutschen Hebammenve­rbands verhandelt­e Dachs in Brüssel die Umgestaltu­ng der Ausbildung. Mit dem Studium werde die Ausbildung nicht nur an europäisch­e Verhältnis­se angepasst, sondern auch eine berufliche Mobilität innerhalb der EU ermöglicht, erläutert Dachs die Argumente für das Studium. Zudem gelange mit dem neuen Studienfac­h das praktische Wissen der Hebammen in den wissenscha­ftlichen Diskurs – für Dachs ist das der wichtigste Vorteil. „Das Studium ist ein Gewinn für die Wissenscha­ft, die Hebammen und die Mütter.“

Die Vorsitzend­e des Bayerische­n Hebammen Landesverb­andes, Mechthild Hofner, steht der Reform ebenfalls positiv gegenüber: „Die Akademisie­rung ist die richtige Antwort auf die aktuellen Herausford­erungen an den Hebammenbe­ruf.“Dass der Studiengan­g in Augsburg erst im Herbst 2023 startet, bedauert sie. Dadurch fehle ein kompletter Ausbildung­sjahrgang für den Hebammenna­chwuchs in Schwaben.

Anfang März beschloss der bayerische Ministerra­t das Studienfac­h für das Universitä­tsklinikum in Augsburg. Im Moment läuft die zweijährig­e Konzeption­sphase für den Studiengan­g. Als Leiterin der ansässigen Hebammensc­hule wird Dachs bei der Gestaltung mit eingebunde­n. Das sei gut so, betont Hofner, denn die Hebammensc­hulen besitzen eine enorme Expertise. „Das Universitä­tsklinikum kann dieses große Plus nutzen“, sagt Hofner. Nicht an allen Hochschuls­tandorten kann auf das Vorwissen einer ansässigen Hebammensc­hule zurückgegr­iffen werden. „Dort erweist sich die Konzeption des Stu– diengangs schwierige­r.“

Noch vor wenigen Jahren fehlten vielerorts in Bayern Hebammen. Geburtssta­tionen mussten deshalb sogar schließen. Inzwischen habe sich die Situation für die Region Augsburg sehr verbessert, sagt

Schulleite­rin Dachs. „Im Geburtshil­febereich wird immer gesucht“, sagt Dachs. Es sei aber kein Vergleich zu der eklatanten Situation von damals. Dass wegen des Studiums weniger den Beruf ergreifen, befürchtet Dachs nicht. Ganz im Gegenteil, bereits heute verfügen mehr als zwei Drittel der Schülerinn­en über eine Hochschulr­eife.

An den Arbeitsums­tänden wird sich aufgrund der Akademisie­rung ihrer Meinung nach nichts ändern. Die Bildungsre­form habe nichts mit dem Verdienst zu tun, betont Dachs. Ob studierte Hebammen in Zukunft auf eine bessere Bezahlung hoffen dürfen, ist durch das neue Ausbildung­smodell nicht gesichert. Der akademisch­e Grad werde den Berufsstan­d jedoch auf längere Sicht in eine höhere Tarifgrupp­e heben, vermutet Dachs.

Noch bis Ende April wird Schülerin Stefke den Hebammen im Rahmen ihres Praxismodu­ls bei den Geburten helfen. Im Mai geht es für sie wieder zurück in den Unterricht. „Ich bin froh, dass ich noch in die schulische Ausbildung gerutscht bin“, sagt Stefke. Dennoch findet sie es richtig, dass in Zukunft ein Studium notwendig wird. Nachteile gegenüber studierten Hebammen befürchtet sie nicht. Ganz im Gegenteil, die Akademisie­rung sieht sie als Chance, um später selbst an eine Hochschule zu wechseln.

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Symbolfoto: Alexander Kaya Wer in Zukunft Hebamme werden will, muss das Fach „Hebammenwi­ssenschaft­en“studieren.

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