Ketzerdorf widersteht religiösem Wahn
Roman Richard Rost schreibt über Zeit der Reformation und Inquisition. Zweiter Band erscheint
Fuchstal Die Geschichte über Inquisition, Liebe und heilige Männer, die Richard Rost in seinem historischen Roman „Das Ketzerdorf“erzählt, spielt in weiten Teilen in Leeder, das heute zur Gemeinde Fuchstal gehört. Der Autor hat lange zu den damaligen Ereignissen recherchiert, nun ist der zweite Teil „In Ketten“erschienen.
In der Kirche Mariä Verkündigung im lechrainischen Dorf Leeder befindet sich eine eigenartige Gedenktafel. Sie berichtet von Raymund Rehlinger, der sieben Jahre in türkischer Gefangenschaft schmachtete, und daran angeschmiedet sind zwei klobige Fußfesseln, die ihn festhielten. Als freier Mann sei er 1595 zurückgekehrt.
Das könne nur die halbe Wahrheit sein,fand Richard Rost bei vielen Nachforschungen in seinem Heimatort heraus. War doch Leeder in der Reformationszeit als „Ketzerdorf“verschrien. So heißt dann sein zweibändiger historischer Roman, der unglaublich packend durch den facettenreichen Kosmos einer Epoche im Umbruch zwischen Augsburg, Bologna, Rom, Venedig und Konstantinopel führt.
Fiktion und reale Begebenheiten durchdringen sich zu einer lebendigen Erzählung, die kurzweilig wie ein Spielfilm in Szenen von Schauplatz zu Schauplatz springt. Dieser Aufbau verleiht dem Roman Tempo und gleichbleibend hohe Spannung. Über zwei Generationen spannt sich der Bogen und es gelingt Richard
Rost, die einzelnen Fäden nicht aus den Augen zu verlieren. Bis zuletzt bleibt das Geschehen vom Anfang in Erinnerung. Die Wurzel liefert Saft. Dieser Saft ist eine bestimmte Glaubensrichtung innerhalb der Reformation, die als „Schwärmertum“abgetan wurde. Ihr Anführer hieß Caspar Schwenckfeld, der ein Evangelium der Sanftmut und Friedfertigkeit predigte und sich von kirchlicher wie weltlicher Macht, die allzu oft mit roher Gewalt und Unrecht ausgeübt wurde, fernhielt. Wie Jesus zog dieser schlesische Prediger übers Land und versteckte sich in seinen verschworenen Gemeinden. Jahrelang kam er bei Familie Rehlinger
in Leeder unter, die als adelige Ortsherrn 1527 den evangelischen Glauben einführten und selbst Jünger von Schwenckfeld waren.
Das „Ketzerdorf“bildet das Epizentrum des Romans, der in alle möglichen Richtungen ausgreift. Es kreuzen sich Lebenswege wie die des Katholiken Otto von Gemmingen, der auf eine kirchliche Karriere hofft, des Babenhausener Fuggersohns Giacomo, der für die Firmennachfolge vorgesehen ist, und des Augsburger Kaufmannssohns Oktavian Honold, der Arzt wird. In Bologna, wo sie studieren, begegnen sie nicht nur der heraufziehenden Inquisition der Dominikaner, sondern auch den sexuellen Freuden, die die Kleriker im Bordell ganz selbstverständlich genießen. Otto verliert sein Herz an eines der Mädchen, sein Lebensplan gerät ins Wanken. Mit der schwangeren Giovanna reist er über die Alpen, doch die Strapazen kosten sie das Leben. Gerettet wird ihr Sohn, der Raymund heißen wird. Es ist Pestzeit und als Findelkind nehmen ihn die Rehlingers in Leeder als ihr eigenes an.
Rost, 1958 in Leeder geboren, stand als Tenor in vielen Opernhäusern Europas auf der Bühne. Rund 20 Jahre hat ihn das Thema beschäftigt. Wie sorgfältig er recherchiert
Briefe Schwenckfelds werden in den USA aufbewahrt
hat, geht aus dem Nachwort hervor, das eine Art Forschungsbericht darstellt. Es sind in der Gegenreformation zwar etliche Spuren, aber nicht alle gelöscht worden. Als Leeder, der verschuldeten Adelsfamilie von den Fuggern abgekauft, 1595 rekatholisiert wurde, wurden ketzerische Bücher verbrannt, die Leute zwangsweise gefirmt, die Kirchenbücher von missliebigen Einträgen gereinigt und Raymunds Leben heroisiert. Die Briefe Schwenckfelds sind in den USA aufbewahrt. (loi)
Info Richard Rost: Das Ketzerdorf, Band 1: Der Aufstieg des Inquisitors, Band 2: In Ketten, Gmeiner Verlag, 444 und 412 Seiten, je 15 Euro.