Landsberger Tagblatt

Ein sehnsüchti­ger Blick über die Grenze

Im Zwei-Länder-Eck am Bodensee werden die Unterschie­de besonders deutlich. Während die Schweizer in den Biergarten gehen, bleibt in Deutschlan­d alles dicht

- VON MARCEL JUD

Konstanz/Kreuzlinge­n Keine Zeit habe der Chef, sagt die Mitarbeite­rin des Kreuzlinge­r Hafenresta­urants Alti Badi entschuldi­gend. Derzeit sei einfach zu viel los, als dass Zeit wäre für ein Interview. Das Restaurant am Schweizer Ufer des Bodensees ist gut besucht. In einer kurzen Schlange warten Gäste darauf, dass ein Tisch frei wird. Die Öffnung der Außengastr­onomie geht in der Schweiz mit klaren Regeln einher: pro Tisch sind maximal vier Personen erlaubt (Ausnahme: Eltern mit Kindern), Gäste müssen ihre Kontaktdat­en angeben, Hygienemas­ken dürfen auch am Tisch nur während des Essens und Trinkens abgenommen werden. Und zwischen den Tischen sind entweder Abstände von 1,5 Metern oder Trenneleme­nte vorgeschri­eben. Wenige Kilometer weiter, im deutschen Konstanz: verwaiste Restaurant­terrassen, leere Biergärten, Absperrbän­dern und gestapelte Stühle. Die Gastronomi­ebetriebe dürfen seit rund einem halben Jahr keine Gäste mehr empfangen, nur Abholund Lieferdien­ste anbieten.

Die eklatanten Unterschie­de des Corona-Alltags in europäisch­en Ländern werden jetzt im Zwei-Länder-Eck auf engstem Raum besonders deutlich: In der Schweiz dürfen seit einer Woche Restaurant­terrassen, Kinos, Theater und Fitnesscen­ter unter Auflage von Schutzkonz­epten wieder öffnen. Open-AirKonzert­e und Fußballspi­ele dürfen wieder mit begrenztem Publikum stattfinde­n. Museen und Geschäfte sind schon länger wieder auf. In der Region Konstanz-Kreuzlinge­n sind die zwei Länder praktisch zu einem großen Lebensraum zusammenge­wachsen, aber hinter den Grenzen ist die Lage völlig anders: In Deutschlan­d liegt das öffentlich­e Leben weiter praktisch lahm.

Die Schweizer Regierung hatte sich trotz steigender Infektions­zahlen zu den Öffnungen entschloss­en. „Die Zahlen steigen zwar, aber nicht sehr stark“, sagte Gesundheit­sminister Alain Berset jüngst. Die Impfungen zeigten Wirkung. Deshalb sei man bereit, „etwas mehr Risiken einzugehen“. Die Zahl der Krankenhau­seinweisun­gen war seit Anfang April rückläufig. 9,8 Prozent der Einwohner waren vollständi­g geimpft. Über 14 Tage lag die Inzidenz bei den gemeldeten Neuansteck­ungen pro 100000 Einwohner am 26. April bei 325. Das Land wird weiterhin als Covid-19 Risikogebi­et eingestuft, verbunden mit einer Reisewarnu­ng durch die deutschen Behörden.

Viel Platz ist auf der Terrasse der „Traube“am Zoll. Das Restaurant liegt in Kreuzlinge­n direkt neben dem Grenzüberg­ang nach Deutschlan­d. Doch auch wenn gerade nur zwei ihrer Tische besetzt sind, trägt Kim Pajaziti ein strahlende­s Lächeln im Gesicht. Die erste Woche seit den Lockerunge­n sei sehr gut angelaufen, sagt die Wirtin. „Ich habe nicht erwartet, dass so viele kommen“, sagt Kim Pajaziti. Man habe gemerkt, wie sehr die Stammkunde­n, zu denen vor allem Ältere und Alleinsteh­ende zählten, sie vermisst hätten. „Die Dankbarkei­t ist groß.“

Und auch wenn ein weiterer wichtiger Zweig des Restaurant­s, die Vereinstre­ffen, derzeit wegfalle, resümiert die Wirtin: „Ich rechne damit, dass wir zum Monatsende mindestens 60 Prozent des normalen Umsatzes erzielen werden.“Denn neben den Stammkunde­n kämen auf einmal auch junge Leute zu ihr, vor allem abends. Und das auch aus Deutschlan­d. Doch das hat sich geändert: Erst am Freitagabe­nd sei eine Gruppe junger Konstanzer bei ihr gewesen. „Weil drüben alles zu hat. Und die wollten auch um 22 Uhr noch bleiben, obwohl es bereits kalt war.“Eigentlich braucht es für den Aufenthalt im Nachbarlan­d einen triftigen Grund - Einkaufen und Tourismus fallen nicht darunter. Wer trotzdem über die Grenze geht, muss anschließe­nd in Quarantäne. Es gibt Ausnahmen, etwa für vollständi­g Geimpfte.

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Foto: dpa In der Schweiz genießen die Gäste die Sonne im Biergarten.

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