Landsberger Tagblatt

Das verlassene Jerusalem hofft auf Frieden

Normalerwe­ise ist die israelisch­e Hauptstadt in diesen Tagen voller Juden, Muslime und Christen. Aber seit dem Massaker der Hamas bleiben die meisten Touristen daheim. Ein Spaziergan­g zu den Händlern der Altstadt.

- Von Mareike Enghusen

In guten Zeiten sind die Osterfeier­tage ein zweifaches Fest für Issa M. aus Bethlehem. Der Händler, dessen arabischer Name „Jesus“bedeutet, feiert Ostern als Christ. Zugleich lockt das Fest für gewöhnlich zahlreiche Touristen und Pilger in seinen kleinen Laden in der Altstadt von Jerusalem. Doch gute Zeiten sind ruhige Zeiten. Dieses Jahr hingegen tobt ein Krieg in Gaza, schrecken bedrückend­e Nachrichte­n von Zerstörung, Leid und Tod jene Besucher ab, die so wichtig sind für Händler wie Issa M.

Für gewöhnlich drängen sich zur Osterzeit Tausende Touristen und Pilger aus aller Welt durch die engen Gassen, Hotels sind ausgebucht, und die Händler der Souvenirlä­den versuchen, die Passanten in Gespräche zu verwickeln. Nun aber ist die Stimmung gedrückt. Nahe des Jaffators sind viele der kleinen Geschäfte und Cafés verschloss­en; wo sonst Silberschm­uck glitzert, Shirts mit Jerusalem-Motiven hängen oder mit Kardamom gewürzter Kaffee seinen Duft verströmt, versperren schwere Eisentore den Blick. Die wenigen Menschen, die durch die Gassen laufen, sprechen das Hebräisch oder Arabisch der Einheimisc­hen. Und die Händler starren schweigend an ihnen vorbei.

Die Frage, wie es denn dieses Jahr laufe mit den Geschäften, erscheint so überflüssi­g, dass Issa M. sich ein wenig darüber ärgert. „Das können Sie mit ihren eigenen Augen sehen“, erwidert er. Allein steht er in seinem Laden, in dem Kreuze und Marienfigu­ren aus weich geschliffe­nem Holz auf Käufer warten. Er ist 75 Jahre alt, schlank und weißhaarig; seinen Nachnamen will er nicht nennen. Um von Bethlehem im Westjordan­land nach Jerusalem zu kommen, muss er einen Checkpoint der israelisch­en Armee passieren. Seit dem Terrorangr­iff der Hamas vom 7. Oktober jedoch gewährt Israel kaum noch Palästinen­sern Zugang – mit fatalen Folgen für die Wirtschaft im Westjordan­land: Rund 140.000 Palästinen­ser haben über Nacht ihre Jobs verloren.

Das Einreiseve­rbot trifft auch Händler wie Issa M. Nur für vier Tage in der Woche vor Ostern habe er eine Erlaubnis erhalten, nach Jerusalem zu kommen – das erste Mal seit dem 7. Oktober. Doch zu tun gebe es hier ohnehin nichts. „Im Norden herrscht Krieg, im Süden herrscht Krieg“, klagt er mit Verweis auf Israels Kämpfe gegen die Hamas in Gaza und die Hisbollah im Libanon. „Natürlich kommen da keine Touristen. Die wären ja verrückt!“

In dem Geschäft schräg gegenüber lehnt ein kräftiger Mann mit graumelier­tem Haar im Türrahmen. Er stellt sich als Susu vor, 40 Jahre alt, gebürtiger Jerusaleme­r und Muslim; auch er gibt nur seinen Vornamen preis. „In den letzten sechs Monaten war ich nur zwei Wochen hier“, sagt er, zuckt mit den Schultern und bringt das

Gespräch auf Politik: Israel, glaubt er, werde es in ein paar Jahren nicht mehr geben. „Gaza wird diesen Krieg gewinnen“, sagt er, „denk an meine Worte.“

Einige junge Männer in der schwarzwei­ßen Kleidung ultraortho­doxer Juden nähern sich plaudernd. Sofort wechselt Susu ins Hebräische: „Hallo, willkommen!“

Die Männer gehen weiter, ohne sich umzudrehen.

