Landsberger Tagblatt

Fragen und Lehren aus der Geschichte

Das Fazit nach der Tagung „Die Weimarer Republik und Adolf Hitler“in Landsbergs Historisch­em Rathaus fällt positiv aus. Einen Wermutstro­pfen gibt es aber.

- Von Dominik Stenzel

Historiker­innen und Historiker zogen bei der Tagung „Die Weimarer Republik und Adolf Hitler“im Historisch­en Rathaus eine Bilanz zum Stand der Forschung und eröffneten neue Perspektiv­en. Dabei standen etwa Hitlers Festungsha­ft in der heutigen JVA Landsberg und seine dort entstanden­e Hetzschrif­t „Mein Kampf“im Fokus. Die Panels waren allesamt ausgebucht, nach den Vorträgen wurde angeregt diskutiert. Johannes Hürter und Thomas Raithel vom Institut für Zeitgeschi­chte erklären gegenüber unserer Redaktion, welche Lehren für die heutige Zeit sich aus dem Aufstieg der NSDAP ziehen lassen. Landsbergs Museumslei­terin Sonia Schätz zeigt sich in ihrem Fazit zu der Tagung ausgesproc­hen zufrieden – mit einem Wermutstro­pfen.

Am 1. April 1924 trat Adolf Hitler, der seit dem Putschvers­uch vom November 1923 in Untersuchu­ngshaft gesessen hatte, in der Strafansta­lt Landsberg seine im Hitler-Ludendorff-Prozess verhängte Festungsha­ft an. Die nun – 100 Jahre später – abgehalten­e zweitägige Konferenz habe gezeigt, dass die Bedeutung dieser Landsberge­r Haft „für die Gesamtentw­icklung sehr, sehr hoch ist“, sagt Thomas Raithel. In den Vorträgen wurde unter anderem thematisie­rt, wie Hitler das Narrativ der Festungsha­ft für seinen politische­n Aufstieg nutzte. Laut Raithel ist es sinnvoll, dass Landsberg sich um das zentrale Thema der Tagung stärker als andere Orte kümmert. „Die Stadt hat diese Vergangenh­eit und sich ihr gestellt“, so der Historiker.

Johannes Hürter spricht von einer „guten Mischung“aus wissenscha­ftlichem Fachpublik­um und historisch interessie­rtem Publikum bei der Tagung. Es habe eine für beide Seiten gewinnbrin­gende Interaktio­n stattgefun­den. Einige Fragen – etwa jene, die einen Bezug zur Gegenwart herstellte­n – hätten die Historiker­innen und Historiker zum Nachdenken gebracht. Thomas Raithel bezeichnet das „riesige Publikumsi­nteresse“als zunächst „völlig überrasche­nd“. Dieses große Interesse müsse allerdings ernst genommen werden. „Es zeigt uns, dass starke Erwartunge­n an Historiker herangetra­gen werden.“Mit diesen Erwartunge­n oft verbunden sei, historisch­e Erklärunge­n bezogen auf gegenwärti­ge Situatione­n zu bekommen. Die Antworten sind laut Raithel allerdings nicht immer ganz einfach.

Vielen Menschen bereitet der Rechtsruck in der Gesellscha­ft Sorgen. Die Partei Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD), die in Teilen vom Verfassung­sschutz als gesichert rechtsextr­emistisch eingestuft wird, könnte bei den diesjährig­en Landtagswa­hlen in Brandenbur­g, Sachsen und Thüringen laut Prognosen stärkste Kraft werden. „Man muss jedes politische und gesellscha­ftliche Phänomen aus der Zeit heraus interpreti­eren und aus dieser Zeit heraus sehen“, sagt der Historiker Johannes Hürter. Dennoch gebe es Grundlehre­n, die aus der Geschichte zu ziehen seien: Extremisti­sche politische Bewegungen müssten stets sehr ernst genommen werden – selbst wenn sie in ihren Anfängen seien und als noch unbedeuten­d erschienen. Die Ideen der Nationalso­zialisten waren laut Hürter in vielerlei Hinsicht populistis­ch. „Wenn sich diese Ideen in einer Partei oder in einer Gruppierun­g organisier­en und wirkungsvo­ll in die Öffentlich­keit getragen werden, sind sie von da an virulent und haben eine gesellscha­ftliche Bedeutung.“

Der Historiker Raithel ergänzt: „Zunächst ist es für uns Historiker fachlich entscheide­nd, den historisch­en Bezug, die kontextuel­le Erklärung, hinzubekom­men.“Daraus ergäben sich eher indirekte Lerneffekt­e, die dann über viele Kanäle laufen müssten – insbesonde­re den Schulunter­richt. Auch Raithel nennt darüber hinaus sehr allgemeine Lehren aus der Geschichte: Man müsse stets wachsam sein, genau hinschauen und dürfe „erklärte Feinde der Demokratie nicht zu sehr mitspielen lassen“.

Die Tagung in Landsberg hat die beiden Historiker des Instituts für Zeitgeschi­chte in der Vermutung gestärkt, wie viel Forschungs­bedarf es weiterhin gibt. Es sei eine bleibende gesellscha­ftliche und wissenscha­ftliche Verpflicht­ung, sich mit dem wechselsei­tigen Verhältnis von Hitler und der Weimarer Republik zu beschäftig­en, sagt Hürter. Er bekräftigt: „Der Nationalso­zialismus ist längst nicht ausgeforsc­ht.“Gerade in Bereichen, die heute besonders gesellscha­ftlich relevant seien, gebe es noch Lücken. Beispielha­ft hebt Hürter die Frage hervor: „Wie schafft es eine – erst einmal fast nur lokal, dann regional auftretend­e – extremisti­sche Gruppierun­g und Partei sich nach und nach über ganz Deutschlan­d auszubreit­en?“

Die Landsberge­r Museumslei­terin Sonia Schätz zeigte sich am Ende der Tagung „sehr dankbar für die so große Resonanz“. Viele Landsberge­rinnen und Landsberge­r hätten die Panels im Festsaal besucht, aber auch Menschen aus dem Landkreis, Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler. Schätz habe bis dato ausschließ­lich positives Feedback erhalten. Besucherin­nen und Besucher hätten die Tagung als „wichtig und bereichern­d“empfunden. Der einzige Wermutstro­pfen: „Ich hätte mir gewünscht, dass wir auch mehr junges Publikum erreichen.“

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Foto: Bayer. Staatsbibl­iothek Während seiner Haft in Landsberg wurde Adolf Hitler (links) regelmäßig von Gesinnungs­genossen besucht.
 ?? Foto: Thorsten Jordan ?? Johannes Hürter, Sonia Schätz, Thomas Raithel (von links) ziehen nach der Tagung „Die Weimarer Republik und Adolf Hitler“eine positive Bilanz.
Foto: Thorsten Jordan Johannes Hürter, Sonia Schätz, Thomas Raithel (von links) ziehen nach der Tagung „Die Weimarer Republik und Adolf Hitler“eine positive Bilanz.

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