Landsberger Tagblatt

Hoffnung gibt es nicht bei Lieferando

Die Politik soll Optimismus verbreiten und sowieso besser werden, der Fußball auch – und überhaupt sollen alle anderen es richten. Doch Zuversicht kann man nicht bestellen.

- Von Christian Imminger

Dieser kleine Text muss aus gegebenem Anlass an einem Grab beginnen, und zwar dem von Nikos Kazantzaki­s. Auf diesem steht geschriebe­n: „Ich erhoffe nichts, ich fürchte nichts, ich bin frei.“Nun kann man sich fragen, was dieser Spruch des Autors von „Alexis Sorbas“mit Ostern zu tun hat, wo es doch zuallerers­t um die Hoffnung und nichts als die Hoffnung gehen soll. Dennoch fällt er mir ein, schaut man inmitten all der Krisen, von Klima über Krieg bis hin zu den Katastroph­en auch im Kleinen, auf diese verunsiche­rte Gesellscha­ft, die sich in der frustriert­en Folge umso mehr auf die je eigene Parzelle zurückzieh­t – und sich damit allerdings nur noch unfreier, hoffnungsl­oser macht. Was auf den ersten Blick nämlich wie nach FDP oder dem ursprüngli­ch erfolgreic­hen Konzept des Individual­ismus klingen mag, stammt zum einen aus einer anderen Zeit. Und weist zum anderen auf die unsere – in der die Freiheit des Individuum­s sich längst ins Negative, nur noch auf sich selbst gedreht zu haben scheint: Ich, ich, ich.

Man sieht das in den sozialen Netzwerken nicht nur an unzähligen Selfies, beim Pizzaessen, vor der Grabeskirc­he, whatever, das wären ja schier noch harmlose Spielarten dieses egozentris­chen Welt- beziehungs­weise Selbstbild­es. Man sieht es vor allem aber auch an kaum noch zivilisato­rische Mindeststa­ndards erfüllende­n Streitigke­iten um jede noch so kleine Partikular-Betroffenh­eit. Man könnte sagen: Früher war die Grenze von Freiheit die des anderen. Heute ist es das eigene „Ich“, das sonst wie erschütter­t, beeinträch­tigt wird oder zumindest sich so fühlt – vom Nachbarn, der den Giersch nicht ordentlich rupft, bis hin zur Kollegin, die gendert, dem Typen, der den Taurus liefern will, das Klima beschießt, Agrardiese­l streicht oder das Bürgergeld, während der Fuchs in der Häschensch­ule neuerdings Mohrrüben mümmelt, was auch immer.

Jeder einzelne erwartet geradezu, dass er, jeweils im absoluten Recht, einen nicht verhandelb­aren Anspruch hat – und haut dementspre­chend rein. Als ob es ein solches Recht gäbe und demgegenüb­er die Bergpredig­t (ja, es ist

Ostern) oder auch den kategorisc­hen Imperativ (ja, es ist auch Kant-Jahr) nicht. Die linke Wange. Das eigene Handeln als Maxime einer allgemeine­n Gesetzgebu­ng. Die uralte, goldene Regel. Wir aber: Reden nicht einmal mehr geregelt miteinande­r. Und weil das so ist, sollen es also umso mehr ebenjene jenseits des Gartenzaun­s richten, den Müll trennen, die Demokratie retten, bessere Politik machen,

Tore schießen (okay, die Fußballer haben zuletzt gewonnen, aber dieses Trikot!), wie überhaupt die Stimmung besser werden muss. Hoffnung.

Man sollte es also umdrehen: „Ich erhoffe nichts“bedeutet eigentlich, nichts zu erwarten. Dass erst einmal ein jeder selbst, nicht die anderen verantwort­lich sind, ich aber als dergestalt freier Mensch umgekehrt stets für ebendiese, ohne Furcht vor Enttäuschu­ng. Sorry, das klingt jetzt alles vielleicht sehr pastoral (Ostern), aber weiter auf diesem Weg wie jetzt, schaufeln wir jedenfalls eine Grube. Also uns allen, Völkern, Nachbarn, überempfin­dlichen und darob streitsüch­tigen Dackeln.

In Kazantzaki­s’ anderem Buch, „Die letzte Versuchung“, geht die Erlösungsg­eschichte mehr so halb halb auf, aber genau das macht sie so menschlich. Denn egal, ob das Grab leer ist oder nicht – Mensch sein trotz alledem, das wäre wirklich Hoffnung. Und die gibt es nicht woanders, gibt es nicht bei Lieferando.

Wir reden ja nicht einmal mehr geregelt miteinande­r.

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