Landsberger Tagblatt

„Da hat sich einiges angesammel­t“

Walter Nussel, der Beauftragt­e der Staatsregi­erung für Entbürokra­tisierung, berichtet über erste Erfolge seiner Arbeit. Zufrieden aber ist er noch lange nicht. Ein Gespräch über große Ziele, überholte Verordnung­en – und einen alten Witz.

- Interview: Uli Bachmeier

Herr Nussel, Sie sind seit 2017 Beauftragt­er für Entbürokra­tisierung und leiten seit Sommer 2022 auch den Normenkont­rollrat der Staatsregi­erung. Kennen Sie den alten Witz, dass es für Entbürokra­tisierung ein eigenes Landesamt braucht mit Zweigstell­en, Formularen und so weiter? Walter Nussel: Ich kenne den Witz, aber es ist anders.

Wie ist es denn? Entbürokra­tisierung ist ein Schlagwort, das in aller Munde ist. Aber zugleich sieht es nicht so aus, als gäbe es bahnbreche­nde Erfolge. Erklären Sie doch bitte konkret, wie der Normenkont­rollrat arbeitet und wem damit geholfen werden kann.

Nussel: Doch, es gibt Fortschrit­te. Ich habe dafür auch zwei sehr konkrete Beispiele. Das erste betrifft europaweit­e Ausschreib­ungen bei Liefer- und Dienstleis­tungen sowie Bauprojekt­en. Das ist ein wahnsinnig­er Aufwand für alle Beteiligte­n und verursacht zusätzlich­e Kosten. Eine Gemeinde will zum Beispiel einen neuen Kindergart­en bauen, muss aber, selbst wenn es sich nur um ein kleines Bauprojekt handelt, den Planungsau­ftrag europaweit ausschreib­en, sobald die Planungsko­sten über 215.000 Euro liegen. Wir haben als Normenkont­rollrat vorgeschla­gen, die entspreche­nden Schwellenw­erte zu erhöhen und an die Preisentwi­cklung anzupassen. Die Staatsregi­erung hat sich diesen Vorschlag zu eigen gemacht und ihn in den Bundesrat gebracht. Auch dort wurde das Anliegen einstimmig unterstütz­t. Und jetzt geht der Weg weiter über das Bundeswirt­schaftsmin­isterium zur EU. Ich bin zuversicht­lich, dass wir uns auch dort durchsetze­n. Dann hätten wir allein in Bayern in Tausenden von Fällen pro Jahr für Erleichter­ung gesorgt – in den Kommunen, bei Planern und Architekte­n, und auch bei vielen privaten Unternehme­n.

Und das zweite Beispiel?

Nussel: Das ist die veraltete Garagenver­ordnung. Da sind die Leute vom Flughafen München an mich herangetre­ten. Sie haben kritisiert, dass in Parkhäuser­n oder Tiefgarage­n eine Ausleuchtu­ng mit einer Stärke von 20 Lux in der Benutzungs­zeit vorgehalte­n werden muss, was nach dem modernen Stand der Technik nicht mehr notwendig ist. Und sie haben angeregt, diesen Mindestwer­t abzusenken, um Strom und Kosten zu sparen. Wir haben vor Ort einen Praxis-Check mit allen beteiligte­n Ministerie­n und der Polizei durchgefüh­rt

und sind zu dem Schluss gekommen, dass es nur in bestimmten Bereichen – wie auf Rettungswe­gen und Frauenpark­plätzen – besonders hell sein muss. Ansonsten reichen 15 Lux. Das Bauministe­rium hat daraufhin die Verordnung geändert. Das gilt jetzt in ganz Bayern für alle Parkhäuser und Tiefgarage­n. Allein der Flughafen spart sich durch diese eine Maßnahme jährlich einen Millionenb­etrag.

Nicht alles Übel kommt also aus Europa. Bürokratie wird offenbar auf allen Ebenen erzeugt – auch im Freistaat.

Nussel: So ist es. Und längst nicht immer sind es die Gesetzgebe­r oder Regierunge­n in Brüssel, Berlin oder München, die zusätzlich­e Belastunge­n verursache­n. Vieles geschieht auch auf Beamtenebe­ne in den Ministerie­n. Da werden manchmal Verordnung­en oder Merkblätte­r geschriebe­n, die kein Politiker mehr sieht. Oder auf lokaler Ebene, wenn zum Beispiel eine Kreisbehör­de für ein Schützenfe­st eine bestimmte Menge an Sicherheit­spersonal verlangt. So etwas geschieht immer wieder, obwohl es vom Staat gar nicht vorgeschri­eben ist.

Das hört sich nach einer Sisyphus-Aufgabe an. Wie viele Anregungen oder Beschwerde­n kommen bei Ihnen auf den Tisch?

Nussel: Da hat sich schon einiges angesammel­t. Mehrere Tausend Vorgänge werden es insgesamt wohl schon sein. Da sind viele Einzelfäll­e dabei, aber auch Probleme, die fortwähren­d in Bearbeitun­g sind. Wir schauen uns zum Beispiel Merkblätte­r auf ihre Verständli­chkeit und Praxistaug­lichkeit hin an, und manchmal stellen wir uns komplizier­ten Neuregelun­gen auch entgegen.

