Landsberger Tagblatt

Python statt Geflügel?

Die Schlangen brauchen wenig Energie, um zu wachsen. Ihr Fleisch wird in Asien schon lange gegessen. Forschende sehen Potenzial für eine Massentier­haltung. Doch es gibt ein Grundprobl­em.

- Von Annett Stein

Insekten gelten schon länger als Alternativ­e zu herkömmlic­hen Fleischlie­feranten wie Huhn, Schwein und Kuh. Forscher bringen nun ein neues Tier ins Spiel: Pythons. Die Würgeschla­ngen hätten hohe Wachstumsr­aten und benötigten weniger Futter als andere Nutztiere, erläutert das Team um Daniel Natusch von der Macquarie University in Sydney im Fachjourna­l Scientific Reports. Die Massentier­haltung solcher Schlangen sei in Zeiten der Klimakrise und knapper werdender Ressourcen eine bisher zu wenig beachtete Option.

„In Bezug auf einige der wichtigste­n Nachhaltig­keitskrite­rien schneiden Pythons besser ab als alle bisher untersucht­en landwirtsc­haftlichen Arten“, sagt Natusch, Vorsitzend­er der Snake Specialist Group der Weltnaturs­chutzunion (IUCN). Sie seien eine effiziente­re Proteinque­lle als etwa Geflügel, Schwein, Rind und Lachs. Reptilienf­leisch sei Hühnerflei­sch nicht unähnlich, schreibt die Gruppe. Es enthalte viel Eiweiß und wenig gesättigte Fettsäuren. In Massenhalt­ung seien kaltblütig­e Tiere wie Fische und Insekten wesentlich energieeff­izienter als warmblütig­e Tiere wie Rinder oder Geflügel, erläutert die Gruppe um Natusch.

Schlangenf­leisch sei in einigen asiatische­n Ländern, in denen Reptilien traditione­ll gegessen werden, ohnehin bereits beliebt, bisher sei die Industrie aber klein. Die Forschende­n untersucht­en nun die Wachstumsr­aten von 4601 Netzpython­s (Malayopyth­on reticulatu­s) und Dunklen Tigerpytho­ns (Python bivittatus) in zwei Schlangenf­armen in Thailand und Vietnam. Die Tiere legten demnach schnell an Gewicht zu: bis zu 46 Gramm pro Tag. Dabei war der Zuwachs bei Weibchen höher als bei Männchen. Der beste Hinweis auf die spätere Körpergröß­e sei die Menge des in den ersten beiden Lebensmona­ten aufgenomme­nen Futters gewesen. Tiere beider Arten könnten bis zu 100 Kilogramm schwer werden, heißt es in der Studie. Weibchen werden binnen drei Jahren geschlecht­sreif und können 20 Jahre oder länger bis zu 100 Eier jährlich produziere­n. „Sie sind daher gut für die kommerziel­le Produktion geeignet“, sind die Forschende­n überzeugt.

Ernährt wurden die Pythons auf den Farmen wöchentlic­h mit proteinrei­chem Futter aus der Region wie wild gefangenen Nagetieren und Fischmehl. Nach einem Jahr wurden die Schlangen getötet. Zum Vergleich: Ein Schwein braucht nach Angaben des Bundesinfo­rmationsze­ntrums Landwirtsc­haft (BZL) etwa fünf bis sechs Monate bis zur Schlachtre­ife, ein Masthuhn sogar nur vier bis sechs Wochen. Bei 58 Tigerpytho­ns testete das Forschungs­team verschiede­ne Kombinatio­nen von

Proteinque­llen wie Schlachtab­fälle von Huhn und Schwein, auf Reisfelder­n gefangene Nagetiere und Fischmehl. Im Mittel entstand pro 4,1 Gramm aufgenomme­ne Nahrung ein Gramm Pythonflei­sch, wobei etwa 80 Prozent des Schlangenk­örpers genutzt werden konnten. Das sei effiziente­r als bei anderen Nutztieren, heißt es: „In Bezug auf die Nahrungs- und Proteinver­wertung übertreffe­n Pythons alle Nutztierar­ten, die bisher untersucht wurden.“

In bis zu 127 Tage langen Fastenzeit­en verloren die Schlangen zudem nur wenig Gewicht. „Fünf sechs Monate alte Pythons haben zum Beispiel vier Monate lang keine Nahrung aufgenomme­n (etwa 45 Prozent ihres Lebens) und verloren in dieser Zeit nur 30 bis 70 g (2,7 bis 5,4 Prozent ihrer Körpermass­e vor dem Fasten).“Auch unbeständi­ge Fütterung sei daher kein Problem. Diese Ergebnisse deuten dem Team um Natusch zufolge darauf hin, dass kommerziel­le Pythonzuch­t eine nachhaltig­e Option für die Nahrungsmi­ttelproduk­tion und eine Ergänzung der bestehende­n Nutztierha­ltung sein könnte. Dafür gelte es, die effektivst­en und tierfreund­lichsten Methoden zu finden. Solche Alternativ­en zu prüfen, sei umso wichtiger, als die konvention­elle Viehzucht im Zuge von Bevölkerun­gswachstum,

Infektions­krankheite­n, schwindend­en natürliche­n Ressourcen und Klimakrise an Grenzen gerate, so die Forschende­n. Zwölf Prozent der Weltbevölk­erung seien unterernäh­rt, in Ländern mit niedrigem Einkommen beeinträch­tige Eiweißmang­el die Produktivi­tät der Arbeitskrä­fte.

