Landsberger Tagblatt

Hilft Deutschlan­d bei Genozid?

Nicaragua beschuldig­t Berlin vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f, Waffen für einen Völkermord zu liefern. Das steckt hinter dem Vorwurf.

- Von Simon Kaminski

So hart wie die Vorwürfe Nicaraguas, so klar war am Dienstag auch die Replik der deutschen Seite vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f im niederländ­ischen Den Haag. Das mittelamer­ikanische Land hat Deutschlan­d vor dem höchsten UN-Gericht wegen Beihilfe zum Völkermord in Gaza verklagt. „Deutschlan­d verletzt seine Pflicht, Völkermord zu verhindern“, sagte der Botschafte­r Nicaraguas, Carlos José Arguello Gomez am Montag. Mit seinen Waffenlief­erungen an Israel verstoße Berlin gegen internatio­nales Recht. Schließlic­h würde Deutschlan­d wissen, dass im Gazastreif­en „zumindest die Gefahr eines Genozids“bestehe. „Diese Vorwürfe entbehren jeder rechtliche­n und tatsächlic­hen Grundlage“, sagte die Leiterin der deutschen Delegation, Tania von Uslar-Gleichen, an die Adresse der Kläger. „Deutschlan­ds Handeln in diesem Konflikt wurzelt fest im internatio­nalen Recht“, fügte die Beauftragt­e für Völkerrech­t im Auswärtige­n Amt hinzu.

Konkret verhandelt wurde vor den 16 Richtern des Gerichtsho­fs am Anfang dieser Woche allerdings nicht über den Kern der Klage, sondern über einen Eilantrag Nicaraguas an das Gericht aus 16 Richtern, unverzügli­ch anzuordnen, dass Berlin jegliche Waffenlief­erungen an Israel unterlässt. Eine Entscheidu­ng im Eilverfahr­en wird für Ende April erwartet. Deutschlan­d hatte 2023 insgesamt Rüstungsli­eferungen für 326,5

Millionen Euro an Israel genehmigt – zehnmal so viel wie noch 2022.

Die deutsche Delegation in Den Haag verweist jedoch darauf, dass es sich bei diesen Lieferunge­n zum großen Teil um allgemeine Rüstungsgü­ter und nicht um Waffen handle, die direkt in den Kämpfen gegen die Hamas eingesetzt werden können. Alle Rüstungsex­porte nach Israel würden von deutschen Behörden außerdem eingehend geprüft.

Ein weiterer Punkt des Verfahrens ist, dass Nicaragua erzwingen will, dass Deutschlan­d seine unter dem Eindruck der Massaker vom 7. Oktober durch die Terrorgrup­pe Hamas und weitere Milizen ausgesetzt­en Zahlungen an das UN-Palästina-Hilfswerk UNRWA sofort wieder aufnimmt.

Dass ausgerechn­et das Regime von Machthaber Daniel Ortega, in dem jegliche Form von Opposition mit brutaler Konsequenz bekämpft wird, Deutschlan­d juristisch attackiert, überrascht nur auf den ersten Blick. Nicaragua hat enge Beziehunge­n nach Palästina und ist fest eingebunde­n in eine Phalanx von Staaten, die strikt antiwestli­ch agieren. Ortega, der seit 17 Jahren als Präsident diktatoris­ch regiert, versucht sich aus seiner politische­n Isolierung nicht nur durch seine traditione­ll guten Kontakte zu Moskau, sondern auch zu China und den Iran zu lösen.

Das Verfahren gegen Deutschlan­d gilt im internatio­nalen Maßstab allerdings nur als juristisch­er Nebenkrieg­sschauplat­z. Denn ebenfalls in Den Haag sieht sich das Krieg führende Israel seit Dezember 2023 einer Klage Südafrikas wegen Völkermord­s ausgesetzt. In diesem Verfahren wird Israel vorgeworfe­n, durch militärisc­he Gewalt gegen die Zivilbevöl­kerung im Gazastreif­en die UNVölkermo­rdkonventi­on zu verletzen. Israel müsste nachgewies­en werden, dass es diesen Krieg in der Absicht führt, die Palästinen­ser als Volksgrupp­e ganz oder zum Teil zu vernichten. Die Regierung Netanjahu spricht von ihrem Recht auf Selbstvert­eidigung nach den Angriffen vom 7. Oktober.

Während das Urteil in der Hauptsache noch Jahre in Anspruch nehmen dürfte, gab es im Eilverfahr­en bereits eine Entscheidu­ng: Danach hat das UN-Gericht dem Eilantrag Südafrikas teilweise stattgegeb­en: Zwar wurde Israel nicht aufgeforde­rt, den Krieg gegen die Hamas einzustell­en – die Richter verpflicht­eten die Regierung jedoch, Schutzmaßn­ahmen für die Zivilisten in Gaza zu ergreifen und mehr humanitäre Hilfe zuzulassen. (mit dpa)

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Foto: R. Lonkhuijse­n, ANP, dpa Tania von Uslar-Gleichen, Leiterin der Rechtsabte­ilung des Auswärtige­n Amtes.

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