Der schönste Strauch der Welt
Pflanzen machen die Menschen glücklich. Das belegen verschiedene wissenschaftliche Studien. Einige aber machen glücklicher als andere – zum Beispiel die Felsenbirne.
Der Mensch verliebt sich dreimal im Leben, sagt die Sozialpsychologie. Also dreimal richtig, kurze Frühlingsgefühle, kleine Flirts nicht eingerechnet. Pflanzen zum Glück auch nicht. Auch da aber verliebt sich der Mensch nicht unendlich oft und auch da in doch sehr unterschiedliche Typen. Nicht jede Liebe kann man verstehen: Manche umarmen leidenschaftlich Eichen, sehr viele verfallen den Rosen, andere zupfen hingebungsvoll an ihrem Bonsai herum oder lassen Kakteen in die Höhe sprießen, bis die für ihre Wohnung und damit ihr Leben zu groß werden und in die Wüste geschickt werden müssen. Mit ein bisschen Glück aber erwischt es einen mit der Felsenbirne.
Die Felsenbirne ist ein Wildobstgehölz, lateinischer Name Amelanchier, ein anmutiger Strauch, der aber mehrere Meter hoch werden kann. Dann gleicht sie eher einem Baum. Mit Birnen hat sie nichts zu tun: Ihre Früchte sind klein, dunkel, süß und erinnern ein wenig an Heidelbeeren. Man kann sie ins Müsli geben, Marmelade daraus machen oder sie trocknen. Wie Rosinen oder Korinthen. In Norddeutschland wird die Felsenbirne daher auch gerne Rosinen- oder Korinthenbaum genannt. Es gab eine Zeit, da waren die Beeren der Felsenbirne sehr begehrt, aber unter Obstgehölzen ist sie dann doch wieder zum Niemand geworden. Mit Felsen übrigens hat sie auch nichts oder wenig zu tun. Die Felsenbirne könnte auf einem Felsen wachsen, weil sie so genügsam ist, aber meist trifft man sie hier in Gärten auf schöner satter Erde oder vielleicht verwildert an sonnigen Waldrändern. Am häufigsten in den Gärten ist die Art Amelanchier lamarckii, die Kupfer-Felsenbirne, deren Blätter sich im Herbst – siehe Namen – wunderbar kupfern färben!
Die Felsenbirne blüht, wenn das grelle Gelb der Forsythie bereits verbleicht, aber die Buchen noch ihre alten braunen Blätter tragen. Also bald. Der Zeitpunkt ist aus mehreren Gründen ideal. Man kann vielleicht schon ein Weilchen draußen sitzen. Man ist noch frühlings- und damit blütenhungrig. Man wird nicht vom Duft des Flieders abgelenkt. Kurz vor der Blüte beginnt sie schon ein wenig zu leuchten, dann überziehen die Blüten die Zweige mit Hunderten zarten weißen Lichtpunkten. Es ist wichtig, sich von Anfang an sattzusehen, denn eines Morgens ist die Felsenbirne ganz grün und der sogenannte Vollfrühling ist da, was schon alleine vom Wort her nach Übermaß klingt, nach laut knatterndem Band.
Peter Wohlleben ist Bestsellerautor geworden mit dem Buch „Das geheime Leben der Bäume“. Ich weiß nichts davon, aber wenn ich mir vorstelle, die Felsenbirne, die ich besitzergreifend gerne meine Felsenbirne nenne, weil sie von mir in reiche Erde gepflanzt wurde, wenn ich mir also vorstelle, meine Felsenbirne hätte ein geheimes Leben, dann eher kein ausschweifendes wie man es sich zum Beispiel beim wild wuchernden Blauregen vorstellen könnte. Wissenschaftlich natürlich alles Nonsens, aber vielleicht tanzt sie geheim ein bisschen vor sich hin, so wie Menschen vor sich hintanzen, wenn sie denken, keiner sieht zu. Es geht dann nur ums Gefühl, nicht ums Beeindrucken oder gut Aussehen oder was auch immer. Die Felsenbirne jedenfalls ist kein Poser! So wie zum Beispiel die Magnolie. Nichts gegen Magnolien, aber wie sie mit ihrer Schönheit umgehen, wie sie zur Schau stellen, seht her, diese fantastischen Blüten, hat auch etwas Angeberhaftes, auf jeden Fall etwas sehr Extrovertiertes. Die Felsenbirne zählt dagegen eher zu den schüchternen Pflanzen, ein Ausdruck, der mir vor Kurzem in einem Film begegnet ist, in dem eine sehr alte Dame bedauerte, dass sie ihre Pflanzen nicht mehr richtig sehen könne. Sie liebe vor allem die schüchternen … Eine Magnolie hat mit einer Felsenbirne jedenfalls ungefähr so viel Ähnlichkeit wie Kim Kardashian mit Audrey Hepburn.
Wobei auch eine Magnolie natürlich glücklich machen kann, wie im Übrigen fast alle Bäume, Sträucher, Büsche, Pflanzen. Sitzen Menschen zum Beispiel unter Bäumen, dann schreiben sie nettere Textnachrichten. Stellen sie auf ihren Schreibtisch eine Pflanze, dann sinkt der Stresslevel. Wohnen Menschen in der Nähe von Bäumen, bekommen sie mit geringerer Wahrscheinlichkeit Antidepressiva verschrieben. All diese Erkenntnisse stammen aus wissenschaftlichen Forschungen der letzten Jahre. Leider wird in den Studien aber tatsächlich kaum ein Unterschied zwischen den Pflanzen gemacht, obwohl es doch auch unter ihnen solche und solche gibt. Goethe zum Beispiel fühlte sich gleich fröhlicher, wenn er in der Nähe von Nutzbäumen war.
Die Felsenbirne zählt auf jeden Fall zu den Pflanzen, die rundum irgendwie alle fröhlicher machen. Die Bienen, den Grünen Zipfelfalter, ein ganz besonderer Schmetterling, bei dem die Unterseite der Flügel in wildestem Grün schillert, die Amseln, die die Beeren besonders lieben und unter deren Gewicht die dünnen Zweige wackeln, was die Amseln auf- und abwippend aber offenbar gut finden. Und mich. So, räusper, räusper, damit jetzt aber mal Schluss und raus in die Natur, Zeit ein paar Eichen zu umarmen …