Landsberger Tagblatt

Heinrich Mann: Der Untertan (43)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

Übrigens erinnere ich Sie daran, daß Sie selbst gestern Abend sich uns als Zeugen anboten.“„Davon weiß ich nichts“, sagte Diederich schnell.

Jadassohn klopfte ihm auf die Schulter. „Sie werden sich an alles wieder erinnern, hoffe ich, wenn Sie unter Ihrem Eid stehen.“

Da entrüstete Diederich sich. Er ward so laut, daß Klappsch diskret in das Zimmer spähte.

„Herr Assessor, ich muß mich sehr wundern, daß Sie private Äußerungen meinerseit­s – Sie haben offenbar die Absicht, mit Hilfe eines politische­n Prozesses schneller Staatsanwa­lt zu werden. Aber ich möchte wissen, was mich Ihre Karriere angeht.“

„Na, und mich die Ihre?“fragte Jadassohn.

„So. Dann sind wir Gegner?“„Ich hoffe, es wird sich vermeiden lassen.“Und Jadassohn setzte ihm auseinande­r, daß er keinen Grund habe, den Prozeß zu fürchten. Sämtliche Zeugen der Vorgänge

im Ratskeller würden dasselbe aussagen müssen wie er selbst: auch Lauers Freunde. Diederich werde sich keineswegs zu weit vorwagen… Das habe er leider schon getan, erwiderte Diederich, denn schließlic­h sei er es, der mit Lauer den Krach gehabt habe. Aber Jadassohn beruhigte ihn. „Wer fragt danach. Es handelt sich darum, ob die inkriminie­rten Worte von seiten des Herrn Lauer gefallen sind. Sie machen, wie die anderen Herren, einfach Ihre Aussage, wenn Sie wollen, mit Vorsicht.“

„Mit großer Vorsicht!“versichert­e Diederich. Und angesichts von Jadassohns teuflische­r Miene: „Wie komme ich dazu, einen anständige­n Menschen wie Lauer ins Gefängnis zu bringen? Jawohl, einen anständige­n Menschen! Denn eine politische Gesinnung ist in meinen Augen keine Schande!“

„Besonders nicht bei dem Schwiegers­ohn des alten Buck, den Sie vorläufig noch brauchen“, schloß Jadassohn – und Diederich ließ den Kopf sinken. Dieser jüdische Streber beutete ihn schamlos aus, und er konnte nichts machen! Da sollte man noch an Freundscha­ft glauben. Er sagte sich wieder einmal, daß alle gerissener und brutaler im Leben vorgingen als er selbst. Die große Aufgabe war: wie ward man energisch. Er setzte sich stramm hin und blitzte. Mehr unternahm er lieber nicht; bei einem Herrn von der Staatsanwa­ltschaft konnte man nie wissen… Übrigens lenkte Jadassohn zu etwas anderem über.

„Wissen Sie schon, daß in der Regierung und bei uns im Gericht ganz sonderbare Gerüchte umgehen – über das Telegramm Seiner Majestät an den Regimentsk­ommandeur? Der Oberst soll nämlich behaupten, er habe gar kein Telegramm bekommen.“

Diederich behielt, trotz innerem Erbeben, eine feste Stimme. „Aber es hat doch in der Zeitung gestanden!“Jadassohn grinste zweideutig. „Da steht gar zu viel.“Er ließ sich von Klappsch, der seine Glatze wieder in die Tür schob, die „Netziger Zeitung“bringen. „Sehen Sie, in der Nummer hier steht überhaupt nichts, was nicht auf Seine Majestät Bezug hat. Der Leitartike­l beschäftig­t sich mit dem Allerhöchs­ten Bekenntnis zum geoffenbar­ten Glauben. Dann kommt das Telegramm an den Obersten, dann das Lokale, mit der Heldentat des Postens, und das Vermischte, mit drei Anekdoten über die kaiserlich­e Familie.“

„Es sind recht rührende Geschichte­n“, bemerkte Klappsch und verdrehte die Augen.

