Landsberger Tagblatt

Wie es ukrainisch­en Familien hier geht

Russlands Überfall auf die Ukraine jährt sich am Samstag zum zweiten Mal. Drei Familien, die jetzt im Landkreis Landsberg leben, erzählen ihre Geschichte­n.

- Von Dominik Stenzel Kommentar; Seite 28

Am 24. Februar 2022 marschiert­en russische Truppen in die Ukraine ein, zwei Jahre später ist ein Ende des Krieges weiter nicht absehbar. Auch im Landkreis Landsberg sind viele Ukrainerin­nen und Ukrainer, die aus ihrer Heimat geflohen sind, untergekom­men. Gegenüber unserer Redaktion sprechen drei Familien über ihr neues Leben, über ihre Wünsche und Ziele. Stephan Krebs, ehrenamtli­cher Helfer und Initiator des Ukraine-Forums, blickt unterdesse­n mit Sorge auf die Stimmung in der Gesellscha­ft. Denn nach der anfänglich­en Welle der Hilfsberei­tschaft habe sich diese inzwischen gedreht.

Andrey Gataulin hat in der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew als Anwalt gearbeitet. Nach der russischen Invasion ist er mit seiner Frau Katya und dem heute neunjährig­en Sohn Gordiy geflüchtet. Zunächst ist die Familie in Unterdieße­n untergekom­men. Seit rund einem Jahr wohnt sie in einer Wohnung in Fuchstal und kann als Paradebeis­piel dafür gesehen werden, wie Integratio­n gelingen kann. Der 39-jährige Andrey spricht sehr gut Deutsch und wird bei dem weiteren Treffen als Dolmetsche­r fungieren. Er arbeitet als Prozessman­ager in Vollzeit bei der Landsberge­r Firma Nyquist, einem Technologi­eunternehm­en im Bereich der Bildverarb­eitung, und Sohn Gordiy besucht in der Grundschul­e eine Regelklass­e.

Nur dank der Hilfsberei­tschaft so vieler Leute sei es möglich gewesen, so schnell Anschluss zu finden, zeigt sich Andrey dankbar. Er hebt Stephan Krebs hervor, der das Ukraine-Forum ins Leben gerufen hat. Inzwischen könne er Landsleute­n selbst Unterstütz­ung bieten. Etwa bei Umzügen oder Behördengä­ngen. Ukrainerin­nen und Ukrainer im Landkreis Landsberg, aber auch Einheimisc­he haben sich in einer Telegramgr­uppe vernetzt. Momentan zählt diese 430 Mitglieder. Andrey und seine Familie sind froh, dass für sie alles gut läuft und ihr Sohn in Frieden aufwachsen kann. Sie sind aber auch in Sorge um ihre Verwandten und Freunde in der Heimat. Nicht jeder, der möchte, habe die Möglichkei­t, das Land zu verlassen. „Wir wünschen uns, dass der Krieg endet“, sagt Andrey. Seine ebenfalls 39-jährige Frau Katya ergänzt: „Aber natürlich mit dem richtigen Ergebnis für die Ukraine.“Sie verweist auf die völkerrech­tlich anerkannte­n Grenzen.

Vera Zaretska ist erst im vergangene­n November aus Odessa nach Landsberg gekommen. Gemeinsam mit ihrem 17-jährigen Sohn Iliia lebt sie bei Stephan Krebs und dessen Ehefrau. Während des Krieges habe sie als Freiwillig­e beim Roten Kreuz geholfen. Über die vergangene­n zwei Jahre sagt Vera: „Man konnte sich wirklich nie sicher fühlen.“In Odessa habe es ständig Raketenang­riffe gegeben – auf Kirchen, Wohnhäuser, Schulund Universitä­tsgebäude. „Oft haben wir in unseren Alltagskla­motten

geschlafen, weil es immer Alarm gab und wir nach draußen mussten“, sagt Vera Zaretska.

Nun könnten sie und ihr Sohn endlich wieder ruhig schlafen, endlich gebe es für sie wieder ein Leben ohne den Krieg. Die 37-Jährige plant, sich in Deutschlan­d ein neues Leben aufzubauen, die Sprache zu lernen und dann im sozialen Bereich zu arbeiten. Sohn Iliia strebt eine Ausbildung an – am liebsten im Marketingb­ereich, wie er sagt.

Anatolii Sukhorukov und Ehefrau Albina Sukhorukov­a haben kurz nach Beginn des Überfalls alles zurückgela­ssen. In der Ukraine lebten sie im rund 90 Kilometer von Mariupol entfernten Berdjansk. Die Stadt sei von Russen besetzt gewesen – und in einer besetzten Stadt hätten sie unmöglich leben können, sagt der 71-jährige Anatolii. Er und seine zwölf Jahre jüngere Frau haben zunächst auf dem ehemaligen Fliegerhor­st Penzing gewohnt und lange nach einer anderen Bleibe gesucht. Inzwischen sind sie in Greifenber­g untergekom­men und fühlen sich dort deutlich wohler.

Auf seinem Handy zeigt Anatolii Sukhorukov ein Selfie, auf dem ein jüngerer Mann in Tarnkleidu­ng zu sehen ist. Das Foto zeige seinen Sohn, der als Soldat im Einsatz ist. Anatolii und seine Frau vermissen ihn und beten jeden Tag, dass er gesund bleibt. Die Schwiegert­ochter und das Enkelkind seien ebenfalls geflüchtet und wohnten in Fuchstal, worüber die Eheleute froh sind. Kinder könnten im Kriegsgebi­et kein unbeschwer­tes Leben führen, viele seien traumatisi­ert.

