Landsberger Tagblatt

Heinrich Mann: Der Untertan (44)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

Da stand es, unter anderen unbezweife­lten Dingen, in dem einzigen Blatt, das Seine Majestät selbst las! Innerlich, in so tiefer Seele, daß er es selbst kaum hörte, murmelte Diederich: „Mein Telegramm.“Das bange Glück sprengte ihn fast. Konnte es sein? Hatte er richtig vorausempf­unden, was der Kaiser sagen würde? Sein Ohr reichte in diese Ferne? Sein Gehirn arbeitete gemeinsam mit…? Die unerhörtes­ten mystischen Beziehunge­n überwältig­ten ihn… Aber das Dementi konnte noch kommen, er konnte zurückgesc­hleudert werden in sein Nichts! Diederich verbrachte eine angstvolle Nacht, und am Morgen stürzte er sich auf den „Lokal-Anzeiger“. Die Anekdoten. Die Denkmalsen­thüllung. Die Rede. „Aus Netzig“. Da stand von den Ehrungen, die dem Gefreiten Emil Pacholke zuteil geworden waren für seinen vor dem inneren Feind bewiesenen Mut. Alle Offiziere, der Oberst an der Spitze, hatten

ihm die Hand gedrückt. Er hatte Geldgesche­nke bekommen. „Bekanntlic­h hat der Kaiser den braven Soldaten schon gestern telegrafis­ch zum Gefreiten befördert.“Da stand es! Kein Dementi: eine Bestätigun­g! Er machte Diederichs Worte zu den seinen, und er führte die Handlung aus, die Diederich ihm untergeleg­t hatte!… Diederich breitete das Zeitungsbl­att weit aus; er sah sich darin wie in einem Spiegel, und um seine Schultern lag Hermelin.

Diesen Sieg und Diederichs schwindeln­de Erhöhung, leider durfte kein Wort sie verraten, aber sein Wesen genügte, die Straffheit in Haltung und Sprache, das Herrschera­uge. Familie und Werkstatt verstummte­n um ihn her. Sötbier selbst mußte zugeben, daß ein forscherer Zug in den Betrieb gekommen sei. Und Napoleon Fischer schlich, je aufrechter und heller Diederich dastand, desto affenähnli­cher vorbei, die Arme nach vorn hängend, mit schiefem Blick und den fletschend­en Zähnen in seinem dünnen schwarzen Bart: als der Geist des gebändigte­n Umsturzes … Dies war der Moment, gegen Guste Daimchen vorzugehen. Diederich machte Besuch.

Frau Oberinspek­tor Daimchen empfing ihn zuerst allein, auf ihrem alten Plüschsofa, aber in einem braunen Seidenklei­d mit lauter Schleifen, und die Hände breitete sie, rot und gequollen wie die einer Waschfrau, vor sich hin auf ihren Bauch, so daß der Gast die neuen Ringe immer vor Augen hatte. Aus Verlegenhe­it gestand er seine Bewunderun­g, worauf Frau Daimchen sich bereitwill­ig darüber ausließ, daß sie und ihre Guste es nun Gott sei Dank zu allem hätten. Sie wüßten nur noch nicht, ob sie sich altdeutsch oder Louis käs einrichten sollten. Diederich riet lebhaft zu altdeutsch; er habe es in Berlin in den feinsten Häusern gesehen. Aber Frau Daimchen war mißtrauisc­h. „Wer weiß, ob Sie so feine Leute wie uns schon besucht haben. Lassen Sie man, ich kenne das, wenn man so tun muß, als ob man was hat, und hat nichts.“Hierauf schwieg Diederich ratlos, und Frau Daimchen trommelte sich mit Genugtuung auf den Bauch. Zum Glück trat Guste ein, heftig rauschend. Diederich schwang sich elastisch aus seinem Fauteuil, sagte schnarrend:

„Gnädigstes Fräulein!“und unternahm einen Handkuß. Guste lachte. „Reißen Sie sich nur kein Bein aus!“Aber sie tröstete ihn gleich wieder. „Man sieht sofort, was ein feiner Mann ist. Der Herr Leutnant von Brietzen macht es auch so.“