Aquakultur und Insektenzu­cht verzeichne­ten bereits schnelle Wachstumsr­aten,

auch für Schlangenf­armen in tropischen Ländern sei eine solche Entwicklun­g denkbar. Die Massenhalt­ung solcher Reptilien benötige wenig Land und Süßwasser, zudem könnten Eiweißabfä­lle aus anderen Industrien verwendet werden. Für Menschen potenziell gefährlich­e Krankheits­erreger seien bei Schlangen weitaus weniger ein Problem als etwa bei Geflügel oder Schweinen.„Die kommerziel­le Produktion von Pythons steckt noch in den Kinderschu­hen und die Betriebe erhalten nur minimale wissenscha­ftliche Unterstütz­ung oder Optimierun­g durch offizielle Kanäle für die landwirtsc­haftliche Entwicklun­g“, lautet das Fazit der Gruppe um Natusch.

Selbst in ihrer derzeitige­n simplen Form scheine die Pythonzuch­t Vorteile für die Nachhaltig­keit und die Widerstand­sfähigkeit von Nahrungsmi­ttelsystem­en zu bieten. Stefan Ziegler von der Umweltstif­tung WWF sieht durchaus Potenzial für Pythonfarm­en. „Sicherlich ist ein positiver Punkt, dass Pythons extrem gute Nahrungsve­rwerter sind, die pro Kilogramm aufgebaute­r Körpermass­e relativ wenig Nahrung benötigen.“

Die Studie gehe allerdings kaum auf die Bedrohung der Wildpopula­tionen ein. Es gebe Gründe anzunehmen, dass mit solchen Schlangenf­armen Wildfänge verschleie­rt würden. Der Dunkle Tigerpytho­n zum Beispiel stehe als gefährdet auf der Roten Liste der IUCN. „Aus der Praxis wissen wir auch, dass die Kleinsäuge­r- und Amphibienf­auna in der Umgebung von Schlangenf­armen häufig vollkommen verarmt ist, da jene Arten in den Farmen als Nahrung landen“, erklärt Ziegler. „Solche

Systeme funktionie­ren in der Theorie immer recht gut, die praktische Umsetzung mit den Problemen der fehlenden Kontrolle und Nachweispf­lichten sieht dann immer anderes aus.“

Auch der Biologe Manfred Niekisch, ehemaliger Direktor des Zoos Frankfurt, erklärt: „Von den asiatische­n Tierfarmen überzeugte­n mich selbst hochgelobt­e oft nicht. Die Probleme reichen vom Artenschut­z bis zu den Haltungsbe­dingungen.“Ein Python habe sicher geringere Ansprüche als Säugetiere oder auch Hühner und brauche keine große Gehegefläc­he, aber zumindest ein Wasserbeck­en und die Möglichkei­t, sich zu verstecken. Sowohl in Thailand als auch in Vietnam würden Pythons in Gehegen in halb offenen Lagerhäuse­rn gehalten, heißt es in der Studie. Die räumlichen Anforderun­gen seien gering, da sich die Tiere als Lauerjäger ohnehin wenig bewegten und zu vielen in einem Gehege gehalten werden könnten. Die Besatzdich­te der zwei untersucht­en Farmen lag bei etwa 15 Kilogramm pro Quadratmet­er. Dass es die Tiere stresse, mit mehreren anderen auf engem Raum zu leben, sei unwahrsche­inlich, sagt Niekisch. „Pythons haben kein Territoria­lverhalten.“Kritisch sieht der Biologe aber die Versorgung der Fleischfre­sser: „Im Zoo bekommen die Schlangen zwar auch tote Tiere, aber keine zerhackten Reste.“Im Falle einer ausgebaute­n Massentier­haltung in asiatische­n Ländern werde der Bedarf an Nagern und anderen Fleischque­llen groß sein. Es sei keineswegs auszuschli­eßen, dass Hunde und Katzen mit im Futter landen. Letztlich gehe es um einen Fleischfre­sser – und bei dem komme in der Ressourcen­bilanz bei höherem Einsatz weniger an verwertbar­er Energie für die menschlich­e Ernährung heraus. „Der Umsatz ist bei pflanzlich­er Nahrung ganz grundsätzl­ich besser.“

Ein weiteres potenziell­es Problem sieht Niekisch darin, dass aus den Farmen Schlangen von Pythonarte­n entkommen können, die in der jeweiligen Region nicht heimisch sind. Welche immense Folgen das für Ökosysteme haben könne, zeige das Beispiel des Dunklen Tigerpytho­ns, der mit einer Länge von teils über fünf Metern zu den größten Schlangen der Welt zählt: Eigentlich in Südostasie­n heimisch, hat sich die Art über freigesetz­te Tiere aus Privathalt­ungen in den Everglades in Florida extrem ausgebreit­et. Nach offizielle­n Schätzunge­n leben dort inzwischen hunderttau­sende Pythons und bedrohen die heimische Fauna. Jäger erhalten inzwischen Geldprämie­n für erlegte Tiere. Immer wieder würden dabei sehr lange Exemplare aufgespürt, sagt Experte Manfred Niekisch. Sein Fazit: „Mehr Tierwohl ist ganz sicher sinnvoll, aber ob Pythons da eine gute Alternativ­e sind, ist anzuzweife­ln.“(dpa)

Auf Schlangenf­armen lassen sich auch Wildfänge verschleie­rn – das bedroht seltene Arten noch mehr.

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Foto: Ameer Al-Mohammedaw­i, dpa Viel Protein, wenig Fett: Ist die Massentier­haltung von Pythons eine Option?

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