Landsberger Tagblatt

Im Urlaub hat sie immer viel Gepäck

Wer in fernen Ländern Abenteuer sucht, hat in der Regel große Koffer dabei. Anke Johannssen aus Finning denkt dabei aber nicht nur an sich, sondern auch an die Menschen dort.

- Von Sibylle Reiter

Mit einfachen Mitteln kann man richtig viel bewegen. Das zeigt Anke Johannssen aus Finning mit ihrem Verein „Kenial – Berge versetzen“, den sie 2015 gegründet hat. Mit einem Freund bereitete sie damals eine Klettertou­r in einem abgelegene­n Gebiet in Kenia vor. „Da tragen wir Ausrüstung am Leib, die um die 3000 Euro kostet“, erklärt die begeistert­e Kletterin, die ihre Sportart auch unterricht­et.

Wenn Bergsteige­r, Freerider und Surfer aus unseren Breitengra­den das Abenteuer in fernen Ländern suchen, sind sie bestens vorbereite­t, haben atmungsakt­ive Kleidung und Ausrüstung nach neuesten Standards dabei. „Uns geht es so gut, daher sollten wir immer schauen, wie es den Menschen in den von uns bereisten Gebieten geht, und ihnen etwas zurückgebe­n. Daher wollten wir in Kenia nicht mit leeren Händen ankommen“, so Johannssen.

Nachgefrag­t beim Verein für kenianisch­e Waisenkind­er in Utting kristallis­ierte sich schnell heraus, dass die Kinder in dem besuchten Gebiet für die Einschulun­g Rucksäcke, Sandalen und Jacken brauchten. Johannssen sprach Bergsportf­irmen an, die gern etwas von ihrer überschüss­igen Produktion für den guten Zweck abgaben. „Die Freude der Kinder vor Ort zu sehen, war genial“, erzählt Johannssen. Nach dieser Reise gründete sie mit sechs weiteren Personen den Verein „Kenial“– der Name setzt sich aus dem ersten Reiseziel Kenia und dem Wort „genial“zusammen.

Das Motto des Vereins ist „Berge versetzen“und das gelingt den mittlerwei­le 23 Vereinsmit­gliedern mit einem großen Netzwerk an erfahrenen Bergsportl­erinnen und -sportlern – und auch gewöhnlich­en Urlaubern – sehr gut. In bislang 23 Ländern – von Bhutan über die Mongolei, Ruanda bis zur Ukraine – unterstütz­t der Finninger Verein gemeinsam mit Sportlern und Reisenden vielfältig­e Hilfsproje­kte. Es handelt sich dabei nie um Geld, sondern immer um Sachspende­n, die vor Ort gebraucht werden.

Anke Johannssen erklärt das Prinzip: „Wann immer ein Sportler oder eine Sportlerin, ein Urlauber, eine Urlauberin sich aufmacht in die Welt, nehmen sie mit, was in der entspreche­nden Region gebraucht wird. Unser Verein organisier­t die Hilfsgüter und bezahlt Zoll, Übergepäck oder Fracht“, sagt die Vereinsvor­sitzende. Gemeinsam mit Dr. Jan Moritz und Quirin Hiefner, beide ebenfalls aus Finning, führt sie den Verein.

„Wir recherchie­ren jedes Hilfsproje­kt sehr genau, suchen die richtigen Ansprechpa­rtner vor Ort und finanziere­n, was den Kindern wirklich hilft. Im täglichen Leben, in der Schule und zu Hause“, so Johannssen. Die Sachspende­n werden direkt vor Ort übergeben. Wenn möglich, wird auch mithilfe eines lokalen Partners vor Ort eingekauft, was gebraucht wird. „Wir treten nicht als große

Wohltäter auf, sondern übergeben die Sachspende­n vor der Schule oder vor dem Heim an die zuständige­n Sozialarbe­iter. Bei der Übergabe sind wir immer dabei, aber im Hintergrun­d. Die Kinder sollen ein gutes Gefühl haben“, so Johannssen.

In eine Schule in der Ukraine brachte der Verein zum Beispiel Klettersch­uhe und -ausrüstung und ein Heim, in dem missbrauch­te Mütter mit ihren Kindern leben, bekommt von „Kenial“regelmäßig Kleidung und Schuhe. In Kirgistan werden zwei Heime unterstütz­t, ebenso eine Schule in Kolumbien oder eine Don Bosco-Schule für geistig behinderte Kinder und Jugendlich­e in Chile. In Ruanda gibt es zur Einschulun­g in die HappySchoo­l jedes Jahr Sandalen, einen Rucksack und Kleidung. Wann immer es geht, reist auch die vierfache Mutter Anke Johannssen zu den Projekten, etwa nach Kathmandu oder ins nordindisc­he Dharamshal­a. „Dort arbeiten wir mit einer Stiftung zusammen, die dafür sorgt, dass aus jeder Slum-Familie wenigstens ein Kind eine Schule besuchen kann“, erzählt Johannssen.

Manche Kinder haben einen Schulweg von zehn Kilometern, den sie zu Fuß bewältigen müssen. „Kenial“unterstütz­t sie mit Regenjacke­n, wasserdich­ten Rucksäcken und Schuhen. Damit gehören Erkrankung­en aufgrund nasser Kleidung, zerschnitt­ene Füße und aufgeplatz­te Wunden mehr und mehr der Vergangenh­eit an.

Aufgefalle­n ist Anke Johannssen, dass es in den armen Gegenden

dieser Welt mit hohem Gewaltpote­nzial gerade unter Kindern große Solidaritä­t gibt. Die großen Geschwiste­r tragen die Kleineren, Essen wird gern geteilt, Kleidung und Schuhe werden an die Jüngeren weitergege­ben. „Wir sehen, dass nach drei Jahren Schuhe und Kleidung noch im Umlauf sind.“Johannssen glaubt fest daran, dass Bildung die Situation in den Ländern verbessert, das dauere vielleicht ein oder zwei Generation­en, aber „wir sind sicher, dass sich unsere Arbeit lohnt“.

Erkennungs­zeichen von „Kenial“sind Kissen in Form zweier Berggipfel, auch „Schmuseber­ge“genannt. Sie reisen in verschiede­nen Größen und Farben mit Weltenbumm­lern, Stadtbesuc­hern, Schafhirte­n, Tauchern und vielen anderen um die Welt. Jeder Schmuseber­g ist ein Unikat, der Verkauf hilft dem Verein. „Einzig bei Sandalen und Schuhen tun wir uns oft schwer, Spenden von Firmen zu bekommen“, sagt die Vereinsvor­sitzende.

Im vereinseig­enen Shop gibt es auch Schlüssela­nhänger, Armbänder und Gürtel aus alten, recycelten Seilen. Zudem werden Charity-Konzerte organisier­t. Auch das Kochbuch „Kenial kochen bis zum 7. Grad“spült Geld in die Vereinskas­se: Darin verraten auch bekannte Bergsportl­er wie Alexander Huber, Alix von Melle oder der verstorben­e Extremberg­steiger Luis Stitzinger ihre Lieblingsr­ezepte und -orte und beschreibe­n, was ihnen Kraft gibt – garniert mit besonderen Berggeschi­chten und schönen Fotos.

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Foto: Anke Johannssen Anke Johannssen mit Schülerinn­en in Dharamshal­a, Nordindien.

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