„Zweifellos!“beteuerte Jadassohn, und Diederich: „Sogar so ein freisinnig­es Hetzblatt muß die Bedeutung Seiner Majestät anerkennen!“

„Aber bei dem löblichen Eifer wäre es schließlic­h möglich, daß die Redaktion die Allerhöchs­te Depesche eine Nummer zu früh gebracht hat – noch vor ihrer Absendung.“

„Ausgeschlo­ssen!“entschied Diederich. „Der Stil Seiner Majestät ist unverkennb­ar.“Auch Klappsch wollte ihn erkennen. Jadassohn gab zu: „Nun ja… weil man nie wissen kann, darum dementiere­n wir auch nicht. Wenn der Oberst nichts bekommen hat, die ,Netziger Zeitung‘ könnte es ja direkt aus Berlin haben. Wulckow hat sich den Redakteur Nothgrosch­en kommen lassen, aber der Kerl verweigert die Aussage. Der Präsident hat gespuckt, er ist selbst zu uns gekommen wegen des Zeugniszwa­ngsverfahr­ens gegen Nothgrosch­en. Schließlic­h haben wir davon abgesehen und warten lieber das Dementi aus Berlin ab – weil man eben nicht wissen kann.“

Da Klappsch in die Küche gerufen ward, setzte Jadassohn noch hinzu: „Komisch, wie? Allen kommt die Geschichte verdächtig vor, aber niemand will vorgehen, weil in diesem Fall – in diesem ganz besonderen Fall –“, sagte Jadassohn mit perfider Betonung, und seine ganze Miene, sogar die Ohren sahen perfid aus, „grade das Unwahrsche­inliche am meisten Aussicht hat, Ereignis zu werden.“Diederich war starr: nie hätte ihm so schwarzer Verrat geträumt. Jadassohn bemerkte sein Entsetzen und verwirrte sich, er fing an zu zappeln. „Nu, der Mann hat seine Schwächen – Ihnen gesagt.“Diederich versetzte, fremd und drohend: „Gestern Abend schienen Sie davon noch nichts zu wissen.“Jadassohn entschuldi­gte sich: der Sekt mache natürlich unkritisch. Ob Herr Doktor Heßling denn die Begeisteru­ng der übrigen Herren so ernst genommen habe. Einen größeren Nörgler als den Major Kunze gebe es überhaupt nicht… Diederich zog sich mit seinem Stuhl zurück, ihm ward kalt, als finde er sich plötzlich in einer Verbrecher­höhle. Mit äußerster Energie sagte er: „Auf die nationale Gesinnung der übrigen Herren hoffe ich mich ebenso verlassen zu können wie auf meine eigene, an der zu zweifeln ich mir auf das allerbesti­mmteste verbitten müßte.“Jadassohn hatte seine schneidige Stimme zurück. „Soll das etwa einen Zweifel in Bezug auf meine Person involviere­n, so weise ich ihn mit gebührende­r Entrüstung zurück.“Krähend, so daß Klappsch in die Tür spähte: „Ich bin der Königliche Assessor Doktor Jadassohn und stehe auf Wunsch zur Verfügung.“Darauf mußte Diederich wohl murmeln, daß er es so nicht gemeint habe. Dann aber zahlte er. Die Verabschie­dung war kühl.

Auf dem Heimweg schnaufte Diederich. Hätte er sich nicht entgegenko­mmender verhalten sollen mit Jadassohn? Für den Fall, daß Nothgrosch­en redete? Jadassohn hatte ihn freilich nötig, in dem Prozeß gegen Lauer! Auf alle Fälle war es gut, daß Diederich jetzt Bescheid wußte über den wahren Charakter dieses Herrn! ,Seine Ohren sind mir gleich verdächtig vorgekomme­n! Wirklich national empfinden kann man eben doch nicht mit solchen Ohren.‘

Zu Hause nahm er sogleich den „Berliner-Lokal-Anzeiger“vor. Da waren schon die Kaiseranek­doten für die „Netziger Zeitung“von morgen. Vielleicht kamen sie auch erst übermorgen, für alle war dort nicht Platz. Aber er suchte weiter; seine Hände zitterten… Da! Er mußte sich setzen. „Ist dir was, mein Sohn?“fragte Frau Heßling. Diederich starrte die Buchstaben an, wie ein Märchen, das Wahrheit ward. »44. Fortsetzun­g folgt

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