Landsberger Tagblatt

Klare Botschaft und Wolfsgeheu­l

Die Oscars mal anders: Die 93. Verleihung der Academy Awards vor kleinem Publikum war eine wenig spektakulä­re Zeremonie, jedoch mit einer großen Gewinnerin und divers wie nie. Eine Betrachtun­g in Kategorien

- VON STEFANIE WIRSCHING

● Größte Gewinnerin Das Besondere verliert seinen Status nicht dadurch, dass man es erwartet. Die chinesisch­stämmige Regisseuri­n Chloé Zhao galt mit ihrem Roadmovie „Nomadland“über moderne Wanderarbe­iter in den USA als eine Favoritin. Zwei Oscars nahm sie entgegen, für den besten Film und die beste Regie. Man kann also kaum mehr in einem Jahr gewinnen (zusätzlich über 200 internatio­nale Film- und Festivalpr­eise), man kann aber auch kaum bescheiden­er auftreten als die 39-Jährige. „Egal, wohin in der Welt ich gegangen bin, ich habe immer Güte in den Menschen entdeckt“, bedankte sich Zhao, die als zweite Frau nach Kathryn Bigelow für Regie ausgezeich­nete wurde und als erste Nicht-Weiße! Zum ersten Mal auch waren überhaupt zwei Frauen nominiert.

● Größter Verlierer Ob man sich zu den Verlierern oder Siegern zählt, hängt vor allem von den eigenen Erwartunge­n ab. Und die Frage ist ja auch: Gibt es derzeit irgendwo größere Erwartunge­n als bei Netflix? Im Corona-Jahr ohne Kinos war der Streamingd­ienst der große Gewinner und hätte auch bei den Oscars abräumen können – mit 36 Nominierun­gen, darunter zehn für einen der Favoriten des Abends. Am Ende reichte es für die Filmbiogra­fie „Mank“von David Fincher „nur“für zwei Oscars, für die beste Kamera (Erik Messerschm­idt) und das beste Produktdes­ign. „Thank you Netflix“, der Satz fiel aber doch mehrfach. Sieben Auszeichnu­ngen gab es für den Streaming-Giganten. Unter anderem die Oscars für bestes Kostümdesi­gn (Ann Roth) sowie bestes Make-up und beste Frisuren für den Netflix-Film „Ma Rainey‘s Black Bottom“.

● Erstaunlic­hster Moment Immer wieder großartig, was man in Reden alles erwähnen kann, obwohl so wenig Zeit bleibt: Zum Beispiel, wie der Brite Daniel Kaluuya, Oscar als bester Nebendarst­eller für seine Rolle in „Judas and the Black Messiah“, das Wunder des Lebens feierte, sprich auch den eigenen Entstehung­sprozess: „Ich gehe, ich atme, meine Mutter und mein Vater hatten Sex, es ist erstaunlic­h“. Gewinnerin in dieser Kategorie dennoch Frances McDormand, ausgezeich­net als beste Hauptdarst­ellerin in Nomadland (Nummer drei übrigens für die 63-jährige Amerikaner­in): Sie bat bei der Rede zum besten

Film erst die Zuschauer, den Film wie auch alle anderen doch auf der größtmögli­chen Leinwand im Kino anzusehen, heulte danach, um ihren kürzlich verstorben­en Ton-Kollegen Michael Wolf Snyder zu ehren, wie ein einsamer Wolf.

● Größte Enttäuschu­ng Wenn Menschen Enttäuschu­ng überspiele­n können, dann wohl Schauspiel­er. Glenn Close (Hillibilly Elegy) jedenfalls lächelte sie mit Grandezza weg. Acht Mal nominiert, acht Mal leer ausgegange­n. Das ist Rekord für eine Schauspiel­erin. Youn Yuh-jun, die den Oscar als beste Nebendarst­ellerin für ihre Rolle als koreanisch­e Großmutter in „Minari“gewann, fand es auch unfassbar: „Ich hatte doch einfach nur Glück, wie kann ich denn gegen Glenn Close gewinnen.“Close, 74, schwenkte später zum Song „Da Butt“den Po, machte daraus den Act des Abends, kein Grund zur Sorge also. Youn Yuh-jun, 73, wiederum gestand eine kleine Enttäuschu­ng ein: Wo denn Brad Pitt, der den Preis anmoderier­te, all die Jahre gesteckt habe, als sie jünger gewesen sei.

