Landsberger Tagblatt

So unterschie­dlich gehen Staaten mit AstraZenec­a um

Die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde und die WHO empfehlen den Impfstoff ohne Einschränk­ung. Während Deutschlan­d nur über 60 impft und selbst Großbritan­nien nun eine Grenze zieht, gilt das Mittel vielerorts als wichtige Waffe

- VON MICHAEL POHL

Berlin Der Impfstoff von AstraZenec­a bleibt in Europa trotz seltener schwerer Nebenwirku­ngen weiterhin für alle Altersgrup­pen zugelassen. Insofern bleibt es den EU-Ländern überlassen, wie sie das Mittel des britisch-schwedisch­en Hersteller­s einsetzen. In Deutschlan­d empfiehlt ihn die Ständige Impfkommis­sion, Stiko, wegen der seltenen Gefahr von Hirnthromb­osen nur für Menschen über 60 Jahren. Für Jüngere nur auf eigenes Risiko.

„Der Einsatz der Covid-19-Vaccine AstraZenec­a für eine erste oder zweite Impfstoffd­osis unterhalb dieser Altersgren­ze bleibt indes nach ärztlichem Ermessen und bei individuel­ler Risikoakze­ptanz nach sorgfältig­er Aufklärung möglich“, heißt es in den aktuellen Stiko-Empfehlung­en, die ständig überprüft und bei neuen Erkenntnis­sen überarbeit­et werden. In Deutschlan­d traten über dreißig Fälle von Hirnthromb­osen

in Zusammenha­ng mit AstraZenec­a vor allem bei Frauen unter 55 Jahren auf. Das sind zehnmal mehr Fälle pro Kopf wie in Großbritan­nien, wo 18 Millionen Menschen mit AstraZenec­a geimpft wurden und die Anzahl der gemeldeten Sinusvenen-Thrombosen ähnlich hoch war wie im nicht geimpften Bevölkerun­gsteil. Großbritan­nien beschloss nun jedoch eine Altersgren­ze von 30 Jahren.

Frankreich impft bereits seit Mitte März keine Frauen unter 55 Jahren mehr mit AstraZenec­a. Kurz vor Ostern folgten auch die Niederland­e dem deutschen Beispiel und setzten am Mittwoch die Impfungen mit AstraZenec­a vorläufig ganz aus, nachdem fünf Fälle der seltenen Hirnvenent­hrombosen bei 400000 Impfungen gemeldet wurden.

Österreich hält dagegen unveränder­t am Impfplan mit AstraZenca fest, obwohl dort Anfang März einer der ersten Todesfälle in Zusammenha­ng mit der Impfung bekannt wurde. Auch in vielen andern europäisch­en Ländern gilt der von der Universitä­t Oxford entwickelt­e Wirkstoff nach wie vor als der wichtigste Impfstoff gegen Corona-Infektione­n.

Experten wie der Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Immunologi­e, Carsten Watzl, halten den klassische­n Vektor-Impfstoff von AstraZenec­a für über 60-Jährige für genauso sicher wie den neuartigen mRNA-Impfstoff von Biontech, da Sinusvenen­thrombosen fast ausschließ­lich in jüngeren Jahren auftreten. Die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA stellte zwar klar fest, dass es einen Zusammenha­ng zwischen Impfstoff und Thrombosen bei einer sehr geringen Zahl von Blutplättc­hen gebe. Dies trete allerdings sehr selten auf.

Die Experten vermuten, dass es um eine Immun-Reaktion gehe. Trotz dieses Risikos von Blutgerinn­seln empfiehlt die EMA die Anwendung des Impfstoffe­s weiterhin uneingesch­ränkt. „Der Nutzen des Wirkstoffe­s bei der Bekämpfung von Covid-19 ist deutlich höher zu bewerten als die Risiken“, sagte EMA-Chefin Emer Cooke in Amsterdam. Und auch die Weltgesund­heitsorgan­isation sprach sich am Mittwochab­end noch für die weitere Verwendung von AstraZenec­a aus.

In Deutschlan­d gilt die rasche Aufdeckung der seltenen Nebenwirku­ng ebenso wie die von der Uni Greifswald wenig später entwickelt­en Diagnose- und Behandlung­smöglichke­iten als großer Erfolg für die Arzneimitt­elsicherhe­it. Der Chef der Ständigen Impfkommis­sion Thomas Mertens sagte unserer Redaktion, die Bevölkerun­g habe ein Recht auf eine gründliche Analyse aller verfügbare­n Daten und Erkenntnis­se. Laut Mertens prüft die Kommission und das RobertKoch-Institut auch jüngste Vorschläge, das Impftempo zu erhöhen, indem bei mRNA-Impfstoffe­n von Biontech und Moderna der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfu­ng länger als sechs Wochen ausgedehnt werden könnte. „Stiko und RKI beschäftig­en sich intensiv auch mit dieser Frage und wollen zu einer wissenscha­ftlich begründbar­en Stellungna­hme kommen“, so Mertens. Skeptisch äußert sich der Nürnberger Virologe Klaus Überla. „Hinweise auf eine nachlassen­de Wirksamkei­t, beginnend sechs Wochen nach einer Biontech-mRNA-Immunisier­ung, sprechen aus meiner Sicht gegen den Vorschlag“, sagte er unter Hinweis auf schottisch­e Studien.

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Foto: dpa Impfstoff von AstraZenec­a: deutlich höher zu bewerten.“ „Nutzen

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