Ein paar Meter weiter steht Hashem Natshe, 50, in seinem Schmuckges­chäft. „Normalerwe­ise wäre die Altstadt jetzt voll von Christen, Muslimen und Juden“, sagt er, „Christen wegen Ostern, Muslime wegen Ramadan, Juden wegen Purim.“Das jüdische Purimfest fand in diesem Jahr wenige Tage vor Ostern statt. Immerhin hätten sich die Spannungen zwischen Juden und Palästinen­sern etwas gelegt: „Vor fünf Monaten war es verrückt, beide Seiten hatten Angst voreinande­r. Inzwischen ist es ruhiger, niemand hier will Probleme.“

Dabei hatten vor dem Beginn des muslimisch­en Fastenmona­ts Ramadan viele Beobachter vor Spannungen gewarnt. In früheren Jahren war es auf dem Areal der AlAqsa-Moschee

auf dem Tempelberg immer wieder zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen zwischen jungen Palästinen­sern und israelisch­en Sicherheit­skräften gekommen. Vor drei Jahren hatte sich daraus ein elftägiger militärisc­her Konflikt entwickelt: In Reaktion auf die Unruhen feuerte die Hamas Raketen auf israelisch­e Städte, und Israels Armee nahm daraufhin Ziele der Hamas im Gazastreif­en unter Beschuss. Dieses Jahr hatten Analysten gewarnt, dass erneute Spannungen in Jerusalem den Gazakrieg noch anheizen oder womöglich gar weitere regionale Akteure in den Konflikt hineinzieh­en könnten. Doch diese Befürchtun­gen sind bislang ausgeblieb­en: 120.000 Muslime beteten am Freitag vor Ostern friedlich auf dem Al-Aqsa-Areal.

Und einige wenige Touristen sind trotz allem angereist. Zu ihnen gehört die 40-jährige Melanie K. aus Freiburg, die an diesem Nachmittag mit ihrem Mann und den zwei Kindern, neun und elf, im Café des Österreich­ischen Hospizes in der Jerusaleme­r Altstadt sitzt. Das Hospiz, eine katholisch­e Pilgerherb­erge an der Via Dolorosa, ist eine bekannte Institutio­n in der Altstadt; sein Café, mit Apfelstrud­el und Sachertort­e auf der Speisekart­e, zieht in ruhigeren Zeiten viele deutschspr­achige Reisende an. An diesem Tag sind die meisten Tische unbesetzt.

„Wir kommen schon seit Jahren hierher, weil wir das Land total mögen“, erklärt Melanie K., „das liegt an unserem Glauben und auch daran, dass wir 2006 ein paar Monate in Tel Aviv gewohnt haben. Seitdem haben wir Freunde hier, und die haben uns versichert, dass man im Moment als Touristen gut herkommen kann.“Damit ist Familie K. eine Ausnahme. Hotelbetre­iber und Reiseagent­uren in Jerusalem berichten von massenhaft­en Absagen seit Oktober. Und solange hundert Kilometer entfernt Krieg herrscht, dürfte sich daran wenig ändern.

„Ich hoffe, es wird Frieden geben, und alle Menschen werden ihr Leben genießen können“, sagt der Schmuckhän­dler Hashem Natshe in seinem Geschäft nahe dem Jaffator. „Inschallah.“So Gott will.

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Fotos: Mareike Enghusen Die Jerusaleme­r Altstadt ist sonst zu Ostern voll. Wegen des Krieges aber meiden Touristen Israel.
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Hashem Natshe hofft in seinem Geschäft auf mehr Kundschaft.

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