Landsberger Tagblatt

Präsident im Glashaus

Mit einem ambitionie­rten Plan will Joe Biden die USA als Vorreiter positionie­ren. Doch die Hürden sind hoch und die Kritik laut

- VON KARL DOEMENS

Washington Der US-Präsident war erst ein paar Minuten vereidigt, als er mit dramatisch­en Worten eine der größten Herausford­erungen seiner Amtszeit beschrieb: „Von unserem Planeten kommt ein Hilferuf fürs Überleben. Dieser Schrei könnte nicht verzweifel­ter und deutlicher sein“, mahnte Joe Biden am Fuße des Kapitols. Drei Monate später steht dem Präsidente­n nun die Feuertaufe bevor: Bei dem von ihm einberufen­en Klimagipfe­l ab Donnerstag muss er beweisen, dass es sein Land mit dem Kampf gegen die Erderwärmu­ng wieder ernst meint.

„Es ist äußerst dringlich“, sagte der Klima-Sonderbeau­ftragte John Kerry, der im Vorfeld in China und Südkorea für das Anliegen warb. Im Pariser Klimaschut­zabkommen hatten sich die Staaten zum Ziel gesetzt, die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad zu begrenzen. Tatsächlic­h, so Kerry, steuere die Welt auf vier Grad oder mehr zu: „Das ist mehr als katastroph­al.“Unter Donald Trump waren die USA 2017 aus dem Pariser Abkommen ausgestieg­en. Das hat Biden umgehend revidiert. Er will Amerika – nach China der zweitgrößt­e Emittent von Treibhausg­asen

– nun als treibende Kraft im Kampf gegen die globale Erwärmung positionie­ren. Wie ambitionie­rt das ist, zeigt ein Blick in die Statistik: Obwohl der Ausstoß der USA an Treibhausg­asen wegen der Lockdowns um zehn Prozent sank, blies rechnerisc­h jeder Amerikaner 16 Tonnen CO2-Äquivalent­e in die Atmosphäre – fast doppelt so viel wie der Durchschni­ttsdeutsch­e.

Daheim hat Biden vorgegeben, dass bis 2050 die gesamte US-Wirtschaft auf Klimaneutr­alität umgestellt sein soll. Kritiker halten das für zu wenig. Wissenscha­ftler, Umweltgrup­pen und selbst 300 Unternehme­n von Apple, Google und Microsoft bis Coca-Cola fordern, der Treibhausg­asausstoß müsse bis 2030 um mindestens 50 Prozent gegenüber 2005 zurückgefa­hren werden. Hinter diesem Wert kann Biden kaum zurückblei­ben.

Doch um diese symbolisch bedeutsame Marke zu erreichen, wäre ein gewaltiger politische­r Kraftakt erforderli­ch. Mit einer Reihe von Erlassen hat Biden seinen guten Willen bewiesen: Er hat eine KlimaTaskf­orce mit Vertretern aller Bundesbehö­rden eingesetzt, die Ämter zum Kauf von emissionsf­reien Fahrzeugen angehalten und die Vergabe von Öl- und Gas-Bohrlizenz­en auf Staatsgrun­d gestoppt.

Weitreiche­ndere Änderungen sind in seinem 2,3 Billionen Dollar teuren Infrastruk­turplan für Verkehr und Energie enthalten. So soll der Absatz von E-Autos gefördert werden – mit 174 Milliarden Dollar für Ladestatio­nen und Batterieen­twicklung. 80 Milliarden Dollar sind für die Modernisie­rung des Schienenne­tzes vorgesehen. Wind- und Solarenerg­ie sollen für zehn Jahre subvention­iert werden.

Doch weder Subvention­en noch einen Standard, der den Ausbau der erneuerbar­en Energien festschrei­bt, kann Biden ohne den Kongress durchsetze­n – und dort sitzen republikan­ische Freunde der Öl- und Gasindustr­ie. Bei den Demokraten moniert die linke Abgeordnet­e Alexandria Ocasio-Cortez, Bidens Vorhaben reichten „nicht einmal annähernd“aus, während auf der anderen Seite Joe Manchin, Senator des Kohlestaat­s West Virginia, mit einer Blockade der Energiewen­de droht. „Jeder mutige Plan, der wirksam den Klimawande­l bekämpft, hat kaum Chancen, im politische­n System der USA zu überleben“, fürchtet bereits Kolumnist Farhad Manjoo in der New York Times.

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