„Übergriffe müssen tabu sein“
Ende 2023 ging die Wagner-Sängerin Waltraud Meier in den Ruhestand. Jetzt spricht sie über ihren größten Flop, MeToo und was sie vor ihrem Tod noch einmal hören möchte.
Was war Ihre früheste Erinnerung in Verbindung mit Musik?
Waltraud Meier: Das muss ganz, ganz früh gewesen sein, weil sich mein Vater fast jeden Abend ans Klavier gesetzt hat und – völlig laienhaft, rudimentär – irgendetwas gespielt hat. Und wir haben halt gesungen, Volkslieder, Kunstlieder, das „Veilchen“, „König von Thule“, solche Sachen. Es gibt ein Foto von mir, auf dem mein Vater am Klavier sitzt, und ich sitze oben auf dem Klavier als Kleinkind. Meine Mutter hat immer behauptet, ich habe zuerst gesungen und dann erst gesprochen – keine Ahnung, ob das stimmt.
Was ist Ihre jüngste Erinnerung an eine musikalische Sternstunde, in der alle „flogen“, der Dirigent, das Orchester, das Ensemble – und zusätzlich das Auditorium auch noch empfangsbereit war?
Meier: Für mich persönlich war der Kulminationspunkt meiner Karriere der 7. Dezember 2007. „Tristan“-Premiere an der Scala, Mailand – ich müsste lange nachdenken, was danach noch vergleichbar Tolles kam. Diesen „Tristan“hatte Patrice Chéreau inszeniert, Daniel Barenboim dirigierte. Das war für mich die Erfüllung schlechthin. Ich habe auch gleich Patrice gesagt: „Also, der ganze Beruf, und wenn er auch nur für diesen Abend gewesen wäre, hat sich gelohnt!“
Sprung von der Sternstunde ins Gegenteil sozusagen …
Meier: Das Schlimmste? Also, die schlimmste Erfahrung für mich war die „Carmen“-Produktion an der Met in New York mit Zeffirelli. Das war die größte Enttäuschung, die ich je hatte. James Levine war ein Glücksfall in diesem ganzen Desaster mit etlichen Regisseurumbesetzungen im Vorfeld. Er hielt die ganze Zeit zu mir. Denn vier Wochen vor Probenbeginn hieß es, es inszeniert Zeffirelli – von dem ich wusste, dass er mich nicht wollte. Für ihn war ich „the german house wife“. Er hat dann mit mir schlicht nicht gearbeitet. Dann habe ich mir aus lauter Verzweiflung Hilfe geholt und eine Bühnenassistentin von der Wiener Staatsoper einfliegen lassen, die mit mir meine Szenen geprobt hat. Zeffirelli wollte eine Carmen, die sich an die Männer ranwanzt und das ist diametral zu dem, wie ich die Carmen begreife: Sie repräsentiert die Freiheit, sie geht nicht an die Männer ran. Die lässt sie mal schön kommen. Ich habe mich durch die Vorstellungen innerlich gequält. Das war der größte Flop.
Was war für Sie das beruflich Belastendste?
Meier: Es gibt keinen Superlativ. Es ist eine Mischung: Ich bin zu lange von zu Hause weg; ich habe eine Sehnsucht nach dem häuslichen
Alltag. Nicht das Schmieden, sondern das Erhalten der Karriere war belastend, aber das habe ich auch erst hinterher gemerkt, beim Aufatmen, nachdem ich die großen Partien abgefeiert und abgegeben hatte, die Kundry, die Isolde, die Leonore. Erst da merkte ich, unter welchem Druck ich bis dahin gestanden hatte. Eigentlich hatte ich ja einen raketenhaften Aufstieg: Mit 20 begonnen, mit 25 die erste Kundry, es ging rasant hoch, und Bayreuth folgte mit 27.
Haben Sie auch Missfallen über sich ergehen lassen müssen?
Meier: Ein einziges Mal – und da weiß ich genau, was es war. Und zwar war es bei einer Premiere. Da kamen Buhs von ganz oben rechts und da wusste ich ganz genau, das sind die Jünger des Regisseurs. In der zweiten Vorstellung schon war das dann vorbei.
Ist Ihnen in Ihrer Laufbahn passiert, dass Sie sagen mussten: Wenn ich jetzt ein Mann wäre, wäre ich im Vorteil! Und zweiter Teil der Frage: Waren Sie – ohne ins Detail zu gehen – beruflich unsittlichen Anträgen ausgesetzt?
Meier: Oh ja. Beides. Unwillkommenen Bedrängungen, wo ich sagen konnte, denen kann ich mich wunderbar erwehren – und anderen, wo ich durchaus einen Nachteil hatte, nachdem ich mich erwehrt hatte. Habe ich alles erlebt. Aber im Großen und Ganzen ist ja das Gute, dass ein Mann nicht Mezzosopran singen kann; ein Mann konnte mir auch nicht die Isolde wegnehmen. Insofern hatte ich da einen Vorteil. Ansonsten kann ich sagen: Es gab zwei Regisseure, mit denen ich arbeitete, die Männer anders behandelt haben als Frauen. Männer durften bei denen alles machen auf der Bühne, Frauen wurden gepiesackt. Ja, also ich habe viel erlebt. Auch MeToo-mäßig. Insofern finde ich die Initiative der MeToo-Bewegung erst einmal richtig und wichtig – dass ein Bewusstsein entsteht. Ich sehe allerdings gleichzeitig die Gefahr, dass man auch da wieder übers Ziel hinausschießt. Aber die Grenzen sind für mich absolut klar: Da, wo eine Abhängigkeit oder üble Nachrede entstehen kann, da müssen Übergriffe tabu sein. Gleichzeitig muss man wissen: Eine gewisse Trophäen-Jagd existiert beidseitig. Auch Frauen gegenüber Männern, natürlich. So ehrlich müssen wir Frauen auch sein. Andererseits gilt auch: Es hat einem Mann noch nie geschadet, wenn er angebaggert wurde. Eher einer Frau.
Ihnen war Singen eine Lebens-, Ausdrucks- und Identifikationsfreude. Wie kompensieren Sie das nach Ihrem Bühnenabschied?
Meier: Ja, jetzt wird’s mit meinen stimmlichen Fähigkeiten nicht mehr so gehen, wie ich das hatte. Jetzt drücke ich mich anders aus. Es ist mehr innerlich, gedanklich. Ich vermisse das Singen nicht! Aber Musik ist mir schon noch wichtig. Ins Konzert gehen brauche ich, in die Oper gehen … Mehr Konzert als Oper… Ausstellungen. Solche Sachen. Ich glaube, ich konnte immer gut im Moment leben.
Kommen wir zu den letzten Dingen. Welche Musik würden Sie gerne noch einmal hören wollen vor Ihrem Tod?
Meier: Sechster Satz, Dritte Mahler. (Waltraud Meier singt.)
Was mir die Liebe erzählt!? Meier: Ja. Das unbedingt. Aber bitte nicht von jedem Dirigenten, da bin ich heikel. Wunderbar entweder von Sinopoli oder Levine.