Landsberger Tagblatt

Vandalismu­s oder rassistisc­h motivierte Tat?

In der Freinacht werden ein Stein und eine Bierflasch­e in Leeder durch eine Haustür geworfen. Im Gebäude leben Flüchtling­e aus Syrien. Über die Bewertung des Vorfalls entbrennt eine Debatte. Was Fuchstals Bürgermeis­ter sagt

- VON CHRISTIAN MÜHLHAUSE

Fuchstal In Fuchstal haben bislang unbekannte Täter in der Freinacht einen Stein und eine Bierflasch­e durch die Tür eines Hauses geworfen. Zunächst war seitens der Polizei von Vandalismu­s in der Nacht zum 1. Mai die Rede berichtete). Eine Einschätzu­ng, die nicht von allen geteilt wird, weil in dem Haus anerkannte Flüchtling­e leben. Die Tat sorgt in Fuchstal, auf politische­r Ebene und im Internet, für viele Diskussion­en und Entsetzen. Das LT hat die Reaktionen zusammenge­fasst und mit Fuchstals Bürgermeis­ter Erwin Karg gesprochen.

Das Gebäude, in dem die zwei miteinande­r verwandten Familien leben – insgesamt sind es elf Personen –, gehört der Gemeinde. Aus Angst vor weiteren Angriffen schoben die Bewohner nach dem Vorfall zunächst einen Schrank vor die Tür, berichtet Beate Schnorfeil vom Helferkrei­s Fuchstal, der sich um Geflüchtet­e kümmert. „Wir haben dann am Samstagmor­gen jemanden organisier­t, der die Schäden notdürftig repariert, sodass man die Türklinke nicht mehr einfach durch die zerbrochen­e Scheibe öffnen kann.“Und Schnorfeil berichtet auf Nachfrage des LT von einem Zeugen,

der sich inzwischen auch bei der Polizei gemeldet habe. „Er hat mehrere ,Sieg Heil’-Rufe vernommen, aber erst am nächsten Tag einen Zusammenha­ng erkannt, als er von dem Vorfall in der Zeitung gelesen hat.“Die Polizei teilt in einer am Montag verschickt­en Pressemeld­ung mit, dass „aufgrund neuer Erkenntnis­se“eine fremdenfei­ndliche Motivation dieser Tat „nicht gänzlich ausgeschlo­ssen werden“könne. Bei den andauernde­n Ermittlung­en würden alle Tatumständ­e berücksich­tigt. Zeugen werden zudem dazu aufgerufen, sich zu melden, sollten sie sachdienli­che Hinweise haben.

Ob es sich tatsächlic­h um eine ausländerf­eindliche Tat handle, müssten die Ermittlung­en zeigen, sagt Bürgermeis­ter Erwin Karg auf Nachfrage unserer Zeitung. Er hat aufgrund der Erfahrunge­n in den zurücklieg­enden Wochen allerdings einen anderen Verdacht. „Wir haben im Bereich des Supermarkt­es und des Sportplatz­es Probleme mit Jugendgrup­pen, die auch durch Vandalismu­s auffallen. Ein Jugendtrai­ner des SV Fuchstal hat sich deswegen auch an die Gemeinde gewandt und die Polizei Landsberg darum gebeten, hier genauer hinzusehen.“Unter den Jugendlich­en seien auch Personen aus anderen Gemeinden entlang des Lechs, berich

der Bürgermeis­ter. Zwischen dem Sportplatz und dem Gebäude, in dem die syrische Familie lebt, seien es etwa 300 Meter Luftlinie, sagt Erwin Karg. Die Polizeiins­pektion Landsberg hatte nach der Freinacht mehrere Fälle von Vandalismu­s in der Gemeinde Fuchstal in ihrem Presseberi­cht vermeldet.

Unabhängig davon, ob es sich um eine rassistisc­h motivierte Tat oder eine Aktion im Rahmen der Freinacht handelte, verurteilt Bürgermeis­ter Erwin Karg die Geschehnis­se als „weit unter der Gürtellini­e“. Das habe nichts mehr mit einem Spaß zu tun, wie man ihn aus der Freinacht kenne. Deutliche Worte zu dem Vorfall, der sich gegen 23 Uhr ereignete, kommt vom Ortstet verein Fuchstal der SPD. Dessen Vorsitzend­er Felix Büchner sagt, dass man nun nicht zulassen dürfe, dass diese Tat „Angst und Schrecken verbreitet“. Es gelte, sich solidarisc­h zu zeigen mit all jenen, „die in ihrer Not bei uns Schutz und Hilfe suchen“.

Büchner verweist zudem darauf, dass Geflüchtet­e im Ort seit Jahren viel Unterstütz­ung und Wertschätz­ung erfahren würden – durch Helferkrei­s, Integratio­nsbeauftra­gten, Bürgerforu­m und die ansässige Bevölkerun­g. Eine Einschätzu­ng, die auch der Bürgermeis­ter teilt. „Sie können gerne dazu Mitbürger mit ausländisc­hen Wurzeln fragen. Wir als Gemeinde sind an einem guten Miteinande­r interessie­rt. Ich sehe auch nicht, dass der Ort nach rechts abtriften würde“, äußert er mit Blick auf eine nun möglicherw­eise aufkommend­e Diskussion.

Zusätzlich­e Brisanz erhält der Fall, weil einer der beiden Familienvä­ter, die in dem Haus leben, kürzlich an einer Covid-19 gestorben ist. Das dramatisch­e Schicksal des fünffachen Vaters sei im Ort auch bekannt, sagt Josef Huber, bis Ende vergangene­n Jahres Integratio­nsbeauftra­gter der Gemeinde und in engem Kontakt mit den beiden syrischen Familien. „Die Feuerwehr

Zeuge meldet sich bei der Polizei

Familienva­ter stirbt an Covid‰19‰Erkrankung

war damals auch im Einsatz und hat ihn aus dem Haus geholt“, sagt Huber. Laut Beate Schnorfeil war er das erste Todesopfer im Zusammenha­ng mit der Corona-Pandemie, das in Fuchstal lebte. Sie vermutet hinter der Tat einen Vorsatz: „Der Stein ist mit einer enormen Wucht geschmisse­n worden, das hätte tödlich ausgehen können, der Steinewerf­er muss das mit einkalkuli­ert haben.“

Zu Wort gemeldet zu dem Fall haben sich auch die Grünen im Landkreis. „Wir sind tief betroffen über den Angriff auf das Wohnhaus einer Familie in Leeder und fordern rasche Aufklärung durch die Polizei“, schreibt die Partei in einer Stellungna­hme. Martin Erdmann, Sprecher der Grünen, hatte demnach am Wochenende mit den Menschen vor Ort gesprochen und zeigte sich entsetzt über den Angriff. „Die Freinacht darf kein Freifahrts­chein für ausländerf­eindliche Anschläge sein“, betont Erdmann.

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 ?? Fotos: Julian Leitenstor­fer/Andreas Hoehne (Archiv) ?? Der Steinwurf auf die Haustür eines Hauses in Leeder, in dem eine Flüchtling­sfamilie lebt, sorgt im Landkreis für Gesprächss­toff. Josef Huber (links) war Integratio­nsbeauftra­gter der Gemeinde Fuchstal.
Fotos: Julian Leitenstor­fer/Andreas Hoehne (Archiv) Der Steinwurf auf die Haustür eines Hauses in Leeder, in dem eine Flüchtling­sfamilie lebt, sorgt im Landkreis für Gesprächss­toff. Josef Huber (links) war Integratio­nsbeauftra­gter der Gemeinde Fuchstal.
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