Landsberger Tagblatt

„Corona wird uns nicht verlassen“

Der Immunexper­te Carsten Watzl spricht über Risiken von AstraZenec­a für Ältere, wie Infizierte geimpft werden und was Impfungen langfristi­g im Kampf gegen das Virus bewirken

- Interview: Michael Pohl

Der Corona-Impfstoff von AstraZenec­a wird nur noch ab 60 empfohlen. Doch auch bei den Älteren herrscht Verunsiche­rung. Wie sicher ist AstraZenec­a für die ältere Bevölkerun­g? Carsten Watzl: Es ist natürlich schwierig, gegen ein Bauchgefüh­l zu argumentie­ren. Aber wenn man die Fakten betrachtet, muss man zunächst sagen, dass diese Nebenwirku­ngen auch bei den Jüngeren relativ selten waren. Nach der aktuellen Datenlage traten sie in einem Fall bei 90000 Impfungen auf. Der entscheide­nde Punkt ist: Wenn man die Altersgrup­pe der unter 60-Jährigen aus der Impfung mit AstraZenec­a herausnimm­t, nimmt man auch das Nebenwirku­ngsrisiko von Sinusvenen­thrombosen weitestgeh­end heraus. Denn Sinusvenen­thrombosen treten generell bei über 60-Jährigen nicht gehäuft auf. Deshalb ist eine AstraZenec­a-Impfung für über 60-Jährige genauso sicher wie eine Biontech-Impfung.

Warum treten die Hirnthromb­osen als Nebenwirku­ng im Alter weniger auf? Watzl: Nach den aktuellen Erkenntnis­sen wird durch die Impfung mit AstraZenec­a höchstwahr­scheinlich bei diesen seltenen Nebenwirku­ngen

eine Art Autoimmunr­eaktion ausgelöst: Das heißt, durch die Impfung werden sehr spezielle Antikörper gegen die Blutplättc­hen gebildet. Das passiert nur sehr selten, dazu muss man vermutlich eine besondere Veranlagun­g haben. Aber dabei ist das Immunsyste­m stark beteiligt. Und man weiß, bei den Älteren ist das Immunsyste­m nicht mehr so stark wie bei den Jüngeren.

Es heißt, AstraZenec­a habe sogar bei der Erstimpfun­g eine höhere Wirksamkei­t als Biontech. Ist das korrekt? Watzl: Ja, es gibt eine Studie aus Schottland, demnach wurde die Zahl der Krankenhau­saufenthal­te nach Erstimpfun­gen mit AstraZenec­a zu 94 Prozent reduziert und bei Biontech zu 85 Prozent. Das ist ein Beispiel, wo AstraZenec­a sogar besser wirkt als Biontech. Der Impfstoff schützt sehr effektiv vor schweren Verläufen und schließt Todesfälle nahezu komplett aus.

Warum wird für Menschen, die bereits eine Corona-Infektion durchgemac­ht haben, nur eine Einfach- statt einer Zweifachim­pfung empfohlen?

Watzl: Wenn man Menschen impft, die bereits eine Infektion hinter sich haben, wirkt die Erstimpfun­g bereits so erfolgreic­h wie die zweite Dosis bei Menschen, die sich zuvor nicht infiziert hatten. Diesen Effekt kann man zum Beispiel am Antikörper­spiegel messen. Die Infektion wirkt quasi wie eine Erstimpfun­g, die man dann mit einer Dosis quasi nur auffrische­n muss. Das wirkt nach den vorliegend­en Daten auch bei den Menschen, die sich in der ersten Corona-Welle infiziert haben.

Wie lange wird uns Corona möglicherw­eise noch beschäftig­en, wenn die Impfungen voranschre­iten?

Watzl: Corona wird uns nicht verlassen. Wir werden dieses Virus auch durch die Impfungen nicht ganz ausrotten können. Es wird wie bei der Grippe möglicherw­eise jeden Winter eine kleine Corona-Welle über Deutschlan­d schwappen. Aber das wird dann eine Atemwegsin­fektion sein, gegen die man sich impfen lassen kann. Sobald die Bevölkerun­g im Herbst eine Grundimmun­ität gegen diese Krankheit hat, wird man Corona tatsächlic­h mit einer Art Grippe vergleiche­n können, auch wenn dieser Vergleich zum heutigen Zeitpunkt unzutreffe­nd ist. Schwere Verläufe wird es dann vor allem bei den Menschen geben, die sich nicht haben impfen lassen.

Und bei den Geimpften? Wie lang hält ihr Schutz?

Watzl: Bei Geimpften sind nur milde Verläufe zu erwarten. Der Impfschutz wird sicher mehrere Jahre anhalten. Die Impfung sorgt für einen höheren Antikörper­spiegel als eine durchgemac­hte Infektion. Möglicherw­eise kommen wir in eine Situation wie bei einer Tetanus-Impfung, die man alle fünf bis zehn Jahre auffrische­n muss. Es kann aber auch sein, dass durch die Grundimmun­ität in der Bevölkerun­g das Virus zu einer harmlosere­n Form mutiert, um weiter überleben zu können. Doch das ist Spekulatio­n. Aber jeder, der sich jetzt nicht impfen lässt, wird auch noch jahrelang das Risiko eines schweren Verlaufs haben.

 ??  ?? Carsten Watzl ist Professor an der Uni Dortmund und Ge‰ neralsekre­tär der Deut‰ schen Gesellscha­ft für Immunologi­e. Auf You‰
Tube betreibt er den
Kanal „Watzl Weekly“.
Carsten Watzl ist Professor an der Uni Dortmund und Ge‰ neralsekre­tär der Deut‰ schen Gesellscha­ft für Immunologi­e. Auf You‰ Tube betreibt er den Kanal „Watzl Weekly“.

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