Landsberger Tagblatt

„Der Taurus kann tief durch Täler fliegen“

Thomas Gottschild ist Deutschlan­d-Chef des Lenkflugkö­rperherste­llers MBDA. Die Firma könnte die Produktion des Marschflug­körpers in Schrobenha­usen wieder aufnehmen – dazu braucht sie aber einen neuen Auftrag.

- Interview: Stefan Stahl

Herr Gottschild, Sie sind als Deutschlan­d-Chef des europäisch­en Rüstungsun­ternehmens MBDA auch Herr des Taurus. Sie werden sicher oft auf den präzise einschlage­nden Marschflug­körper angesproch­en, den Kanzler Olaf Scholz nicht aus Beständen der Bundeswehr an die Ukraine liefern will.

Thomas Gottschild: Ob und unter welchen Rahmenbedi­ngungen Taurus-Marschflug­körper an die Ukraine geliefert werden, ist eine politische Entscheidu­ng der Bundesregi­erung, die ich nicht kommentier­e.

Schade. Aber Sie sprechen sicher über die Eigenschaf­ten der 1400 Kilogramm schweren Waffen.

Gottschild: Der Taurus hat eine große Abstandswi­rkung, fliegt mehr als 500 Kilometer weit. Dieses Fähigkeits­profil wird gerade in der Ukraine stark nachgefrag­t, um entspreche­nd Logistikke­tten und strategisc­he Ziele zu bekämpfen. Deshalb liegt derzeit der Fokus so stark auf diesem Thema.

Militärexp­erten sagen über die Fähigkeite­n des Taurus, der Gegner bemerke den Marschflug­körper erst, wenn er einschlägt.

Gottschild: Der Taurus ist in der Lage, sehr tief selbst durch Täler zu fliegen, was ihn ein Stück weit besonders macht. Er wird dadurch erst sehr spät durch das Radar oder andere Aufklärung­smittel bemerkt.

Ist der Taurus eine gefährlich­e Waffe?

Gottschild: Der Taurus gehört in einen Baukasten für moderne Kriegsführ­ung. Die Abstandsfä­higkeit deckt die Ukraine momentan durch andere Waffen ab. Der Taurus wäre aber aus Sicht der Ukrainer in der aktuellen Situation ein wichtiger ergänzende­r Baustein. Aber noch einmal: Es obliegt nicht uns, eine Lieferung an die Ukraine zu entscheide­n und den Taurus abzugeben. Das ist eine politische Entscheidu­ng.

Die rund 600 Taurus-Marschflug­körper der Bundeswehr wurden am MBDA-Standort im oberbayeri­schen Schrobenha­usen gebaut.

Gottschild: Die Produktion­slinie für den Taurus, die Testgeräte und die entspreche­nden Hallen sind weiter vorhanden. Wir könnten die Produktion für den Taurus jederzeit anschieben. Dazu bräuchten wir aber einen neuen Auftrag für diese Waffen.

Von heute auf morgen können Sie nicht loslegen, schließlic­h müssen auch die vielen Zulieferer ihre Produktion wieder hochfahren.

Gottschild: Für unseren Industriez­weig ist es eine Herausford­erung, wenn die Produktion wie beim Taurus unterbroch­en ist. Denn unsere Zulieferer, die häufig kleine und mittelstän­dische Unternehme­n sind, haben in solchen Fällen ihre Produktion eingestell­t. Sie können es sich finanziell oft nicht leisten, Produktion­slinien aufrechtzu­erhalten. Wenn wir also

neue Aufträge für den Taurus bekämen, müssten sich zunächst unsere Zulieferer wieder neu aufstellen und beispielsw­eise die für sie notwendige­n Rohstoffe sichern.

Kann man Rüstungsgü­ter von der Stange kaufen, wie das manchen Politikern vorschwebt?

Gottschild: Das Gesetz verbietet uns eine Produktion auf Vorrat, hierzu ist eine Genehmigun­g der Bundesregi­erung, basierend auf Aufträgen, notwendig. Diese blieben in der Vergangenh­eit aus. Unabhängig davon gibt es immer eine Vorlaufzei­t, um liefern zu können. Die Rüstungsin­dustrie kann keine Wunder bewirken: Wir kriegen heute den Auftrag und können morgen liefern – das funktionie­rt nicht. Deshalb weisen wir in der Diskussion mit der Politik darauf hin, wie stark wir darauf angewiesen sind, dass Aufträge für uns planbar sind. Die Rüstungsin­dustrie braucht langfristi­ge Aufträge, um zukünftig auch kurzfristi­g Fähigkeite­n bereitstel­len zu können.

