So perfide funktioniert Putins Propaganda
Ein AfD-Spitzenpolitiker soll Geld aus russischen Quellen kassiert haben. Im Netz heizen russische Trolle die Stimmung vor Wahlen an. Wie Experten die Bedrohung einschätzen und was sie raten.
Der Verdacht wiegt schwer: Petr Bystron, zweiter Mann der AfD auf der Kandidatenliste zur Europawahl, könnte nach Informationen des tschechischen Geheimdienstes Geld aus russischen Quellen kassiert haben. Noch ist nichts bewiesen. Dass der Kreml mit allen Mitteln versucht, die politische Stimmung und damit auch Wahlen in Europa zu beeinflussen, ist jedoch offenkundig. Die Methoden sind perfide, die Folgen oft fatal.
Lutz Güllner kämpft im Auftrag der Europäischen Union gegen solche Propaganda. „Desinformationskampagnen sind kein Angriff, der irgendwann anfängt und wieder endet, sie sind ein schleichendes Gift. Falschinformationen werden gezielt und gut koordiniert gestreut und so sickern sie in den gesellschaftlichen Diskurs hinein“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Güllner analysiert seit Jahren die Instrumente, mit denen Russland arbeitet. Dahinter steckt eine klare Absicht – und eine Menge Geld.
Denn es geht nicht nur darum, Parteien oder Politiker zu unterstützen, die Wladimir Putin wohlgesonnen sind. Ziel ist auch, gesellschaftliche Debatten im Netz zu steuern. Allein im sozialen Netzwerk X (früher Twitter) sind erst kürzlich Zehntausende Accounts aufgeflogen, hinter denen keine realen Nutzer steckten, sondern von Moskau gelenkte Meinungsmacher. „Diese Propaganda soll langfristig Misstrauen in staatliche Institutionen, die Politik, die Medien schüren und damit auch die Demokratie schwächen“, erklärt Güllner, der in Brüssel die Abteilung „Strategische Kommunikation“des Europäischen Auswärtigen Dienstes leitet.
Die unsichtbare Cyber-Armee ist in der Lage, flexibel auf bestimmte Themen aufzuspringen und damit auch kurzfristig Stimmungen aufzuheizen, wie Anfang des Jahres bei den Bauernprotesten oder kürzlich in der Debatte um die Lieferung deutscher TaurusMarschflugkörper an die Ukraine. „Desinformation soll den öffentlichen Diskurs besetzen, Verwirrung stiften, für Instabilität sorgen“, warnt Güllner. Für ihn steht fest:
„Man kann diese Gefahr gar nicht ernst genug nehmen.“Nur, wie soll man damit umgehen? Güllner hat kein Patentrezept für Politiker, Medien und Internetnutzer: „Das Wichtigste ist, immer zu prüfen, wo eine Information herkommt. Manchmal ist es am besten, solche Kampagnen einfach zu ignorieren, weil man durch die Reaktion eine Sache womöglich erst relevant macht. Aber genauso kann es gefährlich werden, Dinge laufen zu lassen.“Entscheidend sei, dass die Gesellschaft die entsprechende Medienkompetenz entwickele, um zu verstehen, mit welchen Instrumenten gearbeitet wird. So könne sie widerstandsfähig werden. Tatsächlich
können auch Menschen, die gar nicht in sozialen Netzwerken oder Chatgruppen unterwegs sind, indirekt beeinflusst werden. Gezielt gestreute Falschinformationen erreichen oft selbst im realen Leben eine enorme Reichweite, weil sie auch im Freundeskreis, in der Familie oder am Arbeitsplatz weitergegeben werden.
Wahlen waren schon zu analogen Zeiten regelmäßig Zielscheibe von Desinformation und Propaganda. Heute sind politische Akteure in einem Superwahljahr wie diesem besonders häufig Cyberattacken ausgesetzt, wie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie erklärt. „Hier versucht
man, Einfluss zu nehmen auf demokratische Prozesse, aber auch auf die Stimmung im Land“, sagt Sven Herpig von der Stiftung Neue Verantwortung, einer Denkfabrik für Digitalpolitik.
Cyber-Kriminelle versuchen außerdem, an sensible Dokumente zu kommen, um sie dann – teils verfälscht oder manipuliert – für eigene Zwecke zu nutzen. Auch der Deutsche Bundestag wurde schon Opfer solcher Attacken. Experten nennen die Strategie „Hack and Leak“. Vor wenigen Wochen erst hatte ein offenbar von russischen Spionen abgehörtes und dann zielgerichtet veröffentlichtes Gespräch deutscher Offiziere über den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern in der Ukraine weltweit Aufsehen erregt und diplomatische Spannungen ausgelöst. Russland nutzt Sicherheitslücken besonders zielgerichtet und setzt dabei nicht nur staatliche Strukturen ein, sondern auch viel Geld, indem der Geheimdienst entweder selbst aktiv wird oder man russische Internet-Kriminelle bewusst gewähren lässt. „Als Gegengeschäft liefern sie dann zum Beispiel Informationen, die der Staat nutzen kann“, erklärt Herpig.
Das Bundesinnenministerium sieht Deutschland derzeit besonders im Fadenkreuz russischer Akteure, die darauf abzielen, „Vertrauen in die Handlungsfähigkeit und Kompetenz europäischer Institutionen zu untergraben und vorhandene Spaltungspotenziale in der Gesellschaft zu vertiefen“, wie eine Sprecherin sagt.
Aktuell steht hauptsächlich die prorussische Internetseite „Voice of Europe“im Fokus. Das Portal hatte unter anderem Interviews mit Maximilian Krah und Petr Bystron veröffentlicht, die ganz oben auf der AfD-Kandidatenliste zur Europawahl stehen. Beide sind immer wieder durch russlandfreundliche Positionen aufgefallen. Zumindest im Fall des Bundestagsabgeordneten Bystron steht der Verdacht im Raum, dass er dafür Geld bekommen hat. An diesem Mittwoch wird sich der Innenausschuss des Parlaments mit den Vorwürfen beschäftigen.
Insgesamt gewinnt das Thema Cyber-Kriminalität an Bedeutung. Unter anderem wird Erpressungssoftware eingesetzt. Die Opfer haben im vergangenen Jahr erstmals mehr als umgerechnet eine Milliarde Euro an Lösegeld bezahlt. Das geht aus dem „Crypto Crime Report 2024“der Analysefirma Chainalysis hervor. „Die Täter versuchen hier, so schnell wie möglich und mit so wenig Aufwand wie möglich so viel Geld wie möglich zu machen“, sagt Herpig. Im Bereich der Wirtschaftsspionage sei hingegen das erklärte Ziel, Unternehmensgeheimnisse oder Erkenntnisse aus der Wissenschaft etwa zu Fertigungsprozessen abzugreifen, um die eigene Wirtschaft zu stärken. Besonders China fiel immer wieder auf. Die Interessenslage der Angreifer lässt sich also grob in zwei Kategorien einteilen: Geld und Macht.