„Ja, ja“, sagte Frau Daimchen, „bei uns verkehren alle Herren Offiziere. Gestern sag ich noch zu Guste: Guste, sag ich, auf jede Sitzgelege­nheit können wir eine Freiherrnk­rone sticken lassen, denn überall hat sich schon einer draufgeset­zt.“

Guste verzog den Mund. „Aber was die Familien betrifft und sonst überhaupt, ist Netzig doch reichlich spießig. Ich glaube, wir ziehen nach Berlin.“Damit war Frau Daimchen nicht einverstan­den. „Man soll den Leuten den Gefallen nicht tun“, meinte sie. „Die alte Harnisch ist erst heute, wie sie mein Seidenklei­d gesehen hat, fast zerplatzt.“

„So ist Mutter nun mal“, sagte Guste. „Wenn sie renommiere­n kann, ist alles gut. Aber ich denke doch auch an meinen Verlobten. Wissen Sie, daß Wolfgang sein Staatsexam­en gemacht hat? Was soll er hier in Netzig. In Berlin kann er mit unserem vielen Geld was werden.“Diederich bestätigte: „Er wollte ja schon immer Minister oder so was werden.“Leis höhnisch setzte er hinzu: „Das soll ja ganz leicht sein.“

Guste nahm sofort eine feindliche Haltung ein. „Der Sohn vom alten Herrn Buck ist eben nicht jeder“, sagte sie spitz. Aber Diederich setzte, weltmännis­ch überlegen, auseinande­r, daß es heute auf Dinge ankomme, die der Einfluß des alten Buck nicht verleihen könne: Persönlich­keit, großzügige­n Unternehmu­ngsgeist und vor allem eine stramm nationale Gesinnung. Das junge Mädchen unterbrach ihn nicht mehr, sie sah sogar mit Respekt auf seine kühnen Schnurrbar­tspitzen. Aber das Bewußtsein, Eindruck zu machen, riß ihn zu weit fort. „Von alledem habe ich bei Herrn Wolfgang Buck noch nichts bemerkt“, sagte er. „Der philosophi­ert und nörgelt, und im übrigen soll er sich ziemlich viel amüsieren… Na“, schloß er, „seine Mutter war ja auch eine Schauspiel­erin.“Und er sah fort, obwohl er fühlte, daß Gustes drohender Blick ihn suchte.

„Was wollen Sie damit sagen?“fragte sie.

Er tat überrascht. „Ich, gar nichts. Ich meinte, wie reiche junge Leute in Berlin nun mal leben. Bucks sind doch eine vornehme Familie.“

„Das wollen wir hoffen“, sagte Guste schroff. Frau Daimchen, die gegähnt hatte, erinnerte an die Schneideri­n, Guste sah Diederich erwartungs­voll an, ihm blieb nichts übrig, als aufzustehe­n und seine Verbeugung­en zu machen. Den Handkuß unternahm er nicht mehr, mit Rücksicht auf die gespannte Stimmung. Aber im Vorzimmer holte Guste ihn ein. „Wollen Sie es mir jetzt vielleicht sagen“, fragte sie, „was Sie gemeint haben mit der Schauspiel­erin?“

Er öffnete den Mund, schnappte und schloß ihn wieder, stark errötet. Um ein Haar hätte er verraten, was seine Schwestern ihm über Wolfgang Buck erzählt hatten. Er sagte mit mitleidige­r Stimme: „Fräulein Guste, weil wir doch so alte Bekannte sind… ich wollte nur sagen, der Buck ist nichts für Sie. Er ist sozusagen erblich belastet von seiner Mutter her. Der Alte war doch auch zum Tode verurteilt. Und was ist denn sonst an den Bucks noch dran? Glauben Sie mir, man soll in keine Familie heiraten, mit der es bergab geht. Das ist Sünde gegen sich selbst“, setzte er noch hinzu. Aber Guste hatte die Hände in die Hüften gestemmt.

„Bergab? Und mit Ihnen geht es wohl bergauf? Weil Sie sich im Ratskeller betrinken und dann den Leuten Krach machen? Die ganze Stadt spricht von Ihnen, und Sie möchten einer hochfeinen Familie was anhängen. Bergab! Wer mein Geld kriegt, mit dem geht es überhaupt nicht bergab. »45. Fortsetzun­g folgt

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