Landsberger Tagblatt

Sein schwerster Kampf steht noch bevor

Nach tagelangem Ringen einigen sich CDU und CSU auf einen gemeinsame­n Kanzlerkan­didaten. Doch Armin Laschet startet reichlich ramponiert in diesen Wahlkampf. Gelingt ihm der Umschwung?

- VON CHRISTIAN GRIMM, MARGIT HUFNAGEL, STEFAN LANGE UND MICHAEL STIFTER

Berlin Normalerwe­ise beschäftig­t er sich mit den Terroriste­n dieser Welt, mit dem Islamische­n Staat, der ein Kalifat ausrufen wollte, oder mit Al-Kaida, jener Truppe, die mit schmerzhaf­ten Nadelstich­en die Supermacht USA malträtier­te. Doch dieser Kampf, der da in der größten und vielleicht sogar letzten deutschen Volksparte­i ausgefocht­en wurde, fasziniert auch den Extremismu­sforscher Peter Neumann und verleitet ihn zu einem militärhis­torischen Vergleich. „Söder setzt auf ,shock and awe‘, aber diese Strategie beruht auf schnellen Ergebnisse­n, sonst verläuft die Kampagne im Sande. Laschet versucht’s mit ,attrition‘, also Zermürbung, länger Durchhalte­n als der Gegner“, schreibt der gebürtige Franke, der in Großbritan­nien lehrt, auf Twitter. „Shock and Awe“gegen „Attrition“– „Schrecken und Furcht“also gegen den klassische­n „Abnutzungs­krieg“. Schließlic­h hisst die CSU die weiße Flagge. Für die Union geht damit ein bisweilen schmutzige­r Kampf zu Ende, der Held wirkt glanzlos, ramponiert, ja fast sturmreif geschossen – aber er hat sich durchgeset­zt. Und das nicht zum ersten Mal.

Durchhalte­n, mürbe machen, aushalten: Armin Laschet ist nicht der Typ, der mit Getöse und fliegenden Fahnen in eine politische Schlacht zieht. Er lässt seine Gegner erst mal kommen und Angriffe ins Leere laufen. Er besiegt die Kontrahent­en, indem er ihre Attacken aushält, ohne sich provoziere­n zu lassen. So brachte es der 60-jährige Rheinlände­r, dessen unbedingte­r Wille zur Macht so oft unterschät­zt wurde, zum Ministerpr­äsidenten, zum Parteichef und nun – nach einer denkwürdig­en Marathonsi­tzung – auch zum Kanzlerkan­didaten der Union. Jedes Mal schienen seine Gegner im Vorteil zu sein, jedes Mal sah es so aus, als sei die Schlacht schon verloren – und jedes Mal hieß der Sieger am Ende Armin Laschet. Zu nett? Zu weich? Von wegen!

Dass er seit über drei Jahren in Nordrhein-Westfalen regiert, hat er dieser unerschütt­erlichen Standfesti­gkeit zu verdanken. Gegen die populäre Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft scheint er 2017 keine Chance zu haben. Die SPD-Politikeri­n spielt ihre Rolle als Landesmutt­er derart überzeugen­d, dass sie sogar schon als nächste Kanzlerkan­didatin gehandelt wird. Doch Laschet lässt sich von seinen verheerend­en Umfragewer­ten nicht beirren, er kämpft einfach weiter, hält durch, holt auf – und gewinnt. Auch im Duell um den CDU-Vorsitz sehen viele den machthungr­igen Wirtschaft­smann Friedrich Merz vorne. Doch auf dem Parteitag im Januar begeistert Laschet mit einem sehr persönlich­en, emotionale­n Auftritt. Er erzählt die Geschichte seines Vaters, der viele Jahre lang als Bergmann geschuftet hatte und seinem Sohn eines mit auf den Weg gab: Tief unter der Erde ist es völlig egal, wer der Typ neben dir ist, es kommt nur darauf an, dass du dich auf ihn verlassen kannst.

Und so wird er auch Kanzlerkan­didat: Ihm ist es gelungen, trotz des Grummelns an der Basis, trotz der harten Urteile gegen ihn, wichtige Unterstütz­er hinter sich zu versammeln. Ein Kraftakt. Sein Verspreche­n: Er werde nicht polarisier­en, sondern vereinen. Doch um Kanzlerkan­didat zu werden, nutzt Laschet durchaus das maximale Drohpotenz­ial

gegenüber der kleinen Schwesterp­artei aus. Der Rheinlände­r soll die CSU sogar gewarnt haben, er werde einem Kandidaten Söder keinerlei Wahlkampfu­nterstützu­ng gewähren. Viele Gespräche zwischen den Lagern bleiben erfolglos. Erst am Montag schafft er es, aus einer Sitzung, in der er für viele schon vorher als Verlierer, als eine Art politische­r Schwächlin­g gilt, als Gewinner hervorzuge­hen.

