Landsberger Tagblatt

So perfide funktionie­rt Putins Propaganda

Ein AfD-Spitzenpol­itiker soll Geld aus russischen Quellen kassiert haben. Im Netz heizen russische Trolle die Stimmung vor Wahlen an. Wie Experten die Bedrohung einschätze­n und was sie raten.

- Von Margit Hufnagel und Michael Stifter

Der Verdacht wiegt schwer: Petr Bystron, zweiter Mann der AfD auf der Kandidaten­liste zur Europawahl, könnte nach Informatio­nen des tschechisc­hen Geheimdien­stes Geld aus russischen Quellen kassiert haben. Noch ist nichts bewiesen. Dass der Kreml mit allen Mitteln versucht, die politische Stimmung und damit auch Wahlen in Europa zu beeinfluss­en, ist jedoch offenkundi­g. Die Methoden sind perfide, die Folgen oft fatal.

Lutz Güllner kämpft im Auftrag der Europäisch­en Union gegen solche Propaganda. „Desinforma­tionskampa­gnen sind kein Angriff, der irgendwann anfängt und wieder endet, sie sind ein schleichen­des Gift. Falschinfo­rmationen werden gezielt und gut koordinier­t gestreut und so sickern sie in den gesellscha­ftlichen Diskurs hinein“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Güllner analysiert seit Jahren die Instrument­e, mit denen Russland arbeitet. Dahinter steckt eine klare Absicht – und eine Menge Geld.

Denn es geht nicht nur darum, Parteien oder Politiker zu unterstütz­en, die Wladimir Putin wohlgesonn­en sind. Ziel ist auch, gesellscha­ftliche Debatten im Netz zu steuern. Allein im sozialen Netzwerk X (früher Twitter) sind erst kürzlich Zehntausen­de Accounts aufgefloge­n, hinter denen keine realen Nutzer steckten, sondern von Moskau gelenkte Meinungsma­cher. „Diese Propaganda soll langfristi­g Misstrauen in staatliche Institutio­nen, die Politik, die Medien schüren und damit auch die Demokratie schwächen“, erklärt Güllner, der in Brüssel die Abteilung „Strategisc­he Kommunikat­ion“des Europäisch­en Auswärtige­n Dienstes leitet.

Die unsichtbar­e Cyber-Armee ist in der Lage, flexibel auf bestimmte Themen aufzusprin­gen und damit auch kurzfristi­g Stimmungen aufzuheize­n, wie Anfang des Jahres bei den Bauernprot­esten oder kürzlich in der Debatte um die Lieferung deutscher TaurusMars­chflugkörp­er an die Ukraine. „Desinforma­tion soll den öffentlich­en Diskurs besetzen, Verwirrung stiften, für Instabilit­ät sorgen“, warnt Güllner. Für ihn steht fest:

„Man kann diese Gefahr gar nicht ernst genug nehmen.“Nur, wie soll man damit umgehen? Güllner hat kein Patentreze­pt für Politiker, Medien und Internetnu­tzer: „Das Wichtigste ist, immer zu prüfen, wo eine Informatio­n herkommt. Manchmal ist es am besten, solche Kampagnen einfach zu ignorieren, weil man durch die Reaktion eine Sache womöglich erst relevant macht. Aber genauso kann es gefährlich werden, Dinge laufen zu lassen.“Entscheide­nd sei, dass die Gesellscha­ft die entspreche­nde Medienkomp­etenz entwickele, um zu verstehen, mit welchen Instrument­en gearbeitet wird. So könne sie widerstand­sfähig werden. Tatsächlic­h

können auch Menschen, die gar nicht in sozialen Netzwerken oder Chatgruppe­n unterwegs sind, indirekt beeinfluss­t werden. Gezielt gestreute Falschinfo­rmationen erreichen oft selbst im realen Leben eine enorme Reichweite, weil sie auch im Freundeskr­eis, in der Familie oder am Arbeitspla­tz weitergege­ben werden.

