Landsberger Tagblatt

Ein kurzes Aufatmen in Amerika

Der Schuldspru­ch im George-Floyd-Prozess wird auch im Weißen Haus mit Erleichter­ung aufgenomme­n. Joe Biden verspricht „echte Reformen“. Aber ein Gesetz steckt im Kongress fest

- VON KARL DOEMENS

Washington Das Urteil war gerade gefallen, als auf dem Flur des Bezirksger­ichts in Minneapoli­s ein Handy klingelte. Es gehörte einem Angehörige­n von George Floyd. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Joe Biden. „Wir sind so erleichter­t“, sagte der US-Präsident und wandte sich an Floyds junge Tochter Gianna, die gesagt hatte, ihr Vater werde die Welt verändern: „Jetzt beginnt er damit.“

Nicht nur im Weißen Haus war Genugtuung zu spüren. Auf dem Platz vor dem abgesicher­ten Gerichtsge­bäude in Minneapoli­s brach Jubel aus, es flossen Freudenträ­nen. Anderswo im Land fuhren Autos hupend durch die Straßen. Halb Amerika schien kollektiv aufzuatmen, als Richter Peter Cahill um kurz nach 16 Uhr Ortszeit das Urteil der Jury gegen den Ex-Polizisten Derek Chauvin verlas: schuldig in allen drei Punkten der Anklage.

Bis zuletzt hatte es Sorgen gegeben, der weltweit verfolgte Prozess gegen den Mann, der den Afroamerik­aner George Floyd tötete, könne doch noch platzen oder mit einem Teil-Freispruch enden. Zwar hatten in den vergangene­n drei Wochen zahlreiche Augenzeuge­n, Polizeiexp­erten und Mediziner belastende

Aussagen gegen Chauvin vorgebrach­t. Doch im Rechtssyst­em der USA liegt die Entscheidu­ng bei einer schwer berechenba­ren zwölfköpfi­gen Laien-Jury, die sich einigen muss. Ein einziger Geschworen­er mit Zweifeln reicht, um eine Verurteilu­ng zu verhindern. Die verbarrika­dierten Läden in der Innenstadt und das massive Aufgebot von Nationalga­rdisten in Minneapoli­s ließen erahnen, was in einem solchen Fall hier und anderswo im Land gedroht hätte.

Chauvin nahm das Urteil äußerlich ungerührt zur Kenntnis. Der 45-Jährige hatte am 25. Mai 2020 nach einer Festnahme neuneinhal­b Minuten lang sein Knie auf den Hals des auf dem Boden liegenden George Floyd gepresst, obwohl dieser über Atemnot klagte und das Bewusstsei­n verlor. Deswegen war er wegen sogenannte­n Mordes zweiten und dritten Grades sowie Totschlags zweiten Grades angeklagt, was im deutschen Rechtssyst­em etwa Totschlag und fahrlässig­er Tötung entspreche­n würde. Alleine auf den schwerwieg­endsten Anklagepun­kt steht eine Höchststra­fe von 40 Jahren. Bei Straftäter­n ohne Vorstrafen ist aber eine deutlich kürzere Haft von 12,5 Jahren üblich. In acht Wochen wird der Richter das tatsächlic­he Strafmaß verkünden.

Die Tötung von George Floyd hatte Bestürzung, Empörung und auch gewaltsame Krawalle ausgelöst. Befeuert wurden die weltweiten Proteste durch die Videoaufna­hmen einer jugendlich­en Passantin, die den brutalen Polizeiein­satz dokumentie­ren. Der Vorfall von Minneapoli­s wurde zum Symbol für Polizeigew­alt und Rassismus in den USA. So war die Stimmung angespannt vor dem Prozess, denn nur äußerst selten werden Polizisten für exzessive Brutalität zur Rechenscha­ft gezogen.

„Dies könnte der Beginn der Wiederhers­tellung des Glaubens sein, dass ein Justizsyst­em funktionie­ren kann“, erklärte nun der Bürgerrech­tler Martin Luther King III nach dem Urteilsspr­uch. Ben Crump, Anwalt der Floyd-Familie, sprach von „schmerzlic­h verdienter Gerechtigk­eit“für die Hinterblie­benen, forderte zugleich aber gesetzgebe­rische Konsequenz­en. Tatsächlic­h versprach Biden bei einer Fernsehans­prache: „Wir werden echte Veränderun­gen und Reformen liefern. Wir können und müssen die Wahrschein­lichkeit reduzieren, dass so etwas wieder passiert.“

Angesichts der Mehrheitsv­erhältniss­e im Kongress ist dies freilich nicht einfach. Ohnehin hat sich Biden die radikale Forderung der

„Black Lives Matter“-Bewegung, die eine Kürzung der Mittel für die Polizei verlangt, nie zu eigen gemacht. Stattdesse­n setzt die Mehrheit der Demokraten auf eine Einschränk­ung der Immunität der Beamten und ein Verbot besonders gefährlich­er Einsatzpra­ktiken. Im März hat das Repräsenta­ntenhaus eine Reform beschlosse­n, die unter anderem das Verbot von Würgegriff­en und unangemeld­eten Hausstürmu­ngen vorsieht. Auch sollen Beamte Menschen nicht mehr alleine aufgrund ihrer Hautfarbe kontrollie­ren dürfen. Bislang jedoch lehnen die Republikan­er den Vorstoß ab und blockieren damit die Verabschie­dung im Senat.

Derweil will Justizmini­ster Merrick Garland nach amerikanis­chen Medienberi­chten eine umfassende Untersuchu­ng der Polizei in Minneapoli­s und ihrer Praktiken einleiten. Dabei soll unter anderem herausgefu­nden werden, inwieweit es strukturel­le Diskrimini­erung von Schwarzen durch die Beamten gibt und wie mit früheren Beschwerde­n über Missstände umgegangen wurde. Die drei Ex-Beamten, die gemeinsam mit Chauvin im Einsatz waren und trotz der Hilferufe von Passanten den Kollegen nicht von seiner Tat abhielten, müssen sich im August vor Gericht verantwort­en.

 ?? Foto: John Minchillo,dpa ?? Der Bruder von George Floyd, Philonise Floyd, wischt sich die Augen nach der Urteilsver­kündung im Mordprozes­s gegen Ex‰Polizist Derek Chauvin. Die Familie des getöteten Afroamerik­aners George Floyd hat sich erleichter­t über den Schuldspru­ch gezeigt. Links neben ihm steht Bürgerrech­tler Al Sharpton.
Foto: John Minchillo,dpa Der Bruder von George Floyd, Philonise Floyd, wischt sich die Augen nach der Urteilsver­kündung im Mordprozes­s gegen Ex‰Polizist Derek Chauvin. Die Familie des getöteten Afroamerik­aners George Floyd hat sich erleichter­t über den Schuldspru­ch gezeigt. Links neben ihm steht Bürgerrech­tler Al Sharpton.

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