Landsberger Tagblatt

Zwischen allen Stühlen

Wie Ursula von der Leyen in der Türkei zur Randfigur wurde

- VON MICHAEL STIFTER

Die Frage, wer wo sitzt, ist eine heikle. Das fängt schon im Klassenzim­mer an und zieht sich durch das ganze Leben. Wer bekommt den Platz neben dem Brautpaar? Wer sitzt an ihrem 90. Geburtstag am Tisch der Erbtante? Und ist es wirklich eine gute Idee, den Kollegen, der zu später Stunde gerne mal schlüpfrig­e Witze erzählt, auf der Firmenfeie­r in Hörweite der Chefin zu platzieren? Fettnäpfch­en, wohin man schaut. In der Politik kommen zu persönlich­en Eitelkeite­n noch Machtspiel­chen dazu. Ursula von der Leyen wird gerne als mächtigste Frau Europas bezeichnet. Mit Sitzordnun­gen muss sie sich normalerwe­ise nicht herumschla­gen. Doch als sie beim türkischen Präsidente­n zu Gast ist, gerät die Deutsche unvermitte­lt zwischen alle Stühle.

In seinem prunkvolle­n Domizil hatte Recep Tayyip Erdogan offenbar nur zwei goldverzie­rte Sitzgelege­nheiten auftreiben können. Auf der einen nimmt der Hausherr selbst

Platz, die andere schnappt sich EURatspräs­ident Charles Michel. Als hätte sie gerade auf dem Kindergebu­rtstag bei der „Reise nach Jerusalem“verloren, steht von der Leyen daneben und macht mit einem lauten „Ähm…“auf ihre missliche Lage aufmerksam. Notgedrung­en lässt sie sich schließlic­h auf einem Sofa nieder – und wird zur Randfigur. In sozialen Netzwerken löst die irritieren­de Szene eine Debatte über Macho-Allüren und mangelnden Respekt aus. Von der Leyen selbst lässt lediglich mitteilen, sie habe das etwas gezwungene Beisammens­ein auch genutzt, um mit Erdogan über die Rechte von Frauen in der Türkei zu sprechen. Diese kleine Retourkuts­che dürfte gesessen haben.

 ?? Foto: dpa ?? Am Katzentisc­h: von der Leyen mit Mi‰ chel und Erdogan (rechts).
Foto: dpa Am Katzentisc­h: von der Leyen mit Mi‰ chel und Erdogan (rechts).

Newspapers in German

Newspapers from Germany