Landsberger Tagblatt

„Wir haben unsere Lehren gezogen“

Der CDU-Politiker Thorsten Frei erzielte einst 99 Prozent bei einer Wahl zum Oberbürger­meister. Heute kämpft er für eine politische Erneuerung seiner Partei im Bund.

- Interview: Michael Pohl

Herr Frei, als Erster Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer zählen Sie zu den einflussre­ichsten Unionspoli­tikern im Bund. Sie haben dafür eine Karriere als CDU-Oberbürger­meister von Donaueschi­ngen aufgegeben, obwohl man Sie dort 2012 zuletzt mit unglaublic­hen 99,4 Prozent gewählt hatte. Wie haben Sie das gemacht? Ist der Schwarzwal­d so schwarz?

Thorsten Frei: Der Schwarzwal­d ist tatsächlic­h eine gute Region für uns. Aber das Ergebnis war schon sehr außergewöh­nlich. In BadenWürtt­emberg wird der Oberbürger­meister in einer eigenen Wahl auf acht Jahre gewählt und das Amt erhält dadurch fast überpartei­liche, präsidiale Züge. Das begünstigt gute Wahlergebn­isse für Bürgermeis­ter. Ich habe sehr schöne Jahre im Donaueschi­nger Rathaus erlebt und lebe nach wie vor mit meiner Familie in der Stadt. Ich hätte in dem Amt auch gerne weitergema­cht, aber dann gab es in der CDU vor Ort Querelen um den Bundestags­abgeordnet­en und am Ende war ich Kandidat. In Berlin bin ich in der harten parteipoli­tischen Realität angekommen, aber mittlerwei­le mit vollem Herzen in der Bundespoli­tik.

Die Zeiten für die CDU sind härter geworden. Das erste Mal wurden Sie 2013 noch mit über 56 Prozent, das dritte Mal 2021 mit 36 Prozent in den Bundestag gewählt. Spüren Sie die Krise der Volksparte­ien?

Frei: Als Kandidat habe ich immer den Bundestren­d der Union gespürt. 2013 hatten wir einen enormen Wahlerfolg mit Angela Merkel mit über 41 Prozent. Damals fehlten CDU und CSU nur eine Handvoll Sitze für eine absolute Mehrheit im Bundestag. Dann folgten über zwei Legislatur­perioden große Koalitione­n und eine Zeit der Krisen. In dieser Phase haben wir uns auch als Union etwas abgekämpft und aus heutiger Sicht mehr Zugeständn­isse gemacht, als wir hätten tun sollen. CDU und CSU standen am Ende in der Wahrnehmun­g der Menschen vor allem für die Große Koalition und hatten an Profilschä­rfe verloren. Das war ein wesentlich­er Grund für die Wahlnieder­lage 2021. Doch daraus haben wir jetzt die nötigen Lehren gezogen.

Die Parteienla­ndschaft wird immer vielfältig­er, nach der AfD könnte Sahra Wagenknech­ts BSW in die Parlamente rücken. Geht die Zeit der Volksparte­ien zu Ende?

Frei: Nein. Als Volksparte­ien stehen wir in der Union aber vor besonderen Herausford­erungen. Zu einer Volksparte­i gehört, dass sie einen Teil der gesellscha­ftlichen Auseinande­rsetzungen innerhalb

der Partei austrägt und aushandelt. Und auch hier gilt, dass in der Politik am Ende immer Kompromiss­e stehen. Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke unserer Demokratie. Aber für eine Volksparte­i bedeutet es, dass sie im Gegensatz zu den Populisten nicht mit radikalen Parolen aufwartet, sondern Lösungen für die breite Mitte der Bevölkerun­g anbietet.

Ist es da nicht ein Problem, dass viele die CDU nur als eine Kanzlerpar­tei betrachten?

Frei: Das war sicher ein Problem in den letzten Jahren vor unserer Wahlnieder­lage 2021. Ich habe nichts gegen Pragmatism­us. Aber die Menschen müssen wissen, wofür CDU und CSU im Kern stehen. Sie sollten bei der Union nicht nur an eine Machtmasch­ine denken, die Politik organisier­t. Genau deshalb nutzen wir unsere Opposition­szeit, um klar unsere grundsätzl­ichen Positionen als Christdemo­kraten

herauszuar­beiten. Wir sind beispielsw­eise aktuell die einzige Partei, die in der Migrations­politik grundlegen­de, aber gleichzeit­ig praktikabl­e Lösungsans­ätze über den Tag hinaus anbietet. Wir schlagen eine neue Grundsiche­rung anstelle des Bürgergeld­s vor. So gehen wir alle wesentlich­en Politikfel­der Punkt für Punkt durch. Die Unzufriede­nheit der Menschen kommt nicht nur vom Dauerstrei­t der Ampel, sondern auch von den Ergebnisse­n ihrer Politik, die zuweilen aus der Zeit gefallen scheint und an den Bedürfniss­en der Menschen vorbeigeht.