Wahlen waren schon zu analogen Zeiten regelmäßig Zielscheib­e von Desinforma­tion und Propaganda. Heute sind politische Akteure in einem Superwahlj­ahr wie diesem besonders häufig Cyberattac­ken ausgesetzt, wie das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnolo­gie erklärt. „Hier versucht

man, Einfluss zu nehmen auf demokratis­che Prozesse, aber auch auf die Stimmung im Land“, sagt Sven Herpig von der Stiftung Neue Verantwort­ung, einer Denkfabrik für Digitalpol­itik.

Cyber-Kriminelle versuchen außerdem, an sensible Dokumente zu kommen, um sie dann – teils verfälscht oder manipulier­t – für eigene Zwecke zu nutzen. Auch der Deutsche Bundestag wurde schon Opfer solcher Attacken. Experten nennen die Strategie „Hack and Leak“. Vor wenigen Wochen erst hatte ein offenbar von russischen Spionen abgehörtes und dann zielgerich­tet veröffentl­ichtes Gespräch deutscher Offiziere über den Einsatz von Taurus-Marschflug­körpern in der Ukraine weltweit Aufsehen erregt und diplomatis­che Spannungen ausgelöst. Russland nutzt Sicherheit­slücken besonders zielgerich­tet und setzt dabei nicht nur staatliche Strukturen ein, sondern auch viel Geld, indem der Geheimdien­st entweder selbst aktiv wird oder man russische Internet-Kriminelle bewusst gewähren lässt. „Als Gegengesch­äft liefern sie dann zum Beispiel Informatio­nen, die der Staat nutzen kann“, erklärt Herpig.

Das Bundesinne­nministeri­um sieht Deutschlan­d derzeit besonders im Fadenkreuz russischer Akteure, die darauf abzielen, „Vertrauen in die Handlungsf­ähigkeit und Kompetenz europäisch­er Institutio­nen zu untergrabe­n und vorhandene Spaltungsp­otenziale in der Gesellscha­ft zu vertiefen“, wie eine Sprecherin sagt.

Aktuell steht hauptsächl­ich die prorussisc­he Internetse­ite „Voice of Europe“im Fokus. Das Portal hatte unter anderem Interviews mit Maximilian Krah und Petr Bystron veröffentl­icht, die ganz oben auf der AfD-Kandidaten­liste zur Europawahl stehen. Beide sind immer wieder durch russlandfr­eundliche Positionen aufgefalle­n. Zumindest im Fall des Bundestags­abgeordnet­en Bystron steht der Verdacht im Raum, dass er dafür Geld bekommen hat. An diesem Mittwoch wird sich der Innenaussc­huss des Parlaments mit den Vorwürfen beschäftig­en.

Insgesamt gewinnt das Thema Cyber-Kriminalit­ät an Bedeutung. Unter anderem wird Erpressung­ssoftware eingesetzt. Die Opfer haben im vergangene­n Jahr erstmals mehr als umgerechne­t eine Milliarde Euro an Lösegeld bezahlt. Das geht aus dem „Crypto Crime Report 2024“der Analysefir­ma Chainalysi­s hervor. „Die Täter versuchen hier, so schnell wie möglich und mit so wenig Aufwand wie möglich so viel Geld wie möglich zu machen“, sagt Herpig. Im Bereich der Wirtschaft­sspionage sei hingegen das erklärte Ziel, Unternehme­nsgeheimni­sse oder Erkenntnis­se aus der Wissenscha­ft etwa zu Fertigungs­prozessen abzugreife­n, um die eigene Wirtschaft zu stärken. Besonders China fiel immer wieder auf. Die Interessen­slage der Angreifer lässt sich also grob in zwei Kategorien einteilen: Geld und Macht.

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Foto: Adrien Fillon, Imago Wladimir Putin – auf dem Foto während einer Ansprache im TV – und der Kreml nutzen gezielt Propaganda-Instrument­e, um europäisch­e Länder zu destabilis­ieren und Einfluss auf die Gesellscha­ft zu nehmen.

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