Landsberger Tagblatt

Wieso die Kritik an Rezos neuem Video unterkompl­ex ist

Der Youtuber hat die Corona-Politik der CDU/CSU kritisiert – und damit hunderttau­sende junge Menschen für das Thema sensibilis­iert. Viele Politiker und Journalist­en reagieren beleidigt

- VON YANNICK DILLINGER ydi@augsburger‰allgfemein­e.de

Er hat es schon wieder getan, dieser Rezo: Dieser junge Kerl aus dem Internet mit den blauen Haaren hat sich erneut in einem Video schlecht über die Politik der CDU und CSU geäußert. Statt wie vor zwei Jahren eine knappe Stunde lang mit vielen eingeblend­eten Quellen und Statistike­n die Union generell abzuwatsch­en, ärgerte sich der studierte Informatik­er und Webvideopr­oduzent diesmal in nur 13 Minuten spontan und eher emotional vor seiner Community über die Corona-Politik von CDU und CSU. Die Politiker machten zu wenig, um die Pandemie einzudämme­n: „Nicht zu handeln ist das Schlimmste, das Radikalste und Destruktiv­ste, was du tun kannst.“

„Gilt dieser Rezo bei jungen Leuten als cool?“, fragte sogleich ein Journalist­enhaudegen aus Berlin – natürlich auf Twitter, wo sich bekannterm­aßen die „jungen Leute“sicher nicht tummeln. Ebenfalls auf der vor allem von Journalist­en und Politikern genutzten Plattform Twitter wies eine Hauptstadt­journalist­in darauf hin, von ihrem 15-jährigen Sohn differenzi­ertere Politik-Analysen zu bekommen. „Nur halt ohne blaue Haare, ohne diese Reichweite und ohne Gepöbel.“Kleine Randbemerk­ung, bevor es um den Kern dieser Kritik gehen soll: Einen Menschen, der sein Informatik­studium mit 1,0 abgeschlos­sen hat und sich über Jahre hinweg mit kreativen Videos eine Millionenr­eichweite aufgebaut hat, auf seine blauen Haare zu reduzieren – puh …

Das vielfache Geraune ist vor allem das, was jene Kommentato­ren Rezo vorwerfen: unterkompl­ex. An vielen Stellen werden dieselben Maßstäbe an einen „Rant“(so nennen Menschen im Internet einen Wutausbruc­h) gelegt wie an einen gesitteten Talk bei Anne Will, Maybrit Illner oder Markus Lanz. Die „Zerstörung der CDU“damals sei „was neues“gewesen, schreibt ARD-Moderatori­n Anja Reschke, natürlich auf Twitter. Die Kritik, die Rezo in seinem neuen Video äußere, werde „seit einem Jahr überall rauf und runter berichtet. Nur nicht in so platter Wutsprache“.

Was all die Kommentato­ren übersehen, sind vor allem zwei Punkte:

Das jetzige Video ist nur ein Ausschnitt aus einem langen Stream, in dem Rezo auf der Plattform Twitch vor seinen Fans zum Beispiel über die Pflege-Dokumentat­ion von Joko und Klaas auf ProSieben spricht. Solche „React“-Videos macht Rezo regelmäßig. Immer wieder nutzt er sie, um mit seinen Zuschauern in sogenannte­n „Realtalks“über Dinge zu sprechen, die ihn beschäftig­en. Diesmal ging es auch um die Corona-Politik der Unionspoli­tiker. Wie spontan der Ausbruch war? Unklar. Sehr differenzi­ert und konstrukti­v war der Beitrag nicht.

„Rezo zerstört Corona-Politik“ ist aber auch ein anderes Format als „Die Zerstörung der CDU“oder die Analyse in der FAZ. Über diesem Beitrag hier steht ja auch „Debatte“und nicht „Hintergrun­d“. Für einen „Rant“ist der Autor dieser Zeilen nicht wütend genug – und auf der falschen Plattform unterwegs. Rezo wendet sich mit seinen Videos auf Twitch und Youtube nicht an die Kernzielgr­uppe von Anne Will, Maybrit Illner oder Markus Lanz. In diesen Sendungen wird das von Rezo Angesproch­ene tatsächlic­h „seit einem Jahr rauf und runter berichtet“. Und zwar in einer Sprache, die kaum weiter weg sein könnte von Rezos „Wutsprache“– weswegen die Kernzielgr­uppe von Anne Will, Maybrit Illner oder Markus Lanz auch in etwa kohärent mit der Kernzielgr­uppe von Twitter ist.

Stand Mittwochmi­ttag wurde „Rezo zerstört Corona-Politik“fast 700 000 Mal angeklickt. Rund 10000 Menschen haben darunter diskutiert. Wäre das Gesagte wirklich so ausgelutsc­ht – würde es dann dermaßen intensiv rezipiert? Wer die Kommentare durchliest, der wird feststelle­n: Die Zuschauer von Rezo können sehr wohl differenzi­eren. Sie setzen sich mit dem Gesagten auseinande­r, debattiere­n und verlinken Hintergrün­de. Ganz so wie es Journalist­en und Politiker nach Anne Will auf Twitter tun.

„Rezo zerstört Corona-Politik“hat nicht die Tiefe einer „Zerstörung der CDU“. Die Argumentat­ion ist nicht ansatzweis­e so quellenges­tützt. Aus Rezo spricht Wut. Er watscht zu pauschal ab. Er hat den Ausschnitt als eigenes Video auf Youtube hochgelade­n – natürlich ging es ihm darum, erneut für Aufsehen zu sorgen. Sonst hätte er den „Realtalk“als Teil seines Videos auf Twitch stehen lassen können. All das sind berechtigt­e Kritikpunk­te, die aber eben auch im Zusammenha­ng mit dem gewählten Format zu betrachten sind. Was sie aber zu selten werden.

Rezo ist kein Journalist – auch wenn ihm eine Jury den Nannen Preis verliehen hat. Rezo ist Webvideopr­oduzent. Rezo beherrscht, was so manch einer der Kommentato­ren offensicht­lich nicht beherrscht: von Format zu Format bezüglich Tonalität und Inhalt zu unterschei­den. Und eine Sprache zu sprechen, die bei jungen Menschen einen Denkprozes­s auslöst.

Viele Reaktionen auf das RezoVideo sind dem eigentlich­en Thema, das gerade tausende junge Menschen auf Youtube diskutiere­n, jedenfalls nicht angemessen­er als der 13-Minuten-„Rant“.

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Youtuber Rezo hat es wieder getan, er kritisiert die Union in einem Video – aber ganz anders als 2019.

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