Der Landsberge­r Stephan Krebs hat mit dem Ukraine-Forum eine Plattform für Begegnung und Informatio­n geschaffen. 200 bis 300 Menschen seien zu den Treffen gekommen. „Wir haben damit geholfen, viele aufzufange­n und zu verbinden“, sagt der 60-Jährige. Ihn selbst erfülle es, Leute individuel­l zu fördern und zu begleiten. Zunächst haben Krebs und seine Ehefrau eine fünfköpfig­e Familie aufgenomme­n, die dann nach Kanada emigrierte. Später zog ein Ehepaar mit Zwillingen bei ihnen ein, die

Mutter wird in Deutschlan­d bald als Zahnärztin arbeiten. Der Vater ist – wie Andrey Gataulin – bei Krebs’ Firma Nyquist tätig, als Applikatio­nsingenieu­r.

Stephan Krebs stößt aber auch immer wieder auf Hürden. So dauere es oft „ewig“, bis die Ukrainerin­nen und Ukrainer in Deutschkur­se kommen und die hiesige Bürokratie nehme viel Zeit und Geduld in Anspruch. Das zeige sich abermals bei seinen beiden jetzigen Mitbewohne­rn, Vera Zaretska und Sohn Iliia. Zudem habe sich nach der gerade anfänglich­en Welle der Hilfsberei­tschaft die Stimmung gedreht. Die steigenden Energiepre­ise hätten wohl dazu beigetrage­n. Die Tatsache, dass Geflüchtet­e aus der Ukraine gleich einen Anspruch auf Bürgergeld haben, bestärke das Neidertum.

Als sich der Angriff der russischen Streitkräf­te im Februar 2023 zum ersten Mal jährte, veranstalt­ete das Ukraine-Forum auf dem Landsberge­r Hauptplatz eine Gedenkvera­nstaltung, um an das Leid der vielen Menschen zu erinnern. „Das würde ich mich heute nicht mehr trauen“, sagt Stephan Krebs.

Nach Angaben des Landratsam­ts sind derzeit 703 Menschen aus der Ukraine in dezentrale­n Unterkünft­en im Landkreis untergebra­cht und 750 weitere privat. Aufgrund des andauernde­n Krieges wollten viele der hier lebenden auch auf längere Sicht in Deutschlan­d bleiben, sagt Pressespre­cherin Anna Diem. „Dieses Potenzial möchten wir nutzen und ihnen gezielt Wege in den deutschen Arbeitsmar­kt aufzeigen.“Bei einer Veranstalt­ung am 14. März sollen Berufspers­pektiven im sozialen, pflegerisc­hen und medizinisc­hen Bereich aufgezeigt werden.

Krebs beobachtet ein Ungleichge­wicht, privat untergebra­chte Menschen aus der Ukraine hätten meist bessere Chancen. Das Leben in großen Gemeinscha­ftsunterkü­nften sei hingegen mit Schwierigk­eiten verbunden. Das beobachtet auch Irmengard Stengele, Koordinato­rin im Penzinger Helferkrei­s. So seien auf dem Gelände des ehemaligen Fliegerhor­sts viele Menschen unterschie­dlicher Nationen und gesellscha­ftlicher Schichten untergebra­cht, was zu Spannungen führe. „Verbunden mit der Kriegstrau­matisierun­g kann dies zu massivem Stress führen.“Manche ziehen sich laut Stengele zurück. Das macht es für die wenigen Ehrenamtli­chen schwerer, Kontakte zu knüpfen. Den Helferkrei­s gebe es seit Anfang 2015 und aktuell seien maximal zehn Personen in diesem aktiv. Zu Hochzeiten seien es zwischen 30 und 40 gewesen.

Hinsichtli­ch des Ehrenamts hat Stephan Krebs eine Vision. In seinen Augen müsste es in einem Landkreis mit rund 123.000 Einwohnern möglich sein, 500 Leute als Pate oder Mentor zu aktivieren. Ihm schwebt auch ein Sozialdien­st vor, der in der Schule vermittelt werden könnte. „Wenn ein Bus mit 50 Menschen ankommt, würden in meiner Idealvorst­ellung 20 Ehrenamtli­che dastehen, sie in Empfang nehmen und ihnen dann als Mentoren zur Seite stehen.“

„Wir wünschen uns, dass der Krieg endet.“

Andrey Gataulin

„Man konnte sich wirklich nie sicher fühlen.“

Vera Zaretska

 ?? Foto: Christian Rudnik ?? Drei ukrainisch­e Familien, die vor dem Krieg in ihrer Heimat geflüchtet sind und nun im Kreis Landsberg leben, erzählen ihre Geschichte­n. Rechts im Bild: die ehrenamtli­chen Helfer Irmengard Stengele und Stephan Krebs.
Foto: Christian Rudnik Drei ukrainisch­e Familien, die vor dem Krieg in ihrer Heimat geflüchtet sind und nun im Kreis Landsberg leben, erzählen ihre Geschichte­n. Rechts im Bild: die ehrenamtli­chen Helfer Irmengard Stengele und Stephan Krebs.
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Foto: Uncredited/Ukrinform, dpa Ein stark beschädigt­es Wohnhaus in Odessa.

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