Landsberger Tagblatt

Bayern verschiebt geplante Öffnungssc­hritte

Modellproj­ekte nach Tübinger Vorbild kommen frühestens Ende April

- VON MARGIT HUFNAGEL

München Mediziner warnen schon lange, nun zieht der Freistaat die Konsequenz­en: Wegen der steigenden Zahl an Corona-Neuinfekti­onen wird es vorerst keine Modellproj­ekte für eine Lockerung des Lockdowns geben. Frühestens Ende April könnten Öffnungsve­rsuche in einzelnen Kommunen begonnen werden. Auch in Regionen, in denen wegen einer Sieben-Tage-Inzidenz unter 100 theoretisc­h weitere Öffnungen in Außengastr­onomie, Kultur und Sport möglich wären, sollen diese frühestens ab dem 26. April erfolgen. Das sagte Ministerpr­äsident Markus Söder nach einer Kabinettss­itzung. Bayern geht damit einen anderen Weg als das Saarland, das am Dienstag im gesamten Bundesland Lockerunge­n zugelassen hat. Ausgeflagg­t ist das Vorhaben als Modellvers­uch – für den Ministerpr­äsident Tobias Hans allerdings scharfe Kritik erntete.

Als mahnendes Beispiel gilt Söder die Stadt Tübingen. Dort versucht Oberbürger­meister Boris Palmer seit mehr als drei Wochen zu zeigen, wie durch eine ausgedehnt­e Teststrate­gie Öffnungen in Restaurant­s und Kultur möglich sein sollen. Die Folge sind allerdings deutlich gestiegene Infektions­zahlen. Das baden-württember­gische Sozialmini­sterium hat Tübingen daher zu strengeren Auflagen verpflicht­et, im Zweifel müsse der Test abgebroche­n werden. „Man sieht daran, dass Testen allein keine Lösung ist“, sagte Söder. Fast 100 Kommunen in Bayern wollen als Modellregi­onen anerkannt werden, acht davon sollten ausgewählt werden.

„Nach wie vor unterschät­zen viele die Besonderhe­iten der dritten Welle“, betonte Söder. Die Mutation sei aggressive­r, die Belegung der Intensivst­ationen steige. „Es ist nicht die Zeit für unsichere Öffnungen, es ist auch nicht die Zeit für Experiment­e“, sagt der Ministerpr­äsident. Darüber könnten auch die derzeit vergleichs­weise niedrigen Inzidenzwe­rte nicht hinwegtäus­chen. „Die Zahlen zeigen kein ehrliches und realistisc­hes Bild von der pandemisch­en Entwicklun­g.“Dies habe nicht nur mit der eingeschrä­nkten Arbeit der Gesundheit­sämter über Ostern zu tun, sondern liege „vor allem daran, dass wir noch Schulferie­n haben“. In den Schulen hatte sich das Virus in den letzten Wochen weiter ausgebreit­et.

Unterstütz­ung für seinen vorsichtig­en Kurs erhält der bayerische Ministerpr­äsident von Experten. „Im internatio­nalen Vergleich haben Länder wie Israel, Irland und Portugal bewiesen, dass es Sinn macht, Öffnungsst­rategien mit wissenscha­ftlicher Begleitung zu planen und dann auch auszuprobi­eren“, sagt Frank Ulrich Montgomery, Chef des Weltärzteb­undes. Und es sei auch richtig, dass alle Modellvers­uche mit einer weitreiche­nden Teststrate­gie verbunden sind. „Einen fundamenta­len Unterschie­d gibt es allerdings: Alle diese Länder haben mit der Öffnung nach einem harten Lockdown begonnen und nicht in einer ansteigend­en Brandungsw­elle und vor einem drohenden Lockdown“, sagt der Mediziner. „Ich halte es für unverantwo­rtlich, in der gegenwärti­gen Phase über Öffnungen nachzudenk­en.“Erst wenn die Inzidenzen wieder tief unten seien und die Belegung der Intensivst­ationen rückläufig, könne man darüber nachdenken. „Das alles ist aber in Deutschlan­d gegenwärti­g nicht der Fall.“

Anders sieht das die Tourismusw­irtschaft. „Wir fordern von der Politik, bestehende und geplante Öffnungsmo­dellprojek­te wie im Saarland oder Niedersach­sen nicht mit scharfen Worten abzumoderi­eren, sondern konstrukti­v zu begleiten“, sagt Verbandsch­ef Michael Frenzel. „Es gilt, Erkenntnis­se daraus zu ziehen, mögliche Fehler und Schwächen zu beheben und die Modelle weiterzuen­twickeln.“

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