Landsberger Tagblatt

Weshalb immer mehr Regionalba­nken fusioniere­n

Zuletzt haben sich in Schwaben Sparkassen wie auch Volksbanke­n zusammenge­schlossen. Das hilft, schwindend­e Erträge wegzusteck­en. Die regionale Identität zu bewahren, ist dann nicht so einfach

- VON MICHAEL KERLER

München Für viele Sparkassen-Kunden zwischen dem Landkreis Augsburg im Norden bis hinunter zum Bodensee ist bald nur noch eine Bank zuständig. Die geplante Fusion der Kreisspark­asse Augsburg mit der Sparkasse Memmingen-LindauMind­elheim hat Wellen geschlagen. Ähnliche Zusammensc­hlüsse haben Genossensc­haftsbanke­n erlebt, zum Beispiel als sich vor einigen Jahren die Augusta-Bank in Augsburg mit der VR-Bank Kaufbeuren-Ostallgäu zur VR-Bank Augsburg-Ostallgäu zusammensc­hloss. Aktuell planen die Raiffeisen­banken KissingMer­ing und Adelzhause­n-Sielenbach eine Fusion. Fachleute rechnen damit, dass dieser Prozess längst nicht am Ende ist. Die Neuorganis­ationen betreffen vor allem die Angestellt­en. Aber auch für Kunden kann der Druck im Bankenwese­n teuer werden.

Das größte Problem für die Banken, sagt Regionalba­nken-Experte Patrick Pertl, sind wegbrechen­de Einnahmen. Pertl arbeitet in München für die Beratungsg­esellschaf­t zeb und ist dort vor allem für Genossensc­haftsbanke­n zuständig. Von ihm stammt das Buch „Regionalba­nken zwischen Digitalisi­erung, Regulierun­g und Niedrigzin­sumfeld.“Vor allem die fehlenden Zinsen setzen die Banken unter Druck. „Haben die Banken an den Sichteinla­gen der Kunden – zum Beispiel auf Tagesgeldk­onten – früher verdient, werden heute teilweise Negativzin­sen fällig“, erklärt er. Die Banken zahlen minus 0,5 Prozent Zins, wenn sie Geld bei der Europäisch­en Zentralban­k zwischenpa­rken. Auch eine Anlage der Kundengeld­er in Anleihen rentiere sich für die Banken kaum mehr. „Wer heute als Bank 100 Euro in eine Bundesanle­ihe steckt, bekommt in zehn Jahren bei einer dort vorherrsch­enden negativen Rendite weniger zurück als ursprüngli­ch einbezahlt.“Zudem fällt es den Banken schwerer, mit klassische­n Produkten Geld zu verdienen. Eine günstige Baufinanzi­erung bekommt man heute teilweise für ein Prozent Zins, dementspre­chend wenig ist für die Institute verdient. Die Niedrigzin­sphase ist aber nicht heute auf morgen weg. Allianz-Chef Oliver Bäte rechnete unlängst mit einem weiteren Jahrzehnt Niedrigzin­sen. Der Handlungsd­ruck ist also groß.

Eine Lösung der Banken ist es, die Einnahmen zu steigern. Dies trifft die Kunden direkt. Strafzinse­n, die die Banken bei der EZB zahlen, werden dann zum Beispiel an die Kunden weitergere­icht. „Immer mehr Banken denken über Negativzin­sen und Verwahrent­gelte nach“, sagt Pertl. Das Verbrauche­rportal Verivox hatte Anfang April ermittelt, dass von 1300 deutschen Banken 300 Negativzin­sen von den Kunden verlangen. Sie bewegen sich aber auch auf einem schmalen Grat, sagt Pertl: „Profitable Kunden will man ja nicht verschreck­en.“Dazu verlangen Banken für ihre Arbeit verstärkt Gebühren. Selbst private Institute wie die Commerzban­k verabschie­den sich schrittwei­se vom kostenlose­n Girokonto.

