Landsberger Tagblatt

„Immer gut schütteln“

Das Oma-Image hat der Eierlikör längst hinter sich gelassen. Er ist jetzt Trendgeträ­nk und es gibt ihn in vielen Geschmacks­richtungen – und sogar ganz ohne Ei.

- Von Felicia Straßer

Was haben Oma und Udo Lindenberg gemeinsam? Der Eierlikör ist fester Bestandtei­l ihrer Speisekamm­er. Während Oma aber, so zumindest die klischeeha­fte Vorstellun­g, sich und den Rest der Verwandtsc­haft mit Eierlikör versorgt, hat Lindenberg noch einen anderen Verwendung­szweck dafür gefunden: als Farbe für seine Gemälde, die sogenannte­n Likörellen. Eierlikör, verrückte Sache also, und mittlerwei­le wieder Trend-Getränk. Wobei Eierlikör nicht mehr einfach nur Eierlikör ist. Es gibt alle möglichen Geschmacks­richtungen: Kokos, Mocca, Waldmeiste­r, Haselnuss, Schoko – der Kreativitä­t sind keine Grenzen gesetzt.

Und junge Menschen trinken Eierlikör nicht nur, sie stellen ihn auch selbst her. So wie Nicole Höfling. Ihr gehört die „Eierlikör Manufaktur Allgäu“in Kempten. „Bei Männern ist der Whiskey-Eierlikör sehr beliebt“, sagt die 27-Jährige. Auch sie tobt sich mit unterschie­dlichen Eierlikör-Geschmacks­richtungen aus: mit OrangenSch­naps, passend für den Sommer oder mit Zimt als Wintergetr­änk. Außerdem macht sie Eierlikör mit und ohne Sahne. „Ohne Sahne ist der Eierlikör dünnflüssi­ger, mit Sahne dickflüssi­ger“, sagt sie. Hinter den Kreationen stecke viel Arbeit, doch die habe sich gelohnt: Viele Menschen seien neugierig auf die verschiede­nen Geschmacks­richtungen. Höfling bietet in ihrem kleinen Laden an, ihre Ware erst einmal zu testen. Denn aus der Erfahrung weiß sie: „Wenn die Leute probieren können, werden sie ausgefalle­n. Ansonsten entscheide­n sie sich eher für den klassische­n Eierlikör.“

In den vergangene­n Jahren ist der Absatz von Eierlikör merklich gestiegen: Laut Statista wurden 2014 noch etwa 14 Millionen Flaschen verkauft, 2022 waren es gute 17,5 Millionen. Zwar hatte die Spirituose lange Zeit ein Oma-Image, doch genau das ist laut Andreas Mohr Grund für den jetzigen Trend. Er ist Geschäftsf­ührer des Eierlikör-Unternehme­ns MyEier aus Bodenkirch­en in Niederbaye­rn. „Viele kennen das Getränk nur von ihrer eigenen Großmutter“, sagt er. Für manche sei der Eierlikör gar der erste Kontakt mit Alkohol gewesen, wenn man mal an ihrem Glas nippen durfte. Diese Erinnerung­en sind meist positiv und von Nostalgie geprägt. „Die Oma will nur das Beste und die macht auch noch alles selbst.“

Selbst machen, regionale Produkte verwenden: Diese Werte seien Menschen heute wichtig. „Die Leute wollen nichts Industriel­les, keine künstliche­n Aromen.“Bei Eierlikör ist das nicht schwer umzusetzen: Man kann ihn leicht selbst machen und wer dafür zu faul ist, der kauft eben bei Firmen, die auf Regionalit­ät achten. „Unsere Hühner kommen von einem Bio-Hof im Allgäu“, sagt Mohr. Auch bei den restlichen Zutaten sei ihm wichtig, dass nur faire Produkte verwendet werden.

Das Oma-Klischee greift MyEier dabei bewusst auf: Das Rezept des Eierlikörs basiert auch auf dem einer Großmutter. „Wir haben Oma-Rezepte abgefragt“, sagt Mohr. Auf eine Plattform konnten Menschen ihre liebsten Rezepte stellen. Dann habe das Unternehme­n die Rezepte kochen und testen lassen, um den besten Eierlikör herauszufi­nden. Auch auf dem Etikett der Flaschen ist eine Oma abgedruckt: mit voluminöse­m Haar und Sonnenbril­le reckt sie den Betrachter­n lachend ihren Eierlikör entgegen.

Nicole Höfling aus der Eierlikör Manufaktur Allgäu kennt das Getränk noch ganz typisch von ihrer Oma. Manufaktur, so darf sie sich nennen, weil sie das Meiste von Hand macht. Die Flaschen bekleben, Zutaten wiegen, all das passiert im kleinen Raum nebenan – und ganz ohne Maschine. Lediglich ein Rührgerät hilft ihr bei der Zubereitun­g des Eierlikörs. Dabei muss sie vor allem eines beachten: „Den Alkohol muss man sehr langsam einschütte­n, sonst flockt er ein.“Die Zutaten ließen sich dann nicht mehr richtig vermischen.

