Sie erforscht Denklinger Familiengeschichten
Mit einem Buch beginnt alles für Ortschronistin Josefine Strobl. Bei den Recherchen stößt sie auf dramatische Schicksale. Manche Namen sind fest mit Gebäuden verbunden, obwohl diese vor Jahrhunderten den Besitzer wechselten
„Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wohin er geht“, sagte der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland Theodor Heuss einmal. Das Gedächtnis der Orte sind nicht zuletzt die Ortschronisten, die forschen und ihre Erkenntnisse teils veröffentlichen. Wir stellen in einer Serie die Ortschronisten am Lechrain vor. Heute Josefine Strobl aus Denklingen.
Denklingen „Alles hat damit begonnen, dass ich für die Familie Fernsemer aus Epfach ein Familienbuch erstellen wollte“, erinnert sich Josefine Strobl. Weil es vor Ort keine Informationen gab, fuhr sie ins Diözesanarchiv nach Augsburg, um mittels alter Kirchenbücher neue Erkenntnisse zu erlangen. „Es hat mich fasziniert, die mitunter schwer lesbaren Schriften zu entschlüsseln.“
Vor sechs Jahren begann sie mit dem Hobby, bei dem anfangs auch Körpereinsatz gefragt war. Um an die Dokumente zu kommen, musste sie auf speziellen Lesegeräten Seite für Seite herankurbeln. „Abends hat der Arm öfters geschmerzt. Inzwischen sind die Matrikelbücher digitalisiert, und ich muss auch nicht mehr nach Augsburg fahren, was viel Zeit spart“, sagt die ehemalige Lehrerin.
Bei ihren Recherchen in Augsburg stellte sie fest, dass es einige Familiennamen mindestens seit 1773 in Denklingen gibt. Weiter zurück reichen die Aufzeichnungen nicht, weil in dem Jahr der Denklinger
Pfarrhof abbrannte. Alle Tauf-, Trauungs- und Sterbebücher wurden dabei vernichtet. Zu den alteingesessenen Familien gehören unter anderem Egner, Megele, Hitzelberger, Ostenrieder, Dacher, Ried und Schelkle, berichtet die 68-Jährige.
„Die große Herausforderung ist, eventuelle Zusammenhänge dieser Familien mit gleichem Namen zu erforschen. Es ist wie ein Puzzle, von dem man anfangs nur einzelne Teile hat, die sich aber dann allmählich verbinden lassen. Leider gibt es auch Puzzleteile, die sich trotz intensiver Suche nicht einfügen lassen.“
Die Nachforschungen zeigen auch, wie viele Schicksalsschläge die Familien in früheren Jahrhunderten verkraften mussten. Im Jahr 1820 wurden beispielsweise 41 Kinder in der Pfarrei Denklingen geboren, 22 davon starben innerhalb des ersten Lebensjahres. „Am meisten erschütterte mich eine Familie, in der eine Frau neun Kinder gebar und keines überlebte.“Bedingt durch die hohe Sterblichkeitsrate der Mütter nach einer Entbindung heirateten manche Männer mehrfach, mitunter sogar vier Mal, sagt Strobl. Die Partnersuche habe, wie aus den Dokumenten hervorgehe, zu einem Großteil innerorts stattgefunden. Die Auswärtigen seien vornehmlich aus der näheren Umgebung diesseits des Lechs bis hinüber nach Buchloe gekommen.
Sie verweist auf das Schicksal von F. Xaver Geiger. Von den insgesamt zwölf Kindern aus drei Ehen sind neun gestorben. Nachdem auch seine dritte Frau 1879 verstorben war, pflanzte er im darauffolgenden Jahr für jede der drei verstorbenen Frauen auf dem höchsten Punkt von Denklingen eine Sommerlinde und errichtete einen Bildstock, der mit „Christus in der Ruh“, einer Figur aus der Luidlschule (Lorenz Luidl 1645-1719), versehen wurde. Als Todesursachen sind verschiedene Atemwegserkrankungen angegeben, die, so die Chronistin, „eventuell auf die übergroße offene Feuerstelle in der Küche des Wirtshauses zurückzuführen“seien. Das Bitten Geigers wurde erhört: Zwei Kinder aus der dritten Ehe blieben am Leben. Die Linden wurden beim
Pfingstunwetter im Jahr 2019 zerstört.
Viel Unterstützung erfährt Josefine Strobl bei ihrer Arbeit durch andere Ortschronisten. Und auch Zufälle helfen. In Kaufbeuren kam sie in einer Physiotherapiepraxis mit einer Frau ins Gespräch, die ihr erzählte, dass sie das Hebammenbuch ihrer Großmutter besitze, in dem alle von ihr betreuten Geburten in Denklingen zwischen 1897 und 1934 vermerkt sind. Ab 1875 liegen in der Gemeinde zwar Bücher über Geburten, Sterbefälle und Verehelichungen vor. Aus Datenschutzgründen sind diese aber nur beschränkt einsehbar.
Im Laufe der Jahre hat Josefine Strobl aber nicht nur Familiengeschichten rekonstruiert, sondern auch eine umfangreiche Sammlung über die Familien, die in den Häusern mit den alten Hausnummern im Ortskern rund um die Denklinger Kirche gewohnt haben, erstellt.
Brand im Pfarrhof vernichtet viele Dokumente
Josefine Strobl will dem Vergessen entgegenwirken
Die Sammlung wird ergänzt durch Bilder von dem betreffenden Haus. Das von Luise Otto verfasste Buch „Denklinger Album“und die Bildersammlung von Horst Raabe erwiesen sich hier als sehr wertvoll, so Josefine Strobl.
Bemerkenswert finde sie, dass der Familienname einstiger Bewohner noch heute nach mehr als 200 Jahren als „Hausname“verwendet wird. Alteingesessene Denklinger sprechen immer noch vom „Beitscher“, wenn sie das Anwesen meinen, in dem heute das Rathaus untergebracht ist. F. Xaver Geiger hatte anno 1787 eine Beitscher-Tochter geheiratet, danach lebten über sechs Generationen hinweg Familien namens „Geiger“auf diesem Anwesen. Dennoch blieb der Name Beitscher erhalten.
Ob die Informationen, die sie zusammenträgt, in ein Buch münden, weiß Josefine Strobl noch nicht. „Mir geht es vor allem darum, dem Vergessen entgegenzuwirken. Das ständige Kommen und Gehen wird offensichtlich. Jeder ist nur für begrenzte Zeit da.“