● Berührends­te Rede Woran man sich erinnert – nie an die reinen Dankeswort­e. Sondern zum Beispiel an den vor Freude tanzenden Roberto Benigni 1999… Von den Oscars 2021 wird es neben der wunderbar witzigen Youn Yuh-jun vor allem der dänische Regisseur Vinterberg sein, der mit seiner traurig

Rede im Gedächtnis bleibt: Seinen Oscar für den besten internatio­nalen Film widmete er seiner Tochter Ida, die kurz nach Beginn der Dreharbeit­en für „Der Rausch“bei einem Autounfall starb. „Wenn wir uns nur trauen zu glauben, dass sie auf eine Weise hier bei uns ist – dann könntet ihr sie hier mit uns klatschen und jubeln sehen“, sagte Vinterberg: „Also Ida, das ist ein Wunder, das gerade passiert ist. Du bist Teil dieses Wunders.“

● Größte Überraschu­ng Etwa die Tatsache, dass es wirklich keine Getränke gab, obwohl das ganze Setting im Bahnhof Union Station in Los Angeles ja mit all den Tischchen und all dem Samt irgendwie an einen Nachtclub erinnerte? Oder doch, dass die Reihenfolg­e für die Verleihung geändert wurde, der beste Film völlig unüblich noch vor dem besten Schauspiel­ern verkündet wurde? Natürlich nicht. Vielleicht eher dies. Dass Regisseur Steven Soderbergh als Mitproduze­nt des Abends das Finale derartig missglückt­e. So razzfazz nämlich wie der Abend durchmoder­iert wurde, so abrupt wurde er beendet. Quasi als Rausschmei­ßer aus dem Klub verkündete Joaquin Phoenix noch schnell den besten Hauptdarst­eller: Anthony Hopkins für seine Rolle als demenzerkr­ankter Vater im Film „The Father“. Hopkins ist mit 83 Jahren damit ältester Schauspiel­er, der je einen Oscar für die Hauptrolle erhielt, war aber weder vor Ort noch wie andere per Kamera zugeschalt­et. Mutmaßen kann man nur, dass die Produzente­n erwartet hatten, dass der „Black Panther“-Star Chadwick Boseman posthum für seine Rolle in „Ma Rainey’s Black Bottom“ausgezeich­net werde – sie also mit einer großen emotionale­n Würdigung rechneten. Dann aber las Phoenix den Namen Hopkins vor ... Applaus, Abgang, Abspann.

● Bestes Kostüm Ein edles Strickklei­d aus feinem metallisch glitzernde­n Faden und dazu weiße Turnschuhe – ähnliches hatten die Macher der Show vielleicht im Sinn, als sie den Dresscode für den Abend als „Verschmelz­ung von inspiriere­nd und ambitionie­rt“beschriebe­n: Abermalige Siegerin also die fein bezopfte Chloé Zhao. Ansonsten: Tüll, Federn und viel Gold, verschmolz­en mit Homeoffice-Gemütlichk­eit – lässig vorgeführt von Questlove, Musik-Direktor der diesjährig­en Oscars, er kam in goldenen Crocs.

● Botschaft des Abends Zu alt, zu weiß, zu männlich – diese Vorwürfe kann man der Academy in diesem Jahr nicht machen. Noch nie waren so viele Frauen nominiert, noch nie so viele People of Colour, noch nie wurde so eindringli­ch über deren Lebenserfa­hrungen gesprochen. Den Ton des Abends setzte die oscarprämi­erte Schauspiel­erin Regina King als erste Moderatori­n, gedachte an George Floyd und erklärte: Sie hätte ihre High Heels gegen Wanfrohen derschuhe eingetausc­ht, wenn das Urteil in Minneapoli­s anders ausgegange­n wäre. Es wurde also tatsächlic­h eine andere Oscar-Verleihung – bei der mit Mia Neal und Jamika Wilson die ersten schwarzen Frauen für Make-up und Frisuren ausgezeich­net wurde, Youn Yuh-jung als zweite Asiatin seit 1957 einen Schauspiel-Oscar erhielt, Emerald Fennell als erste Frau nach 14 Jahren mit „Promising Young Woman“in der Kategorie bestes Drehbuch siegte,. in der Kategorie Kurzfilm mit „Two Distant Strangers“sich ein Beitrag über Polizeigew­alt in den USA durchsetzt­e... und Chloé Zhao zur großen Gewinnerin wurde. Für wichtigen Botschafte­n hat es die große Show noch nie gebraucht.

● Weitere Oscars: Adaptierte­s Drehbuch: Christophe­r Hampton/Florian Zeller für „The Father“Schnitt: Mikkel E.G. Nielsen für „Sound of Metal“

Filmmusik: Trent Reznor, Atticus Ross und Jon Batiste für „Soul“

Filmsong: H.E.R. für „Fight For You“Ton: „Sound of Metal“

Visuelle Effekte: „Tenet“Animations­film: „Soul“von Pete Docter und Dana Murray Animations‰Kurzfilm: „If Anything Hap‰ pens I Love You“von Will McCormack und Michael Govier

Dokumentar­film: „My Octopus Teacher“Pippa Ehrlich, James Reed, Craig Foster Dokumentar‰Kurzfilm: „Colette“von Anthony Giacchino und Alice Doyard

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Fotos: C.. Pizello, dpa Ein schüchtern­es Lächeln: Chloé Zhao (mittleres Bild rechts) nahm für „Nomadland“zwei Oscars entgegen, Nomadland‰Darsteller­in Frances McDormand gewann auch. Bester männlicher Nebendarst­eller wurde Daniel Kaluuya (links). Thomas Vinterberg erhielt den Oscar für den besten internatio­nalen Film.
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