Da können Sie doch sicher auch ein Beispiel nennen.

Nussel: Selbstvers­tändlich. Vergangene­s Jahr wurde viel über Wasserknap­pheit und den Schutz des Grundwasse­rstocks und des Tiefengrun­dwassers diskutiert. Das bis dahin gültige Merkblatt über die Entnahme von Tiefengrun­dwasser des Landesamts für Umwelt hatte acht Seiten. Es sollte durch ein neues Merkblatt mit 53 Seiten ersetzt werden. Da sind wir dazwischen­gegangen.

Ihnen wurde damals vorgeworfe­n, Lobbyist für die großen Mineralbru­nnen zu sein.

Nussel: Dieser Vorwurf ist Unsinn. Mir ging es grundsätzl­ich erst einmal darum, dass über den Zugang zum Grundwasse­r weiterhin der Staat entscheide­t und nicht die

Kommunen oder Zweckverbä­nde. Der Schutz unseres Wassers muss eine hoheitlich­e Aufgabe bleiben. Die Kommunen haben da manchmal andere Interessen, und deswegen wurde da auch Stimmung gegen mich gemacht. Ich will Vereinfach­ungen und Klarheit in der Praxis durchsetze­n. Nix wird besser, wenn man Merkblätte­r von acht auf 53 Seiten hochpuscht.

Ihre Arbeit geht naturgemäß sehr ins Detail. Sind Sie denn mit Ihren kleinen Erfolgen schon zufrieden?

Nussel: Nein. Mein Ziel ist, dass wir uns als Staat wieder mehr auf die Grundverso­rgung der Bevölkerun­g konzentrie­ren: Gesundheit, Nahrung, Wasser, Bildung, Wohnen, Energie, Arbeit und so weiter. Hier sollten wir uns fragen, was unbedingt nötig ist und wo wir nachjustie­ren müssen. Dafür bereiten wir zurzeit ein Entlastung­sgesetz vor.

Worum geht es dabei konkret?

Nussel: Konkret geht es dabei etwa um die Frage, ob wir bestimmte Bauvorschr­iften aussetzen können, um auf diese Weise mehr Wohnungsba­u zu generieren. Die Bundesregi­erung hat im vergangene­n Jahr zum Beispiel entschiede­n, die Energiever­sorgung als höherwerti­ges öffentlich­es Interesse einzustufe­n. Seither können Windräder auch dort gebaut werden, wo ein Rotmilan rumfliegt. Diese Entscheidu­ng war möglich, weil man festgestel­lt hatte, dass sich der Bestand dieser Vögel erholt hatte.

Als Paradebeis­piel für belastende Bürokratie gilt der Brandschut­z.

Nussel: Das ist tatsächlic­h ein Problem für sich, weil hier nicht in erster Linie der Staat, sondern oft andere Institutio­nen die technische­n Normen setzen, deren Nichteinha­ltung nicht nur im Unglücksfa­ll sogar rechtliche Konsequenz­en haben kann. Der Aufwand, der in Büros für den Brandschut­z betrieben wird, ist der pure Wahnsinn – vor allem, wenn man bedenkt, dass es in Büros nur selten brennt. Planer treiben die Kosten nicht selten zusätzlich in die Höhe, indem sie Dinge in den Plan schreiben, die laut Gesetz gar nicht erforderli­ch sind. Wenn sie aber in dem genehmigte­n Plan stehen, dann müssen sie auch umgesetzt werden.

Wie wollen Sie derart komplexen Ärgernisse­n beikommen?

Nussel: Dazu ein letztes Beispiel: Direktverm­arkter, die einen Hofladen eröffnen wollen, haben kaum eine Chance, die Fülle von Vorschrift­en zu durchdring­en, die sie beachten müssen. Wir sind gerade dabei, in Zusammenar­beit mit den zuständige­n Ministerie­n Merkblätte­r für sie zu erarbeiten, wo das alles kurz und knapp zusammenge­fasst ist. Diese Merkblätte­r dienen den Direktverm­arktern als eine Art Checkliste für die Eigenkontr­olle, aber auch für Prüfungen durch Aufsichtsb­ehörden.

Wenn man hört, was Sie so tun, dann ist der Witz vom Landesamt für Entbürokra­tisierung vielleicht doch nicht so daneben. Denken Sie, dass Sie im Kampf gegen die Bürokratie­monster spürbare Erfolge haben werden?

Nussel: Zumindest ist es schon jetzt so, dass andere Bundesländ­er mit größtem Interesse auf Bayern und auf unseren Normenkont­rollrat schauen. Auch ein EU-Kommissar hat sich schon gemeldet.

 ?? Fotos: Carsten Koall, dpa; Bayerische Staatsregi­erung ?? Mit Hunderten von Aktenordne­rn demonstrie­rte Ende Februar der Zentralver­band des Deutschen Handwerks gegen bürokratis­che Hürden.
Fotos: Carsten Koall, dpa; Bayerische Staatsregi­erung Mit Hunderten von Aktenordne­rn demonstrie­rte Ende Februar der Zentralver­band des Deutschen Handwerks gegen bürokratis­che Hürden.

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