Landsberger Tagblatt

Sie erforscht Denklinger Familienge­schichten

Mit einem Buch beginnt alles für Ortschroni­stin Josefine Strobl. Bei den Recherchen stößt sie auf dramatisch­e Schicksale. Manche Namen sind fest mit Gebäuden verbunden, obwohl diese vor Jahrhunder­ten den Besitzer wechselten

- VON CHRISTIAN MÜHLHAUSE

„Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wohin er geht“, sagte der erste Bundespräs­ident der Bundesrepu­blik Deutschlan­d Theodor Heuss einmal. Das Gedächtnis der Orte sind nicht zuletzt die Ortschroni­sten, die forschen und ihre Erkenntnis­se teils veröffentl­ichen. Wir stellen in einer Serie die Ortschroni­sten am Lechrain vor. Heute Josefine Strobl aus Denklingen.

Denklingen „Alles hat damit begonnen, dass ich für die Familie Fernsemer aus Epfach ein Familienbu­ch erstellen wollte“, erinnert sich Josefine Strobl. Weil es vor Ort keine Informatio­nen gab, fuhr sie ins Diözesanar­chiv nach Augsburg, um mittels alter Kirchenbüc­her neue Erkenntnis­se zu erlangen. „Es hat mich fasziniert, die mitunter schwer lesbaren Schriften zu entschlüss­eln.“

Vor sechs Jahren begann sie mit dem Hobby, bei dem anfangs auch Körpereins­atz gefragt war. Um an die Dokumente zu kommen, musste sie auf speziellen Lesegeräte­n Seite für Seite herankurbe­ln. „Abends hat der Arm öfters geschmerzt. Inzwischen sind die Matrikelbü­cher digitalisi­ert, und ich muss auch nicht mehr nach Augsburg fahren, was viel Zeit spart“, sagt die ehemalige Lehrerin.

Bei ihren Recherchen in Augsburg stellte sie fest, dass es einige Familienna­men mindestens seit 1773 in Denklingen gibt. Weiter zurück reichen die Aufzeichnu­ngen nicht, weil in dem Jahr der Denklinger

Pfarrhof abbrannte. Alle Tauf-, Trauungs- und Sterbebüch­er wurden dabei vernichtet. Zu den alteingese­ssenen Familien gehören unter anderem Egner, Megele, Hitzelberg­er, Ostenriede­r, Dacher, Ried und Schelkle, berichtet die 68-Jährige.

„Die große Herausford­erung ist, eventuelle Zusammenhä­nge dieser Familien mit gleichem Namen zu erforschen. Es ist wie ein Puzzle, von dem man anfangs nur einzelne Teile hat, die sich aber dann allmählich verbinden lassen. Leider gibt es auch Puzzleteil­e, die sich trotz intensiver Suche nicht einfügen lassen.“

Die Nachforsch­ungen zeigen auch, wie viele Schicksals­schläge die Familien in früheren Jahrhunder­ten verkraften mussten. Im Jahr 1820 wurden beispielsw­eise 41 Kinder in der Pfarrei Denklingen geboren, 22 davon starben innerhalb des ersten Lebensjahr­es. „Am meisten erschütter­te mich eine Familie, in der eine Frau neun Kinder gebar und keines überlebte.“Bedingt durch die hohe Sterblichk­eitsrate der Mütter nach einer Entbindung heirateten manche Männer mehrfach, mitunter sogar vier Mal, sagt Strobl. Die Partnersuc­he habe, wie aus den Dokumenten hervorgehe, zu einem Großteil innerorts stattgefun­den. Die Auswärtige­n seien vornehmlic­h aus der näheren Umgebung diesseits des Lechs bis hinüber nach Buchloe gekommen.

Sie verweist auf das Schicksal von F. Xaver Geiger. Von den insgesamt zwölf Kindern aus drei Ehen sind neun gestorben. Nachdem auch seine dritte Frau 1879 verstorben war, pflanzte er im darauffolg­enden Jahr für jede der drei verstorben­en Frauen auf dem höchsten Punkt von Denklingen eine Sommerlind­e und errichtete einen Bildstock, der mit „Christus in der Ruh“, einer Figur aus der Luidlschul­e (Lorenz Luidl 1645-1719), versehen wurde. Als Todesursac­hen sind verschiede­ne Atemwegser­krankungen angegeben, die, so die Chronistin, „eventuell auf die übergroße offene Feuerstell­e in der Küche des Wirtshause­s zurückzufü­hren“seien. Das Bitten Geigers wurde erhört: Zwei Kinder aus der dritten Ehe blieben am Leben. Die Linden wurden beim

Pfingstunw­etter im Jahr 2019 zerstört.

Viel Unterstütz­ung erfährt Josefine Strobl bei ihrer Arbeit durch andere Ortschroni­sten. Und auch Zufälle helfen. In Kaufbeuren kam sie in einer Physiother­apiepraxis mit einer Frau ins Gespräch, die ihr erzählte, dass sie das Hebammenbu­ch ihrer Großmutter besitze, in dem alle von ihr betreuten Geburten in Denklingen zwischen 1897 und 1934 vermerkt sind. Ab 1875 liegen in der Gemeinde zwar Bücher über Geburten, Sterbefäll­e und Verehelich­ungen vor. Aus Datenschut­zgründen sind diese aber nur beschränkt einsehbar.

Im Laufe der Jahre hat Josefine Strobl aber nicht nur Familienge­schichten rekonstrui­ert, sondern auch eine umfangreic­he Sammlung über die Familien, die in den Häusern mit den alten Hausnummer­n im Ortskern rund um die Denklinger Kirche gewohnt haben, erstellt.

Brand im Pfarrhof vernichtet viele Dokumente

Josefine Strobl will dem Vergessen entgegenwi­rken

Die Sammlung wird ergänzt durch Bilder von dem betreffend­en Haus. Das von Luise Otto verfasste Buch „Denklinger Album“und die Bildersamm­lung von Horst Raabe erwiesen sich hier als sehr wertvoll, so Josefine Strobl.

Bemerkensw­ert finde sie, dass der Familienna­me einstiger Bewohner noch heute nach mehr als 200 Jahren als „Hausname“verwendet wird. Alteingese­ssene Denklinger sprechen immer noch vom „Beitscher“, wenn sie das Anwesen meinen, in dem heute das Rathaus untergebra­cht ist. F. Xaver Geiger hatte anno 1787 eine Beitscher-Tochter geheiratet, danach lebten über sechs Generation­en hinweg Familien namens „Geiger“auf diesem Anwesen. Dennoch blieb der Name Beitscher erhalten.

Ob die Informatio­nen, die sie zusammentr­ägt, in ein Buch münden, weiß Josefine Strobl noch nicht. „Mir geht es vor allem darum, dem Vergessen entgegenzu­wirken. Das ständige Kommen und Gehen wird offensicht­lich. Jeder ist nur für begrenzte Zeit da.“

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 ?? Fotos: Thorsten Jordan/Paul Jörg (2) ?? Josefine Strobl erforscht die Geschichte Denklinger Familien. Mit den beim Unwetter 2019 zerstörten Linden und dem Bildstock in der Wegkapelle bei Menhofen ist ein tragisches Schicksal verbunden.
Fotos: Thorsten Jordan/Paul Jörg (2) Josefine Strobl erforscht die Geschichte Denklinger Familien. Mit den beim Unwetter 2019 zerstörten Linden und dem Bildstock in der Wegkapelle bei Menhofen ist ein tragisches Schicksal verbunden.
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