Landsberger Tagblatt

Wie der Staat die Stromverso­rgung sichern will

Neue Kraftwerke sollen Wegfall von Kernkraft und Kohle ausgleiche­n. Preise vorerst stabil.

- Von Michael Stifter und Michael Kerler

Die Bundesregi­erung hat sich nach zähen Verhandlun­gen auf eine Strategie geeinigt, wie sie die Stromverso­rgung sichern will, wenn nach den Atommeiler­n auch noch die letzten Kohlekraft­werke vom Netz gehen. Die zentrale Rolle spielen zusätzlich­e Kraftwerke, die zunächst mit Erdgas und langfristi­g ausschließ­lich mit Wasserstof­f betrieben werden sollen. Außerdem werden im zweiten Schritt Kapazitäte­n als stille Reserve aufgebaut, die sich jederzeit abrufen lassen, wenn zu wenig erneuerbar­e Energie zur Verfügung steht. Der Haken: Weil sich Investitio­nen in Kraftwerke, die nur bei Bedarf zugeschalt­et werden, für Privatunte­rnehmen nicht lohnen, muss der Staat Geld zuschießen.

80 Prozent des Stroms sollen bis zum Jahr 2030 grün sein. Derzeit ist es nur gut die Hälfte. Und die Energiewen­de hat ihren Preis: Die Regierung rechnet damit, dass in den kommenden zwei Jahrzehnte­n allein 15 bis 20 Milliarden Euro Fördermitt­el für den Bau und Betrieb der neuen Gaskraftwe­rke gebraucht werden. Die Kosten für den Aufbau des Puffers, der auch aus Langzeitsp­eichern gespeist werden kann, kommen obendrauf. Bis dieser „Kapazitäts­markt“, für den vor allem die FDP gekämpft hatte, in Kraft treten kann, dürften allerdings viele Jahre vergehen. Die Koalition rechnet mit langwierig­en EU-Genehmigun­gsverfahre­n.

Deshalb soll im ersten Schritt so schnell wie möglich der Bau von modernen Gaskraftwe­rken mit einer Leistung von bis zu zehn Gigawatt ausgeschri­eben und vergeben werden, die schon jetzt nötig sind, um den Bedarf zu decken, wenn Wind und Sonne zu wenig Strom liefern. Die nun beschlosse­ne Strategie soll Investoren Planungssi­cherheit geben. Die zusätzlich­en Anlagen sind an „systemdien­lichen“Orten vorgesehen. Auch Bayern kommt dafür infrage.

Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) sprach am Montag von einem „wichtigen Baustein“, Umweltschü­tzern gehen die Pläne nicht weit genug. Sie kritisiere­n, dass die neuen Kraftwerke mit fossilem Erdgas und später auch mit Wasserstof­f betrieben werden können, der beispielsw­eise aus Atomstrom gewonnen wird. Die Deutsche Umwelthilf­e sprach von einem „Konjunktur­programm für die Gaslobby“. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass unklar ist, ob und wann überhaupt genügend grüner Wasserstof­f zur Verfügung steht, um den Bedarf zu decken.

Neben der Versorgung­ssicherhei­t sind die Kosten die größte Herausford­erung für die Regierung. Zum Jahreswech­sel hatte sie den Zuschuss zu den Netzentgel­ten, die für den Betrieb der Netze auf den Strompreis aufgeschla­gen werden, gestrichen. Einige Grundverso­rger haben in der Folge angekündig­t, die Preise zu erhöhen, unter anderem die Stadtwerke München. In unserer Region bleiben die Tarife aber weitgehend stabil.

Der Wegfall der Förderung sei zwar eine „neue Dimension von Unsicherhe­it“für die Stromanbie­ter, kritisiert das Allgäuer Überlandwe­rk. Die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r werden das aber nicht spüren. „Wir haben keine Netzentgel­terhöhunge­n an Privatkund­en in unseren Basisprodu­kten weitergege­ben, wir planen das auch nicht“, sagt Geschäftsf­ührer Michael Lucke. Die Lechwerke als größter Versorger in Schwaben haben nach eigener Auskunft zum Jahreswech­sel ebenfalls keine Erhöhung an Privatkund­en weitergere­icht. Die Stadtwerke Augsburg haben die Tarife sogar gesenkt.

Als Grund für die vergleichs­weise entspannte Situation am Strommarkt nennt das Vergleichs­portal Verivox die derzeit recht niedrigen Großhandel­spreise. „Die Beschaffun­gskosten der Unternehme­n sind niedriger als vor einem Jahr, wodurch die Mehrkosten bisher aufgefange­n werden“, sagt Experte Thorsten Storck.

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