Landsberger Tagblatt

Der schönste Strauch der Welt

Pflanzen machen die Menschen glücklich. Das belegen verschiede­ne wissenscha­ftliche Studien. Einige aber machen glückliche­r als andere – zum Beispiel die Felsenbirn­e.

- Von Stefanie Wirsching

Der Mensch verliebt sich dreimal im Leben, sagt die Sozialpsyc­hologie. Also dreimal richtig, kurze Frühlingsg­efühle, kleine Flirts nicht eingerechn­et. Pflanzen zum Glück auch nicht. Auch da aber verliebt sich der Mensch nicht unendlich oft und auch da in doch sehr unterschie­dliche Typen. Nicht jede Liebe kann man verstehen: Manche umarmen leidenscha­ftlich Eichen, sehr viele verfallen den Rosen, andere zupfen hingebungs­voll an ihrem Bonsai herum oder lassen Kakteen in die Höhe sprießen, bis die für ihre Wohnung und damit ihr Leben zu groß werden und in die Wüste geschickt werden müssen. Mit ein bisschen Glück aber erwischt es einen mit der Felsenbirn­e.

Die Felsenbirn­e ist ein Wildobstge­hölz, lateinisch­er Name Amelanchie­r, ein anmutiger Strauch, der aber mehrere Meter hoch werden kann. Dann gleicht sie eher einem Baum. Mit Birnen hat sie nichts zu tun: Ihre Früchte sind klein, dunkel, süß und erinnern ein wenig an Heidelbeer­en. Man kann sie ins Müsli geben, Marmelade daraus machen oder sie trocknen. Wie Rosinen oder Korinthen. In Norddeutsc­hland wird die Felsenbirn­e daher auch gerne Rosinen- oder Korinthenb­aum genannt. Es gab eine Zeit, da waren die Beeren der Felsenbirn­e sehr begehrt, aber unter Obstgehölz­en ist sie dann doch wieder zum Niemand geworden. Mit Felsen übrigens hat sie auch nichts oder wenig zu tun. Die Felsenbirn­e könnte auf einem Felsen wachsen, weil sie so genügsam ist, aber meist trifft man sie hier in Gärten auf schöner satter Erde oder vielleicht verwildert an sonnigen Waldränder­n. Am häufigsten in den Gärten ist die Art Amelanchie­r lamarckii, die Kupfer-Felsenbirn­e, deren Blätter sich im Herbst – siehe Namen – wunderbar kupfern färben!

Die Felsenbirn­e blüht, wenn das grelle Gelb der Forsythie bereits verbleicht, aber die Buchen noch ihre alten braunen Blätter tragen. Also bald. Der Zeitpunkt ist aus mehreren Gründen ideal. Man kann vielleicht schon ein Weilchen draußen sitzen. Man ist noch frühlings- und damit blütenhung­rig. Man wird nicht vom Duft des Flieders abgelenkt. Kurz vor der Blüte beginnt sie schon ein wenig zu leuchten, dann überziehen die Blüten die Zweige mit Hunderten zarten weißen Lichtpunkt­en. Es ist wichtig, sich von Anfang an sattzusehe­n, denn eines Morgens ist die Felsenbirn­e ganz grün und der sogenannte Vollfrühli­ng ist da, was schon alleine vom Wort her nach Übermaß klingt, nach laut knatternde­m Band.

Peter Wohlleben ist Bestseller­autor geworden mit dem Buch „Das geheime Leben der Bäume“. Ich weiß nichts davon, aber wenn ich mir vorstelle, die Felsenbirn­e, die ich besitzergr­eifend gerne meine Felsenbirn­e nenne, weil sie von mir in reiche Erde gepflanzt wurde, wenn ich mir also vorstelle, meine Felsenbirn­e hätte ein geheimes Leben, dann eher kein ausschweif­endes wie man es sich zum Beispiel beim wild wuchernden Blauregen vorstellen könnte. Wissenscha­ftlich natürlich alles Nonsens, aber vielleicht tanzt sie geheim ein bisschen vor sich hin, so wie Menschen vor sich hintanzen, wenn sie denken, keiner sieht zu. Es geht dann nur ums Gefühl, nicht ums Beeindruck­en oder gut Aussehen oder was auch immer. Die Felsenbirn­e jedenfalls ist kein Poser! So wie zum Beispiel die Magnolie. Nichts gegen Magnolien, aber wie sie mit ihrer Schönheit umgehen, wie sie zur Schau stellen, seht her, diese fantastisc­hen Blüten, hat auch etwas Angeberhaf­tes, auf jeden Fall etwas sehr Extroverti­ertes. Die Felsenbirn­e zählt dagegen eher zu den schüchtern­en Pflanzen, ein Ausdruck, der mir vor Kurzem in einem Film begegnet ist, in dem eine sehr alte Dame bedauerte, dass sie ihre Pflanzen nicht mehr richtig sehen könne. Sie liebe vor allem die schüchtern­en … Eine Magnolie hat mit einer Felsenbirn­e jedenfalls ungefähr so viel Ähnlichkei­t wie Kim Kardashian mit Audrey Hepburn.

Wobei auch eine Magnolie natürlich glücklich machen kann, wie im Übrigen fast alle Bäume, Sträucher, Büsche, Pflanzen. Sitzen Menschen zum Beispiel unter Bäumen, dann schreiben sie nettere Textnachri­chten. Stellen sie auf ihren Schreibtis­ch eine Pflanze, dann sinkt der Stressleve­l. Wohnen Menschen in der Nähe von Bäumen, bekommen sie mit geringerer Wahrschein­lichkeit Antidepres­siva verschrieb­en. All diese Erkenntnis­se stammen aus wissenscha­ftlichen Forschunge­n der letzten Jahre. Leider wird in den Studien aber tatsächlic­h kaum ein Unterschie­d zwischen den Pflanzen gemacht, obwohl es doch auch unter ihnen solche und solche gibt. Goethe zum Beispiel fühlte sich gleich fröhlicher, wenn er in der Nähe von Nutzbäumen war.

Die Felsenbirn­e zählt auf jeden Fall zu den Pflanzen, die rundum irgendwie alle fröhlicher machen. Die Bienen, den Grünen Zipfelfalt­er, ein ganz besonderer Schmetterl­ing, bei dem die Unterseite der Flügel in wildestem Grün schillert, die Amseln, die die Beeren besonders lieben und unter deren Gewicht die dünnen Zweige wackeln, was die Amseln auf- und abwippend aber offenbar gut finden. Und mich. So, räusper, räusper, damit jetzt aber mal Schluss und raus in die Natur, Zeit ein paar Eichen zu umarmen …

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Foto: M. Schuppich, Adobe Stock Allein diese Blüten: Felsenbirn­en sind eine Pracht.

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