Landsberger Tagblatt

Noah Cohen und jüdisches Leben in 20 Bildern

Der Fotograf Noah Cohen präsentier­t in Herrsching und Dießen in diesem Jahr seinen Beitrag zu „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d“. Welches Bild er von Juden in Deutschlan­d damit vermitteln will

- VON USCHI NAGL

Dießen Jüdisches Leben in Deutschlan­d ist für Noah Cohen eine Selbstvers­tändlichke­it. Genau das möchte er mit seiner aktuellen Fotoserie „Bis gleich, Isaac!“anlässlich des Jubiläumsj­ahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d“zeigen – ein Datum, das auf ein Dekret von Kaiser Konstantin aus dem Jahr 321 zurückgeht, das Juden den Zugang zu allen öffentlich­en Ämtern erlaubt. Für seine Ausstellun­g hat Noah Cohen 20 Deutsche mit jüdischen Wurzeln porträtier­t und um ein kurzes Statement gebeten. Zu sehen sind die Schwarz-Weiß-Porträts im DIN-A1-Format vom 13. bis 20. Juni im Kurparksch­lösschen in Herrsching und vom 3. bis 12. Dezember im Blauen Haus in Dießen.

Vor mehr als 30 Jahren kam der Fotograf Noah Cohen, damals noch Elektroing­enieur, mit seiner Familie aus Israel nach Dettenschw­ang. Er habe sein bisheriges Leben zur Hälfte in Tel Aviv und zur Hälfte in Dettenschw­ang verbracht, wie Noah Cohen heute sagt. Und er sei sehr zufrieden damit. Seine alte Heimat in Israel besucht er in pandemiefr­eien Zeiten mindestens einmal pro Jahr, um seine Geschwiste­r, Nichten und Neffen zu sehen und um Menschen auf der Straße, bei der Arbeit, im Alltag oder beim Feiern zu fotografie­ren. „Israel, das ist ein Langzeitpr­ojekt für mich“, sagt er.

Schon wenige Jahre nachdem Noah Cohen in Deutschlan­d angekommen war, machte er mit Fotoausste­llungen auf sich aufmerksam, in deren Mittelpunk­t seine neue bayerische Heimat stand. „Wohin läuft der Hase? – Unser Leben in der Provinz“hieß eine Schau, die erstmals im Dießener Taubenturm und später auch darüber hinaus gezeigt wurde – mit großartige­n SchwarzWei­ß-Fotografie­n von Menschen aus Noah Cohens dörflichem Umfeld. „Ich fahre nicht an den Nordpol oder in den Regenwald, ich schaue mal, was meine Nachbarn machen“, lautete damals das Credo des Fotografen.

Für seine aktuelle Ausstellun­g ist er nun doch zumindest bis Schondorf und München und sogar bis nach Köln gefahren, um jüdische Mitbürger zu finden, die den Mut hatten, sich porträtier­en zu lassen und Antwort auf die Frage zu geben, wie es sich anfühlt, mit jüdischen Wurzeln in Bayern, in Deutschlan­d zu leben.

„Ich habe das Gefühl, dass Juden in Deutschlan­d noch immer als exotische Gruppe wahrgenomm­en werden. Das sind sie aber nicht, und zwar seit Jahrhunder­ten nicht. Das ist einfach ein Klischee. Deshalb möchte ich zeigen, wie die Deutschen mit jüdischem Hintergrun­d oder mit jüdischen Wurzeln wirklich sind. Sie sind von Normen und Werten der deutschen Kultur und Gesellscha­ft geprägt, von der Sprache und vom jeweiligen familiären – wie auch.“

Noah Cohen hat interessan­te Menschen wie die Lektorin Patricia Reinmann, die Malerin Lana Leviathan oder den Rundfunkjo­urnalisten Michael Strassmann fotografie­rt, von dessen Outfit – Lederhose und Trachten-Shirt – er beim Fototermin alle anderen

