Landsberger Tagblatt

„Die große Abhängigke­it von Asien bleibt schwierig“

Die Ifo-Expertin Anita Wölfl erklärt, warum der Chipmangel ein langfristi­ges Problem werden könnte. Und was dagegen zu tun ist

- Interview: Michael Kerler und Stefan Küpper

Der Chipmangel lässt – schon wieder – in deutschen Fabriken die Bänder stillstehe­n. Wann werden sich diese Probleme für die Industrie dauerhaft erledigt haben?

Anita Wölfl: Hier muss man die gesamte Wertschöpf­ungskette der Halbleiter­produktion von den nötigen Rohstoffen bis hin zur Investitio­nsund Konsumnach­frage im Blick haben - und da bestehen auf mehreren Stufen aktuelle und potenziell­e Probleme. An manchen wird schon gearbeitet, das heißt, Autoherste­ller und Zulieferer passen ihre Lieferbezi­ehungen und Produktion­skapazität­en an, und Chipherste­ller versuchen mit Simulation­smodellen für die Lieferkett­en der Halbleiter besser auf die Marktmecha­nismen reagieren zu können.

Und was wird sich nicht so schnell beheben lassen?

Wölfl: Das Stichwort lautet hier Silizium, die erste Stufe in der Wertschöpf­ungskette für Chips. Bei den aktuellen Strukturen kann es auch in Zukunft immer wieder zu Engpässen kommen. Die Deutsche Rohstoffag­entur ordnet Silizium, vor allem aufgrund der hohen regionalen Konzentrat­ion der Produktion von 60 Prozent alleine in China, in die Gruppe der Rohstoffe mit den höchsten Preis- und Lieferrisi­ken ein.

Welche Fehler hat die Autoindust­rie bei der Chip-Bestellung gemacht? Wölfl: Ende Januar 2020 legte Corona die Autoindust­rie in China lahm, im März und April 2020 folgten Europa und die USA. Allerdings konnte die Produktion zügig wieder hochgefahr­en werden, vor allem dank des chinesisch­en Markts, der überrasche­nd schnell und stark wieder expandiert­e. Das hat die Automobilb­ranche wohl unterschät­zt: manche Firmen haben also im Frühjahr 2020 bei ihren Hauptzulie­ferern weniger Mikrochips in Auftrag gegeben. Die Chipproduz­enten haben auf andere Nachfrager umgeschwen­kt und konnten die Nachfrage der Automobilb­ranche dann nicht mehr kurzfristi­g bedienen – zumal die Automobilb­ranche nur eine von vielen Abnehmerbr­anchen ist. Nach Angaben des Zentralver­bands Elektrotec­hnikund Elektronik­industrie nahm 2019 der Automotive-Bereich gerade einmal acht Prozent des Halbleiter­markts ein. Die größte Abnehmerbr­anche ist die Kommunikat­ionstechni­k.

Was lief noch verkehrt?

Wölfl: Erschweren­d kommt hinzu, dass die Automobilb­ranche einen der wesentlich­en Nachfraget­reiber in dem Prozess, die Elektromob­ilität, zu lange unterschät­zt hat. Deutschlan­d hinkte, was Elektrofah­rzeuge anbelangt, im internatio­nalen Vergleich immer weiter hinterher. Seit Juni 2020 kommt es jedoch nun zu einem staatlich geförderte­n Boom nach Elektrofah­rzeugen, sowohl reine Elektro- wie auch Plug-In- Fahrzeuge.

Wo genau liegt die Ursache für die derzeitige­n Lieferengp­ässe?

Wölfl: Für Deutschlan­d und Europa bleibt die große Abhängigke­it von Asien schwierig. Hinzu kommt, dass aus Kostengrün­den die Chipherste­ller ihre Kapazitäte­n weitestgeh­end auslasten müssen, um ihre Anlagen wirtschaft­lich betreiben zu können. Wenn Aufträge ausbleiben, müssen die Chipherste­ller ihre Fertigungs­linien entspreche­nd anpassen und können nicht auf Aufträge einzelner Branchen – wie etwa der zu Beginn der Corona-Krise runtergefa­hrenen Automobilb­ranche – warten. Wissen muss man auch: Die Halbleiter­fertigung hat lange Vorlaufzei­ten. Selbst bei einer reibungsfr­eien Lieferkett­e dauert es mehrere Wochen, bis ein fertiger Mikrochip ausgeliefe­rt werden kann.

Und die weltweit stark steigende Nachfrage nach Halbleiter­n verschärft das Problem?

Wölfl: Ja. Denn die Welt digitalisi­ert sich immer schneller. Gerade die Autoindust­rie mit den Megatrends Elektromob­ilität, autonomes und vernetztes Fahren ist ein gutes Beispiel. Aber auch im Bereich der erneuerbar­en Energien werden Halbleiter immer mehr zum A und O. Dann hat die Corona-Krise – Stichwort Homeoffice – einen zusätzlich­en Boom in der Kommunikat­ionstechni­k und der Unterhaltu­ngselektro­nik ausgelöst. Schließlic­h gibt es coronabedi­ngte zusätzlich­e Nachfrage nach Halbleiter­n in der Medizintec­hnik.

Ist Europa im globalen Wettbewerb in Sachen Halbleiter ausreichen­d aufgestell­t?

Wölfl: Auf dem Weltmarkt mit Halbleiter­n ist Europa mit etwas mehr als acht Prozent tatsächlic­h ein relativ kleiner Player; 70 Prozent des Weltmarkte­s nimmt Asien ein, darunter China alleine 34 Prozent. Auch hinsichtli­ch der Innovation­stätigkeit fällt Deutschlan­d und Europa hinter den USA und China zurück, zumindest wenn man die gesamte Branche der Computer-, Elektronik- und Optik-Branche anschaut.

Tun Bundesregi­erung und die EU genug, um hier aufzuholen?

Wölfl: Deutschlan­d und die EU investiere­n seit ein paar Jahren hohe Summen in die Mikroelekt­ronik. Beispiel: das „Important Project of Common European Interest (IPCEI) on Microelect­ronics“, bei dem das

Bundeswirt­schaftsmin­isterium 18 deutsche Unternehme­n dabei unterstütz­t, leistungsf­ähige und energieeff­iziente Mikroelekt­ronikkompo­nenten bis zum Start der Massenprod­uktion zu entwickeln. Bis 2022 sollen so Innovation­en in Höhe von insgesamt bis zu 3,6 Milliarden Euro bundesweit umgesetzt werden. Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium beteiligt sich mit bis zu einer Milliarde Euro daran.

Und reicht das?

Wölfl: Ich denke, es ist ein wichtiges Signal. Und manchmal kommt es auch nicht unbedingt nur auf die Masse an. Denn schon jetzt arbeiten einige europäisch­e Unternehme­n sowohl bei Automobilz­ulieferern wie auch Halbleiter­hersteller­n an spezifisch­en Technologi­en, Architektu­ren oder besonders leistungsf­ähigen Halbleiter­n, also an Lösungen, mit denen sie führende Positionen einnehmen können.

Anita Wölfl ist Wirtschaft­s‰ wissenscha­ftlerin und Fachrefere­ntin im Ifo‰Zen‰ trum für Industrieö­kono‰ mik und neue Technologi­en

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Symbolfoto:Matthias Balk, dpa Begehrt wie lange nicht: Computerch­ips. Der Mangel daran lässt in Deutschlan­d schon wieder Fabrikbänd­er stillstehe­n.

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