Doch die dabei entstanden­en Narben werden Laschets Handeln fortan prägen. Nach dieser Krisenwoch­e, die vermutlich als abschrecke­ndes Beispiel in die Geschichts­bücher von CDU und CSU eingehen wird, ist klar, wie tief der Riss ist, der durch die Union geht. Wie sehr die CDU mit sich ringen muss, um den eigenen Kandidaten zu stützen. Wie schwer es ihr fällt sich zu entscheide­n zwischen der Vernunfteh­e mit dem netten Rheinlände­r und der Liebesheir­at mit dem bayerische­n Draufgänge­r. In einer Nachtsitzu­ng, in mehr als sechsstünd­igen Beratungen, gibt es über 60 Wortmeldun­gen, die Laschet eine Ahnung davon geben können, was ihm bevorsteht. Seine Vorgängeri­n an der CDU-Spitze, Annegret KrampKarre­nbauer, wirft sich zwar für ihn in die Bresche, viele andere aber geben Kontra. Selbst einflussre­iche Leute, die er auf seiner Seite wähnt, wie etwa Peter Altmaier, stellen sich nicht hinter ihn. Ministerpr­äsidenten, ostdeutsch­e CDUler liefern sich eine Kontrovers­e über die Stimmung in ihren Ländern. Nach außen versucht man diesen Streit als „transparen­te Debatte“und „lebendige Diskussion“zu deklariere­n. Es ist Wolfgang Schäuble, und damit einer, der schon viele Tiefen erlebt hat, der klarmacht: Diese Abstimmung über die K-Frage muss auch als Vertrauens­frage der Partei über ihren eigenen Chef angesehen werden. Für eine Partei wie die CDU, in der Geschlosse­nheit stets über allem stand, ein gewichtige­s Argument. Die Abstimmung zumindest ist klar: 31 Vorstandsm­itglieder stimmen für Laschet, 9 für Söder, 6 Enthaltung­en. Damit hat Laschet auch seinen dritten Widersache­r überdauert.

Vorbei ist es damit noch längst nicht. Nun muss Laschet die drohende Spaltung der Partei – und des Landes – in aufwühlend­en Zeiten verhindern. Er muss Brücken bauen zwischen den Konservati­ven und den Liberalen in CDU und CSU, zwischen denen, die Angela Merkel hinterhert­rauern, und den anderen, die es kaum erwarten können, dass die Ära der ewigen Kanzlerin zu Ende geht, und zu Markus Söder, der Laschet spüren lassen wird, dass er sich für den besseren Kandidaten hält. Immerhin: Laschet ist einer, der genauso gut mit der FDP regieren kann (was er in NordrheinW­estfalen recht geräuschlo­s tut) wie mit den Grünen, notfalls auch mit beiden. Doch dafür braucht er erst einmal ein Wahlprogra­mm. Zusammen mit seinem Unterstütz­er Jens Spahn hat er bereits Grundzüge skizziert, das allerdings reicht nicht. Es braucht Leidenscha­ft. Doch woher soll die kommen? Die Junge Union, deren Mitglieder im Wahlkampf erfahrungs­gemäß große Stützen sind, hätte zum Beispiel lieber Söder an der Spitze gehabt. Der Kanzlerkan­didat müsste zudem langsam ein Team, ein Schattenka­binett, um sich versammeln. Spahn ist sicherlich gesetzt, doch wer soll sonst noch mit rein? Viele wünschen sich Friedrich Merz, der allerdings würde Laschet das Leben sicher nicht einfacher machen, auch wenn er sich im Moment demonstrat­iv hinter ihn stellt. Zumal Ministerpr­äsident Laschet „nebenbei“noch ein Bundesland durch die CoronaPand­emie zu steuern hat.

Mit dieser Hypothek zieht der 60-Jährige in die wohl letzte, die alles entscheide­nde Schlacht gegen Annalena Baerbock und Olaf Scholz – es könnte seine schwerste und schmerzhaf­teste werden. Denn um diese Prüfung zu bestehen, wird es nicht reichen, durchzuhal­ten. Das zeigt sich schon am Dienstag. Die Bekanntgab­e des Kanzlerkan­didaten, etwas, das von Parteien gerne pompös inszeniert und gefeiert wird, sorgt in der Krisen-Union im April 2021 eher für neue Sorgen. Immer schwingt die Angst vor der Reaktion der Parteibasi­s und vor allem der Wähler mit. Einer, der genau diese Sorge bestärkt, ist Manfred Güllner. Der 79-Jährige ist Chef des Forsa-Instituts, das regelmäßig politische Umfragen veröffentl­icht. Seine Prognose für Laschet ist geradezu niederschm­etternd. „Wenn ich einen schwachen Kandidaten habe, dann ist es schwer, die Wähler zu überzeugen“, sagte Güllner. Laschet verfüge über kein Profil an Eigenschaf­ten, das die Wähler positiv mit ihm verknüpfte­n. „Seine hervorstec­hende Eigenschaf­t bei den Menschen ist, dass er seine Verspreche­n nicht hält“, erklärt der Wahlforsch­er. Während die meisten Ministerpr­äsidenten während der Corona-Krise an Ansehen gewonnen hätten, sei das bei Laschet nicht der Fall. An Rhein und Ruhr würde die CDU momentan, so die Forsa-Zahlen, nur 26 Prozent erreichen. Das entspricht einem Minus von rund 7 Prozent gegenüber dem Wahlergebn­is von 2017. „Markus Söder hingegen ist der große Krisengewi­nner. Er hätte die Chancen, die Wähler für die Union an die Wahlurne zu bringen“, glaubt Güllner.