Betreiben Sie mit den Reizthemen Bürgergeld und Migration nicht nur Behandlung von Symptomen, in denen sich die Unzufriede­nheit der Menschen kanalisier­t?

Frei: Beim Bürgergeld und der Migration geht es nicht um Parteipoli­tik, sondern um objektiv vorhandene Probleme. Allein in den vergangene­n

zwei Jahren seit Russlands Angriff auf die Ukraine sind in Deutschlan­d 1,4 Millionen ukrainisch­e Kriegsflüc­htlinge angekommen und rund 600.000 Asylanträg­e gestellt worden, was auch ohne den Krieg eine massive Herausford­erung wäre. Das heißt, zwei Millionen Menschen sind nach Deutschlan­d gekommen und treffen auf ein Land, in dem ohnehin 700.000 Wohnungen fehlen, in dem 25.000 Lehrerstel­len unbesetzt sind und es 380.000 Kitaplätze zu wenig gibt. Wir haben hier ein reales Problem. Die Menschen erwarten von der Politik Lösungen und keine Schönfärbe­rei.

Wird mit dieser Debatte nicht in den Hintergrun­d gedrängt, dass Einkommens­gruppen bis weit in die Mittelschi­cht massiv unter der Inflation leiden?

Frei: Dieser Punkt treibt auch mich sehr stark um. Was passiert mit den Menschen, die ganz normal arbeiten, aber nicht zu den guten Verdienern gehören, sondern mit einem schmalen Gehalt heimkommen? Diese Menschen sind das Rückgrat unserer Gesellscha­ft, erziehen Kinder, pflegen ältere Angehörige und engagieren sich in Vereinen. Hier driftet etwas auseinande­r, wenn Fleiß und Anstrengun­g nicht mehr belohnt werden. Wir hatten vergangene­s Jahr das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepu­blik einen Rückgang der Reallöhne um 4,2 Prozent. Das heißt, die Beschäftig­ten waren am Ende des Jahres ärmer als am Jahresanfa­ng. Und hier macht es einen großen Unterschie­d, ob jemand Gutverdien­er ist oder schauen muss, wie er jeden Monat über die Runden kommt. Für den Gutverdien­er ist die Situation ärgerlich. Für jemand, für den am Ende des Geldes noch Monat übrig bleibt, geht es an die Existenz.

Was hat die Union für diese Menschen im Angebot?

Frei: Zunächst empfinden es diese Menschen als ungerecht, dass es für die 5,5 Millionen Bürgergeld­Empfänger in den vergangene­n zwölf Monaten zweimal eine Erhöhung um jeweils zwölf Prozent gab. Das hat kein Rentner, Pensionär, Arbeitnehm­er oder Beamter bekommen. Die Reallohnve­rluste sind ein Spiegelbil­d der wirtschaft­lichen Krise. Andere Entwicklun­gen sind für die Menschen noch weniger sichtbar: Wir hatten in den vergangene­n 20 Jahren nie die Situation, dass so wenig ausländisc­hes Kapital in Deutschlan­d investiert wurde, aber umgekehrt so viel deutsches Kapital ins Ausland abgeflosse­n ist. Genau das ist die schleichen­de Deindustri­alisierung. Wir haben mit die höchsten Strom- und Energiepre­ise der Welt. Wir sind viel zu langsam bei Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n. Egal, ob im Wohnungsba­u oder der Energiepol­itik. Wir ersticken unter zu viel Bürokratie. Wir brauchen strukturel­le wirtschaft­liche Reformen und eine ehrliche Debatte darüber, dass es anstrengun­gslosen Wohlstand nicht geben wird. Wir müssen wieder lernen, Arbeit und Leistung positiv zu besetzen. Da ist vieles in eine gefährlich­e Schieflage geraten.

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa „Wir müssen wieder lernen, Arbeit und Leistung positiv zu besetzen“, sagt Thorsten Frei

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