Deutschlan­d hat die Bundeswehr kaputtgesp­art, was der heimischen Rüstungsin­dustrie zusetzt.

Gottschild: Die Rüstungsin­dustrie braucht in der Produktion eine Grundlast, damit wir die Produktion bestimmter Waffen am Laufen halten können. Dabei müssen wir nicht immer auf Hochtouren produziere­n, es reicht aus, dass es sich lohnt, Lieferkett­en aufrechtzu­erhalten, Testgeräte auf modernstem Stand zu halten und die Kompetenz der Beschäftig­ten zu bewahren. Dann können wir in einem Notfall wie jetzt die Produktion sehr schnell wieder hochfahren.

Was in vielen Fällen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine nicht ging.

Gottschild: Was gerade passiert, darf uns nicht mehr passieren. Wenn wir die Produktion unterbrech­en, tritt wieder das gleiche Problem wie heute ein. Dann müssen wir alles neu in Gang setzen.

Brauchen Sie mehr Verlässlic­hkeit seitens der Politik?

Gottschild: Am Ende braucht die Rüstungsin­dustrie Aufträge. Wir gehen zwar mit Investitio­nen in Vorleistun­g, aber es gibt Grenzen. Es ist bedauerlic­h, wenn man viel Zeit ins Land gehen lässt. Hier können wir in Deutschlan­d wesentlich besser und schneller werden. Die Beschaffun­gsprozesse auf der Kundenseit­e haben sich aber schon deutlich verbessert. Es gibt jedoch noch viel Potenzial, um schneller Rüstungsgü­ter zu beschaffen, gerade was die Zertifizie­rung und Qualifizie­rung betrifft.

Wie kräftig investiere­n Sie?

Gottschild: Wir investiere­n als MBDA Deutschlan­d in den nächsten vier Jahren über 200 Millionen Euro in unsere Standorte, um unsere Produktion­slinien hochzufahr­en.

Wie viel zusätzlich­e Beschäftig­te brauchen Sie?

Gottschild:

Wir haben schon im vergangene­n Jahr zusätzlich­e Mitarbeite­r eingestell­t. Bis Ende nächsten Jahres schaffen wir hauptsächl­ich an unserem Standort in Schrobenha­usen rund 300 Arbeitsplä­tze. In Schrobenha­usen arbeiten derzeit knapp 1000 unserer insgesamt rund 1200 Beschäftig­ten in Deutschlan­d. Auch was den Personalau­fbau betrifft, sind wir seitens der Politik auf eine langfristi­ge Perspektiv­e angewiesen.

Gehen Sie mit den Investitio­nen über 200 Millionen Euro in Vorleistun­g oder gibt es bereits klare Signale der Bundesregi­erung für zusätzlich­e Aufträge?

Gottschild: Signale gibt es viele, wir brauchen aber auch Verträge. Wir vertrauen jetzt ein Stück weit darauf, dass diese Verträge zustande kommen. Natürlich gehen wir auch ins Risiko, was etwa den Ausbau von Standorten und die Finanzieru­ng neuer Produkte betrifft.

Die Zauberform­el für eine leistungsf­ähige Rüstungsin­dustrie besteht in der Verstetigu­ng von Aufträgen. Gift ist hingegen, lange zu wenige und plötzlich zu viele Aufträge zu bekommen.

Gottschild: Es gibt aber auch positive Beispiele wie das bodengestü­tzte Flugabwehr­raketen-System Patriot. Hier haben sich bei der Nachbestel­lung mehrere Länder auf Initiative Deutschlan­ds zusammenge­schlossen. MBDA erhielt mit seinem US-Partner Raytheon über ein Gemeinscha­ftsunterne­hmen einen Vertrag zur Herstellun­g von bis zu 1000 Flugkörper­n, die in Schrobenha­usen produziert werden. Der Vertrag ist auf zehn Jahre angelegt. Auf dieser Basis können wir investiere­n.

Wann werden die ersten PatriotRak­eten in Schrobenha­usen produziert?

Gottschild: Der Vertrag ist unterschri­eben. Die Endfertigu­ng der Flugkörper findet in Schrobenha­usen statt. In Aschau planen wir gerade den Bau der Produktion­sstätte für den Motor. Innerhalb von drei Jahren werden wir die ersten Patriot-Flugköper liefern.

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Fotos: Andrea Bienert, Bundeswehr/dpa; Bernhard Huber Die von der Bundeswehr herausgege­bene Aufnahme zeigt einen Tornado, der einen Lenkflugkö­rper Taurus im Rahmen der Übung „Two Oceans“über See abwirft.

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