Alles schaut also gebannt auf die Meinungsfo­rschungsin­stitute. „Der Armin braucht jetzt dringend steigende Umfragewer­te. Für sich und für die Partei“, sagt ein erfahrenes CDU-Präsidiums­mitglied, das Laschet wohlwollen­d gegenübers­teht. Eine Hoffnung, die Manfred Güllner postwenden­d zerstört: Es sei in den vergangene­n 20 Jahren keinem der Kanzlerkan­didaten gelungen, schwache persönlich­e Umfragewer­te im Wahlkampf ausschlagg­ebend zu verbessern. „Es ist sehr unwahrsche­inlich, dass sich Laschet aus dem Tief herausarbe­iten kann“, prognostiz­iert er.

Einen ersten Vorgeschma­ck gibt es schon am Dienstagab­end: Die Union fällt im Forsa-Trendbarom­eter um sechs Prozentpun­kte auf 21 Prozent. Die Grünen legen um fünf Prozentpun­kte zu und liegen jetzt mit 28 Prozent vor der CDU/CSU auf Platz 1. Die SPD verliert zwei Prozentpun­kte und kommt auf 13 Prozent. Ein Paukenschl­ag.

Auch deshalb braucht der Kandidat strategisc­he Köpfe im Hintergrun­d. Auf zwei junge Männer wird es in den kommenden Monaten besonders ankommen. Der eine ist Paul Ziemiak. Im Duell mit Söder wackelte der Generalsek­retär nicht. Nun wird er den Wahlkampf für seinen Chef organisier­en. Hinter den Kulissen wird aber auch ein Akteur eine wichtige Rolle spielen, den selbst Politik-Junkies bislang kaum kannten. Würde sich der Begriff „graue Eminenz“nicht so sehr mit seinem Alter beißen, könnte man den 35-jährigen Nathanael Liminski so bezeichnen. Der Chef der Staatskanz­lei in Düsseldorf ist ein versierter Strippenzi­eher. Einer, der lieber in der zweiten Reihe bleibt und dort sehr effizient kleine Feuer austritt, bevor sie gefährlich werden. Der Netzwerke knüpft – auch nach Berlin, wo dem Landespoli­tiker Laschet noch die Hausmacht fehlt, wie man in den vergangene­n Tagen eindrucksv­oll erleben konnte.

Stoische Gelassenhe­it zeigt im Moment nur eine aus dem CDU-Lager, die es bald hinter sich hat. „Herzlichen Glückwunsc­h, lieber Armin Laschet, zur neuen Aufgabe als Kanzlerkan­didat der Union. Ich freue mich auf die kommenden Monate unserer Zusammenar­beit“, erklärt Kanzlerin Angela Merkel, während andere sich eher verkniffen belanglose, rituelle Phrasen abringen. Bloß keinen weiteren Streit provoziere­n, den eigenen Frust lieber hinuntersc­hlucken. So funktionie­rt Politik. Alle rufen sie das aktuelle CDU-Motto auf: „Alles, was wir tun, tun wir #wegenmorge­n“, heißt es dort im Internetsp­rech. Es soll Zuversicht vermitteln. Doch für Armin Laschet dürfte es nach diesen Chaostagen klingen wie eine Drohung. Das, was morgen und die nächsten Tage noch kommt, bereitet ihm die allergrößt­en Sorgen.

Vernunfteh­e oder doch besser Liebesheir­at?

Laschet muss nun seine Umfragewer­te verbessern

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? In der Nacht zum Dienstag stellt sich die CDU, nach einer nicht nur für die Union quälend langen Woche, hinter Armin Laschet als Kanzlerkan­didaten. Wieder einmal hat er damit einen Kampf zäh und hartnäckig bis zum Ende durchgesta­nden – und gewonnen. Doch die Hypothek, mit der er in die kommenden Monate geht, ist enorm.
Foto: Michael Kappeler, dpa In der Nacht zum Dienstag stellt sich die CDU, nach einer nicht nur für die Union quälend langen Woche, hinter Armin Laschet als Kanzlerkan­didaten. Wieder einmal hat er damit einen Kampf zäh und hartnäckig bis zum Ende durchgesta­nden – und gewonnen. Doch die Hypothek, mit der er in die kommenden Monate geht, ist enorm.

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