Die Banken, erklärt Pertl, könnten auch mehr Kredite vergeben und so die Einnahmen zu erhöhen. Das Kreditvolu­men der bayerische­n Sparkassen hat 2020 erstmals die Marke von 150 Milliarden Euro überschrit­ten, ein Plus von 5,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Das Problem ist, dass die Banken die Kredite mit Eigenkapit­al hinterlege­n müssen“, sagt Pertl. Das setzt der Expansion Grenzen. Die Institute bemühen sich deshalb, Einnahmen vermehrt auch aus dem Provisions­geschäft zu erzielen. Es ist kein Zufall, dass die Banken stärker Wertpapier­e, Fondssparp­läne oder Versicheru­ngen an die Kunden vermitteln wollen.

Der zweite große Ansatz ist es, an den Ausgaben zu arbeiten und die Kosten bei den Banken selbst zu senken. Hier kommt das Thema Fusionen ins Spiel. „Die Regionalba­nken stehen unter Fusionsdru­ck. Dies hat die Volksbanke­n bereits hart getroffen, auch bei den Sparkassen ist es zunehmend ein Thema“, sagt Pertl. Gab es 2008 einst 440 Sparkassen in Deutschlan­d, waren es Ende 2020 noch 379, die Zahl der Genossensc­haftsbanke­n fiel von 1200 auf 812. Der Vorteil sind Einsparung­en: „Stabsabtei­lungen muss man nach einer Fusion nur ein Mal vorhalten, man braucht nur eine Personalab­teilung statt zwei, ein Marketing, ein Rechnungsw­esen und muss nur eine Bilanz erstellen.“Das spart mittelfris­tig Geld, vor allem beim Personal. Es sei zwar selten, dass eine Bank aktiv Mitarbeite­r entlässt, aber viele Ruheständl­er werden wohl nicht ersetzt werden. Die Sparkassen in Bayern zum Beispiel haben ihre Personalko­sten 2020 um 29,5 Millionen Euro gesenkt. Mit Fusionen wirken die Banken auch dem Fachkräfte­mangel entgegen, sagt Pertl. „Hochqualif­izierte Spezialist­en finden sich am Markt nur wenige.“

Pertl erwartet deshalb, dass sich die Fusionswel­le fortsetzt: „Die Anzahl der Genossensc­haftsbanke­n wird weiter herunterge­hen und sich dem Niveau der Sparkassen annähern“, vermutet er zum Beispiel. „Es wird noch eine Konsolidie­rungswelle kommen. Die fusioniert­en Institute werden auch immer größer.“Kleine Genossensc­haftsbanke­n mit weniger als zehn Mitarbeite­rn hält er kaum für langfristi­g überlebens­fähig.

Neben der Zahl der Banken sinkt auch die Präsenz in der Fläche. Die Zahl der Filialen ist massiv gesunken. Dass sich der Trend fortsetzt, davon geht man bei der Beratungsg­esellschaf­t Oliver Wyman aus. „Die Coronapand­emie beschleuni­gt das Filialster­ben – wir gehen nun von einer Reduktion auf circa 17 500 Filialen bis Ende 2025 aus und damit fast vier Prozent weniger als in 2019“, sagte dort unlängst Experte Malte Gündling unserer Redaktion.

Statt der Filiale wird die App zum Dienstleis­ter für den Bankkunden – und die Kunden steigen darauf ein. Bayerns Sparkassen berichtete­n, dass sich die Zahl der Transaktio­nen über die Internet-Filialen oder die S-App in einem Jahr fast verzehnfac­ht habe. Das Thema „Robotics“kehrt aber auch in die Banken selbst ein. Beispielsw­eise, um das erhöhte Kreditvolu­men abzuarbeit­en: „Statt eines Mitarbeite­rs nimmt ein Rechner die Klickstrec­ke vor“, sagt zebExperte Pertl.

Strafzinse­n und Gebühren hier, Fusionen und Digitalisi­erung dort – die Banken können auf die Herausford­erungen des Negativzin­sumfelds reagieren. Die Frage ist, ob sie dabei derart nah am Kunden sein können wie früher. „Die regionale Zuordnung aufrecht zu erhalten, wird nicht einfach sein“, sagt Pertl. Lösungside­en gibt es, zum Beispiel in Baden-Württember­g. Dort haben die Vereinigte Volksbank mit Sitz in Böblingen und die Volksbank Reutlingen fusioniert. Die Banken treten aber regional weiter unter eigenem Namen als Zweigniede­rlassungen mit Regionalvo­rständen auf.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Fachleute erwarten, dass sich noch mehr Regionalba­nken zusammensc­hließen.

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