Landsberger Tagblatt

Unternehme­n fürchten Langzeit‰Lockdown

Vor einem Spitzentre­ffen der Wirtschaft­sverbände mit Minister Peter Altmaier ist die Sorge groß, dass Lockerunge­n in weite Ferne rücken und Modellvers­uche gestrichen werden. Was sie im Detail fordern

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Die Diskussion um eine Verschärfu­ng der Seuchenpol­itik sorgt bei hunderttau­senden Unternehme­n und Selbststän­digen in Deutschlan­d für depressive Stimmung. Egal ob Gastwirt, Hoteldirek­torin, Fitnessstu­diobetreib­er oder Ladeninhab­erin – für sie alle ist die Normalität weit weg. Und sie könnte noch weiter wegrücken, wenn sich der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet und Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) durchsetze­n und das Land noch stärker als bisher herunterfa­hren. Das ist die Ausgangsla­ge für ein Treffen zahlreiche­r Wirtschaft­sverbände mit dem zuständige­n Minister Peter Altmaier (CDU) am Donnerstag.

„Wir brauchen endlich politische Lösungen, die mit und trotz Corona ein Maximum an öffentlich­em Leben, Freizeit und Mobilität garantiere­n“, forderte stellvertr­etend der Präsident des Tourismusv­erbandes, Michael Frenzel, im Gespräch mit unserer Redaktion. Er hat dabei vorsichtig­e Öffnungen im Auge: für Geimpfte oder mit einem negativen Corona-Test. Doch schon die Modellvers­uche im Saarland und in Niedersach­sen halten Laschet, Merkel und CSU-Chef Markus Söder angesichts der Virus-Mutation und der Ansteckung­szahlen für zu riskant. Doch die betroffene­n Branchenve­rtreter kommen an die Lockdown-Befürworte­r nicht heran und müssen sich damit begnügen, Altmaier ihr Leid zu klagen.

Der Wirtschaft­sminister müht sich zwar um die Corona-Verlierer, hat aber bei der Corona-Politik wenig zu sagen. Deshalb hatten die Verbände im Februar bei Altmaier darauf gedrängt, ein Treffen mit der Kanzlerin zu bekommen. Doch sie bekamen es nicht. Also müssen sie ihre Forderunge­n wieder an Altmaier richten, der sie an die Regierungs­chefin weitertrag­en wird. Dazu zählt mehr Finanzhilf­e vom Staat, wenn die Geschäfte länger ruhen müssen. „Wir fordern, dass die Überbrücku­ngshilfe über den 30. Juni hinaus verlängert wird“, sagte Frenzel. Denn es sei absehbar, „dass es dauern wird, bis wir wieder zu einem annähernd normalen Geschäft in der Tourismusw­irtschaft kommen werden“.

Erst vergangene Woche hatte die Bundesregi­erung die Überbrücku­ngshilfe erhöht und beschlosse­n, besonders gebeutelte­n Firmen einen Eigenkapit­alzuschuss zu gewähren. Die verbessert­e Staatshilf­e soll sie vor der Pleite bewahren. Nachdem die Auszahlung der Gelder in den vergangene­n Monaten schleppend angelaufen war, haben die Behörden das Tempo steigern können. Laut Wirtschaft­sministeri­um sind mittlerwei­le über 13 Milliarden Euro an die Firmen überwiesen. Ob das reicht, um eine Insolvenzw­elle zu vermeiden, ist offen.

Bis Ende April ist die Anzeigepfl­icht für Insolvenze­n ausgesetzt. Der Wirtschaft­spolitiker Pascal Meiser von der Linksparte­i verlangte wegen der schlechten Aussichten für ganze Wirtschaft­szweige, die Ausnahme schnellste­ns noch einmal zu verlängern. „Sollte die Insolvenza­ntragspfli­cht wieder voll eingesetzt werden, droht schon ab dem 1. Mai allein aufgrund der Versäumnis­se des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums eine verheerend­e und völlig überflüssi­ge Insolvenzw­elle“, sagte Meiser unserer Redaktion. Die mangelhaft­e Vorbereitu­ng auf die im Herbst einsetzend­e zweite Welle und die schleppend­e Umsetzung der Corona-Hilfsprogr­amme dürften nicht zulasten der betroffene­n Unternehme­n gehen.

Ein weiteres Thema des Treffens mit Altmaier wird die Testpflich­t für Unternehme­n sein. Bislang sind Bundes- und Landesregi­erungen davor zurückgesc­hreckt, den Betrieben die Corona-Testung ihrer Mitarbeite­r vorzuschre­iben. Die Unternehme­n sehen eine Pflicht skeptisch. Das Argument: Sie könnten ihre Angestellt­en nicht zwingen, einen Abstrich machen zu lassen. Darüber hinaus machen sie Lieferprob­leme bei Tests geltend. Gäbe es eine Pflicht und ein Unternehme­n könnte nicht genügend Tests besorgen oder hätte viele Ablehner in den eigenen Reihen, müsste womöglich die Arbeit eingestell­t werden. Gemäß einer Umfrage der Arbeitgebe­rvereinigu­ng BDA testen aber bereits zwischen 80 und 90 Prozent der Firmen oder stehen unmittelba­r vor dem Beginn dieser.

Wegen des Kampfes gegen die mittlerwei­le dritte Welle und des langsamen Impffortsc­hritts erwarten die Konjunktur­deuter für das laufende Jahr eine deutlich abgeschwäc­hte Erholung der Wirtschaft mit einem Wachstum von rund drei Prozent. Im Herbst hatten die Prognosen noch auf ein Plus von fünf Prozent gelautet.

 ?? Foto: Martin Gerten, dpa ?? Noch ist die Anzeigepfl­icht für Insolvenze­n ausgesetzt – und damit das tatsächlic­he Ausmaß an Firmenplei­ten im Zuge der Pandemie unklar.
Foto: Martin Gerten, dpa Noch ist die Anzeigepfl­icht für Insolvenze­n ausgesetzt – und damit das tatsächlic­he Ausmaß an Firmenplei­ten im Zuge der Pandemie unklar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany