Wird der Sitzungssaal zum Gerichtssaal?
Hintergrund: In Sachen Oide Wiesn wird es weitere Gespräche geben, doch schon längst geht es nicht mehr um die Zelte. Hat ein Stadtrat noch andere Treuepflichten oder ist er in seinen Entscheidungen nur seinem Mandat verpflichtet?
Es gibt in Landsberg rund um die Oide Wiesn zwei Lager. Und eine Sache haben die beiden sogar gemeinsam. Jeder spricht seiner Seite zu und rät, sich ja nichts mehr gefallen zu lassen. Das wird in den Kommentaren deutlich. Eine Annäherung ist schwierig. Soll das Volksfest mit großer Außenwirkung im September wieder auf dem Hellmairplatz stattfinden, oder muss das große Zelt an den Rand von Landsberg? Veranstalter sind Bauernverband, Landfrauen und maßgeblich die VR-Bank Landsberg-Ammersee, die weiter auf dem Standort Hellmairplatz besteht, der, wie berichtet, bei den dort ansässigen Wirten nicht gut ankommt. Doch im Moment geht es bei dieser Debatte nicht ums Zelt oder um Zelte, sondern um die schlichte Frage, ob ein Stadtrat oder eine Stadträtin unabhängig entscheiden darf oder auch andere Treuepflichten beachten muss. Denn zwei Stadträten (mit Bankkonto bei der VR-Bank) wurden nach einer Debatte die Konten gekündigt, und es gibt Verfahren zum Genossenschaftsausschluss bei der VR-Bank Landsberg-Ammersee.
Die Frage um die Oide Wiesn kann man sachlich und fundiert in jede Richtung hin beantworten. Denn im Hinblick auf Brauchtum dürfte die Lösung hier einfach sein. Sie ist eine Bereicherung für die Stadt. Aber hier geht es, das merkt man an den Emotionen, mit denen diskutiert wird, um einen Machtkampf und darum, wer am Ende recht behält. Dieser Eindruck verstärkt sich immer mehr. Und fast jeder hat ein wenig vergessen, dass die Oide Wiesn als Symbol dafür steht, ob überhaupt Festzelte in der Innenstadt aufgebaut werden dürfen. Das war der eigentliche Inhalt des umstrittenen Antrags von Stadtrat Christoph Jell (UBV), den die Wirte Dominik Wagmann, Blanka Salzinger und Manuela Sauter gestellt haben. Eingereicht hat ihn Jell.
Was die Stadträte und Stadträtinnen verhindern wollen, ist, dass man solche Zelte künftig öfter in der Altstadt (auch für politische Zwecke) nutzt und aufbaut. Bei der Oiden Wiesn präsentieren Direktvermarkter ihre Waren, und die Veranstaltung im und um das Bierzelt wird gemeinsam mit dem Bauernverband und den Landfrauen organisiert. Bereits im Vorfeld zu diesem Antrag war es bei der ersten Abstimmung im Herbst zu Spannungen gekommen, weil zwei Stadträte mit abgestimmt hatten, die persönlich betroffen waren. Die Rechtsaufsicht schritt ein, weil sie persönliche Interessen sah. Also wollte man im Stadtrat neu abstimmen, und es sah für eine Zustimmung für die Zelte gut aus. Doch dann wurde die Kündigung der Konten zweier Stadträte durch die Bank publik. Denn jetzt hat sich eine ganz andere Grundsatzdebatte
entwickelt. Wieder geht es um die Unabhängigkeit vom Mandat. Und das Thema rund um das Selbstverständnis und die Unabhängigkeit der Mandatsträger, sprich der Stadträte, ist ein Aufregerthema. Wenn sogar besonnene Stadträte wie Dieter Völkel (SPD) in der jüngsten Sitzung öffentlich „law and order“spielen und einen Bankchef aus der Reserve locken, der andere Treuepflichten sieht, dann kann es danach eigentlich nur noch Verlierer geben: Zum einen wirkt die Befragung des Bankchefs wie eine öffentliche Vorführung, zum anderen wirkt der Stadtrat fast wie ein Königlich Bayerisches Amtsgericht. Nur der Spaßfaktor, den diese alte Fernsehsendung hatte, der ging in der Sitzung verloren.
Oberbürgermeisterin Doris Baumgartl (UBV) will nun neue Gespräche führen. Sie hat recht mit ihrer jetzt angedachten Vorgehensweise. Man kann über die Oide Wiesn (inzwischen symbolisch für alle Zelte) und wer und wie sie künftig in der Stadt veranstaltet werden soll, erst reden, wenn klar ist, ob man hier als Stadtrat überhaupt noch frei entscheiden kann.
Als Bankkunde und Stadtrat ergibt sich keinerlei Abhängigkeit, das sieht auch die VR-Bank Landsberg-Ammersee so, und ihr Chef Stefan Jörg hat es immer wieder betont. Warum dann den beiden Stadträten, die in der Sitzung gegen die Bank gestimmt haben, gekündigt wurde, ist derzeit unklar und unterliegt dem Bankgeheimnis.
Anders liegt der Fall als Genossenschaftsmitglied der Bank und Stadtratsmitglied. Hier gibt es wohl mehrere Pflichten, auch eine Treuepflicht gegenüber der Bank, dieser durch sein Verhalten nicht zu schaden. Auch nicht in Entscheidungen, die im Stadtrat nach bestem Gewissen getroffen wurden? Welche Treuepflicht ist nun die höhere, die gegenüber der Bank oder die auf eine unabhängige Entscheidungsmöglichkeit im Mandat? (siehe Infoblock)
Bankchef Stefan Jörg sagt nach seinen Ausführungen im Stadtrat zum Fall nicht mehr viel. „Ich habe dort nur auf Dinge, die bereits bekannt waren und vorgelesen wurden, geantwortet. Dieter Völkel hat in der öffentlichen Sitzung aus einem Brief zum Anhörungsverfahren zitiert. Dort wird die Absicht des Ausschlusses angekündigt.“Der Ausschluss aus der Genossenschaft sei ein laufendes Verfahren. Derzeit gebe es ein Anhörungsverfahren. Alles andere unterliege dem Bankgeheimnis bei einem schwebenden Verfahren. Der Ausschluss sei bisher nicht vollzogen. Jörg hatte in der Stadtratssitzung, nachdem Teile des Briefes verlesen wurden, einen Zusammenhang zwischen Jells Antrag zum Thema Zelte hergestellt und auf Treuepflichten verwiesen und damit viel Kritik geerntet.
Hat Jell durch den Antrag die Interessen der Bank nicht gewahrt? Der Stadtrat Christoph Jell (UBV) will sich den möglichen Ausschluss (auch ein weiterer Stadtrat ist betroffen) nicht gefallen lassen und hat einen Anwalt beauftragt. „Ich sehe weder die Kontokündigung noch den Ausschluss als rechtmäßig an und werde dagegen, wenn er wirklich vollzogen wird, wohl auch klagen.“Er sei zuallererst seinem Stadtratsmandat verpflichtet.
Die Bank sieht wohl durch Jells Antrag das Wohl der Bank als gefährdet an, da die Oide Wiesn trotz ihrer Wichtigkeit und Bedeutung für die Bank durch Jells Antrag verboten werden sollte. Darin würde man einen Verstoß gegen die Treuepflicht sehen.
Das ist wohl einer der Ausschlussgründe. Jell: „Es ging in dem Antrag nicht um die Oide Wiesn, es ging generell um Festzelte. Ich sehe keinen Verstoß.“Auch dem Stadtrat Claus Moritz wurden die Konten gekündigt und bei ihm läuft ein Verfahren für den Genossenschaftsausschluss.
Ein Bankchef, der vorgeführt wird.