Vandalismus oder rassistisch motivierte Tat?
In der Freinacht werden ein Stein und eine Bierflasche in Leeder durch eine Haustür geworfen. Im Gebäude leben Flüchtlinge aus Syrien. Über die Bewertung des Vorfalls entbrennt eine Debatte. Was Fuchstals Bürgermeister sagt
Fuchstal In Fuchstal haben bislang unbekannte Täter in der Freinacht einen Stein und eine Bierflasche durch die Tür eines Hauses geworfen. Zunächst war seitens der Polizei von Vandalismus in der Nacht zum 1. Mai die Rede berichtete). Eine Einschätzung, die nicht von allen geteilt wird, weil in dem Haus anerkannte Flüchtlinge leben. Die Tat sorgt in Fuchstal, auf politischer Ebene und im Internet, für viele Diskussionen und Entsetzen. Das LT hat die Reaktionen zusammengefasst und mit Fuchstals Bürgermeister Erwin Karg gesprochen.
Das Gebäude, in dem die zwei miteinander verwandten Familien leben – insgesamt sind es elf Personen –, gehört der Gemeinde. Aus Angst vor weiteren Angriffen schoben die Bewohner nach dem Vorfall zunächst einen Schrank vor die Tür, berichtet Beate Schnorfeil vom Helferkreis Fuchstal, der sich um Geflüchtete kümmert. „Wir haben dann am Samstagmorgen jemanden organisiert, der die Schäden notdürftig repariert, sodass man die Türklinke nicht mehr einfach durch die zerbrochene Scheibe öffnen kann.“Und Schnorfeil berichtet auf Nachfrage des LT von einem Zeugen,
der sich inzwischen auch bei der Polizei gemeldet habe. „Er hat mehrere ,Sieg Heil’-Rufe vernommen, aber erst am nächsten Tag einen Zusammenhang erkannt, als er von dem Vorfall in der Zeitung gelesen hat.“Die Polizei teilt in einer am Montag verschickten Pressemeldung mit, dass „aufgrund neuer Erkenntnisse“eine fremdenfeindliche Motivation dieser Tat „nicht gänzlich ausgeschlossen werden“könne. Bei den andauernden Ermittlungen würden alle Tatumstände berücksichtigt. Zeugen werden zudem dazu aufgerufen, sich zu melden, sollten sie sachdienliche Hinweise haben.
Ob es sich tatsächlich um eine ausländerfeindliche Tat handle, müssten die Ermittlungen zeigen, sagt Bürgermeister Erwin Karg auf Nachfrage unserer Zeitung. Er hat aufgrund der Erfahrungen in den zurückliegenden Wochen allerdings einen anderen Verdacht. „Wir haben im Bereich des Supermarktes und des Sportplatzes Probleme mit Jugendgruppen, die auch durch Vandalismus auffallen. Ein Jugendtrainer des SV Fuchstal hat sich deswegen auch an die Gemeinde gewandt und die Polizei Landsberg darum gebeten, hier genauer hinzusehen.“Unter den Jugendlichen seien auch Personen aus anderen Gemeinden entlang des Lechs, berich
der Bürgermeister. Zwischen dem Sportplatz und dem Gebäude, in dem die syrische Familie lebt, seien es etwa 300 Meter Luftlinie, sagt Erwin Karg. Die Polizeiinspektion Landsberg hatte nach der Freinacht mehrere Fälle von Vandalismus in der Gemeinde Fuchstal in ihrem Pressebericht vermeldet.
Unabhängig davon, ob es sich um eine rassistisch motivierte Tat oder eine Aktion im Rahmen der Freinacht handelte, verurteilt Bürgermeister Erwin Karg die Geschehnisse als „weit unter der Gürtellinie“. Das habe nichts mehr mit einem Spaß zu tun, wie man ihn aus der Freinacht kenne. Deutliche Worte zu dem Vorfall, der sich gegen 23 Uhr ereignete, kommt vom Ortstet verein Fuchstal der SPD. Dessen Vorsitzender Felix Büchner sagt, dass man nun nicht zulassen dürfe, dass diese Tat „Angst und Schrecken verbreitet“. Es gelte, sich solidarisch zu zeigen mit all jenen, „die in ihrer Not bei uns Schutz und Hilfe suchen“.
Büchner verweist zudem darauf, dass Geflüchtete im Ort seit Jahren viel Unterstützung und Wertschätzung erfahren würden – durch Helferkreis, Integrationsbeauftragten, Bürgerforum und die ansässige Bevölkerung. Eine Einschätzung, die auch der Bürgermeister teilt. „Sie können gerne dazu Mitbürger mit ausländischen Wurzeln fragen. Wir als Gemeinde sind an einem guten Miteinander interessiert. Ich sehe auch nicht, dass der Ort nach rechts abtriften würde“, äußert er mit Blick auf eine nun möglicherweise aufkommende Diskussion.
Zusätzliche Brisanz erhält der Fall, weil einer der beiden Familienväter, die in dem Haus leben, kürzlich an einer Covid-19 gestorben ist. Das dramatische Schicksal des fünffachen Vaters sei im Ort auch bekannt, sagt Josef Huber, bis Ende vergangenen Jahres Integrationsbeauftragter der Gemeinde und in engem Kontakt mit den beiden syrischen Familien. „Die Feuerwehr
Zeuge meldet sich bei der Polizei
Familienvater stirbt an Covid19Erkrankung
war damals auch im Einsatz und hat ihn aus dem Haus geholt“, sagt Huber. Laut Beate Schnorfeil war er das erste Todesopfer im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, das in Fuchstal lebte. Sie vermutet hinter der Tat einen Vorsatz: „Der Stein ist mit einer enormen Wucht geschmissen worden, das hätte tödlich ausgehen können, der Steinewerfer muss das mit einkalkuliert haben.“
Zu Wort gemeldet zu dem Fall haben sich auch die Grünen im Landkreis. „Wir sind tief betroffen über den Angriff auf das Wohnhaus einer Familie in Leeder und fordern rasche Aufklärung durch die Polizei“, schreibt die Partei in einer Stellungnahme. Martin Erdmann, Sprecher der Grünen, hatte demnach am Wochenende mit den Menschen vor Ort gesprochen und zeigte sich entsetzt über den Angriff. „Die Freinacht darf kein Freifahrtschein für ausländerfeindliche Anschläge sein“, betont Erdmann.