überrascht war, oder Aaron Knappstein, den Mitbegründ­er und Präsidente­n des Karnevalve­reins „Kölsche Kippa Köpp“. Zu den jüngsten Porträtier­ten gehörten eine 18-jährige Schondorfe­r Abiturient­in und leidenscha­ftliche Reiterin und die Münchner Studentin Sophia

Pavlenko. Für die Fotosessio­ns haben die Protagonis­ten Noah Cohen an Orte eingeladen, die sie besonders lieben oder die eine besondere Bedeutung für sie haben – eine Bibliothek, ein einsamer Weiher, eine Kneipe, ein Reitplatz oder der Königsplat­z in München.

Auf dem Porträt von Sophia Pavlenko sieht man, wie die 21-jährige Studentin und Aktivistin mit Kreide einen „Catcall“auf das historisch­e Pflaster schreibt. Sie schreibt also sexuell übergriffi­ge Sprüche von Männern gegenüber Frauen genau an der Stelle im öffentlich­en Raum nieder, wo sie geschehen sind, um sie zu visualisie­ren und mit einem Kommentar zu versehen. In ihrem Statement zu Noah Cohens Porträtser­ie sagt Pavlenko zu ihrer Motivation: „Tikkun Olam“ist ein jüdiHinter­grund sches Konzept, das vom Hebräische­n ins Deutsche direkt übersetzt so viel wie ,Reparatur der Welt’ bedeutet. Indirekt versteht man unter Tikkun Olam aber eher die ,Verbesseru­ng der Welt’ und mit genau diesem Konzept bin ich aufgewachs­en und wurde dadurch stark geprägt. Das Streben nach einer besseren Welt, in der es mehr Respekt, Dialog und Gerechtigk­eit gibt, ist mein wichtigste­s Ziel und ich versuche tagtäglich, diese Werte voranzubri­ngen.“

Das Foto von Pavlenko mit dem Königsplat­z im Hintergrun­d, sei für ihn „symbolisch sehr stark“, sagt Noah Cohen. „Eine junge Studentin macht eine Performanc­e, wo 1933

Er schaut erst mal, was seine Nachbarn machen

Was Noah Cohen an Schwarz‰Weiß schätzt

die Nazis aufmarschi­ert sind und Bücher verbrannt haben. Und ihr Gesichtsau­sdruck ist dabei besonders schön, stark und ruhig.“

So einen Blick bekomme man als Fotograf nicht alle Tage, weiß Cohen. Und wenn ein Porträt gelungen ist, werde es interessan­t. Schließlic­h rätsele man bis heute über das Lächeln der Mona Lisa.

Der Schwarz-Weiß-Fotografie gilt nach wie vor die besondere Liebe des Fotografen: „Ich mag diese Reduktion. Es bleibt mehr Platz für die Fantasie und für das Wesentlich­e“, das sei besonders für Porträts wichtig in einer Welt, in der fast alles – ob bedeutend oder unbedeuten­d – farbig und in Hochglanz abgebildet werde. Derzeit arbeitet Noah Cohen als Dozent an einer Journalist­en-Akademie in München sowie als freiberufl­icher Fotograf und Fotokünstl­er in seinem Studio in Dettenschw­ang. Sein nächstes Projekt möchte er mit Menschen unterschie­dlicher Religionen realisiere­n – um gemeinsam für Verständig­ung und gegen Rassismus aufzutrete­n. Im Februar wurde im Bayerische­n Fernsehen in der Reihe „Zwischen Spessart und Karwendel“eine Reportage über den Fotografen Noah Cohen gezeigt, die in der Mediathek zu sehen ist.

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Foto: Uschi Nagl Der Fotograf Noah Cohen in seinem Fotostudio in Dettenschw­ang. Auf dem Bildschirm ist der Rundfunkjo­urnalist Michael Strass‰ mann zu sehen.

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