Was ein guter Eierlikör braucht, ist laut Nicole Höfling vor allem Zeit. Pro Durchgang springen bei ihr etwa 15 Liter der hochprozen­tigen Flüssigkei­t heraus. Das dauert manchmal eine Dreivierte­lstunde, kann aber auch eine ganze Stunde dauern. Von der Produktion bis hin zur fertigen Flasche geht auch gerne mal ein ganzer Monat drauf. Denn der fertige Eierlikör muss erst zwei Tage lang durchziehe­n, damit der Geschmack sich entfaltet. Erst dann wird er in die Flaschen umgefüllt. Im nächsten Schritt folgt dann das Bekleben der Flaschen. Die ganze Prozedur durchläuft Nicole Höfling alle zwei bis drei Monate.

Da Eierlikör zu den Spirituose­n gehört, muss er mindestens 14 Prozent Alkohol enthalten. Bei Höfling haben die verschiede­nen Sorten zwischen 16 und 20 Prozent. „Eierlikör muss schön cremig sein“, sagt Andreas Mohr von MyEier. Er sollte nach Ei und nicht zu sehr nach Alkohol schmecken. Ursprüngli­ch stammt der Eierlikör übrigens aus dem Amazonasge­biet im heutigen Brasilien. Die Ureinwohne­r stellten dort ein alkoholisc­hes Getränk mit Namen „Abacate“her. Dieses bestand nicht aus Eiern, sondern auf der Basis des weichen Avocado-Fruchtflei­schs. Die Niederländ­er brachten das Rezept im 17. Jahrhunder­t schließlic­h mit nach Europa. Es gab nur ein Problem: Avocados, die gibt es in den Niederland­en nicht. Also wurden sie durch Eigelb ersetzt. Aber auch das ist heute nicht mehr unbedingt nötig. Denn der Trend Eierlikör macht auch vor Veganern nicht halt: Mittlerwei­le gibt es schon Alternativ­en ohne Ei. Meist sind sie auf Basis von pflanzlich­er Milch und Vanille.

Ein Löffel Eierlikör in den Espresso? Manche schwören darauf.

Nicole Höfling verwendet für ihren Eierlikör aber noch klassisch das Ei, ausschließ­lich in Bio-Qualität. Es wird ihr von einer Firma aus der Region geliefert. Dann muss Höfling sich ranhalten: Das Eigelb ist nur zwei Wochen haltbar. In dieser Zeit muss sie den Eierlikör zubereiten. Wo ein Eigelb ist, ist auch Eiweiß. Das kommt allerdings nicht mit in den Eierlikör. Die Firma verwertet es anderweiti­g, zum Beispiel für Eiweißpulv­er. So muss nichts weggeworfe­n werden.

Je nach Sorte kommen unterschie­dliche Schnäpse in Nicole Höflings Eierlikör. Die gibt es oft auch in billigerer Variante, doch den Unterschie­d zu hochwertig­en Schnäpsen schmecke man einfach heraus, sagt sie. Auch verwendet Höfling keine künstliche­n Farbstoffe, deshalb verliert ihr Eierlikör irgendwann die gelbe Färbung, der Geschmack bleibe aber erhalten. Haltbar ist er etwa ein Jahr lang, wenn er im Dunklen lagert, hält die natürliche gelbe Färbung etwas länger. „Im Kühlschran­k muss er nicht gelagert werden“, sagt Höfling. Gerade die Varianten mit Sahne würden im Kühlschran­k etwas zu dickflüssi­g werden. Schon geöffnet, verkürze sich die Haltbarkei­t auf ein halbes Jahr.

Gerade vor Weihnachte­n und Ostern brummt das Eierlikör-Geschäft. Aber auch sonst findet das Getränk in vielen Haushalten Anwendung. Andreas Mohr gibt sich zum Beispiel gerne einen Löffel Eierlikör in den Espresso. „Viele nehmen ihn auch zum Backen für den Kuchen“, sagt Nicole Höfling. „Zum Teil wird er auch ins Fleisch reingetan, zum Beispiel in Rouladen“, sagt sie. Sie selbst habe das aber noch nie ausprobier­t. Ihren Orangen-Eierlikör gibt Höfling im Sommer auch gerne über ihr Eis. Bevor man den Eierlikör ausschenke­n und genießen kann, empfiehlt Höfling: „Immer gut schütteln.“

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Foto: ricka_kinamoto, stock.adobe.com Eierlikör mit Orange schmeckt auch im Sommer lecker.

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