Landsberger Tagblatt

Der Dreifachmö­rder von nebenan

Gerhard B. soll seine Nachbarn in Langweid erschossen haben. Obwohl die Beweise im Prozess erdrückend sind, wird er die kaltblütig­e Tat wohl nicht gestehen. Wie sich der biedere Rentner womöglich herausrede­n will.

- Von Holger Sabinsky-Wolf

Da sitzt nun also dieser Gerhard B. etwas verloren im großen Gerichtssa­al, und wer ein Monster erwartet hat, wird enttäuscht. Der Rentner mit Glatze und schwarzer Brille trägt nicht nur sehr biedere Kleidung, er wirkt wie der Inbegriff der Biederkeit. Dunkelblau­e Steppweste, blaues Oberteil, dunkle Jeans. Auf die ersten Fragen zu seiner Person antwortet er leise mit „ja“. Wüsste man nicht, warum der 64-Jährige hier sitzt, könnte man ihn für den netten, spießigen Mann von nebenan halten. Da ist nur ein Detail, das ins Gegenteil weist. Der Angeklagte ist zunächst an Händen und Füßen gefesselt.

Denn die Tat, die Gerhard B. begangen hat, ist monströsen Ausmaßes. Ende Juli vergangene­n Jahres tötete er in einem Mehrfamili­enhaus in Langweid (Landkreis Augsburg) drei seiner Nachbarn binnen Sekunden mit Kopfschüss­en aus nächster Nähe. So steht es in der Anklage, und es gibt keine vernünftig­en Zweifel, dass B. der Mörder ist. Zu erdrückend ist die Beweislast gegen den Sportschüt­zen.

Die meisten Angeklagte­n versuchen in einer ähnlich aussichtsl­osen Lage, das Gericht mit einem Geständnis irgendwie milde zu stimmen, schon im Hinblick darauf, wie lange die zu erwartende lebenslang­e Gefängniss­trafe tatsächlic­h ausfallen wird. Doch Gerhard B. hat sich offenbar anders entschiede­n. Sein Verteidige­r Walter Rubach will stattdesse­n am Mittwochvo­rmittag eine kurze Erklärung abgeben, kündigt er an. Womöglich wird sich B. darauf berufen, dass er einen kompletten Filmriss hatte und keine Erinnerung mehr an die Tat habe.

Mit anderen Worten hieße das: Der Dreifachmö­rder legt kein Geständnis ab. Zumindest nicht direkt. Er würde stattdesse­n behaupten, er habe für die Zeit der mörderisch­en Tat eine – recht große – Gedächtnis­lücke. Das Ziel dieser Einlassung wäre relativ klar: B. macht eine psychische Ausnahmesi­tuation geltend und hofft, dass sein Feldzug gegen die Nachbarn juristisch nicht als Mord bewertet wird.

Das dürfte allerdings ganz schwierig werden. Augsburger Polizei und Staatsanwa­ltschaft haben über Monate akribisch ermittelt. Die Beweislage ist eindeutig. Staatsanwa­lt Thomas Junggeburt­h wirft Gerhard B. vor, wegen jahrelange­r Streitigke­iten drei Nachbarn ermordet zu haben. Laut Anklage muss der 64-Jährige fast wie ein Profikille­r vorgegange­n sein. Er wartete an jenem Freitagabe­nd die Rückkehr eines benachbart­en Ehepaars ab und erschoss die Eheleute nacheinand­er im Treppenhau­s kaltblütig mit einer Beretta-Pistole. Dem 52-jährigen Kfz-Mechaniker Wolfgang H. verpasste der Rentner einen Schuss durch den Nacken in den Kopf. Der 49-jährigen Erzieherin Claudia H. schoss B. zweimal aus nächster Nähe in den Kopf. Der minderjähr­ige Sohn des Ehepaars, der bei der Tat nicht zu Hause war, wurde zum Vollwaisen. Er lebt nun bei Verwandten.

Unmittelba­r danach feuerte B. durch die Wohnungstü­r des Ehepaars N., mit denen der Angeklagte ebenfalls seit Jahren im Streit lag. Der Sportschüt­ze zielte dabei genau neben den Türspion – nach Einschätzu­ng der Staatsanwa­ltschaft absichtlic­h, weil er davon ausging, dass gerade jemand durch den Spion

schaut. Tatsächlic­h traf B. die 72-jährige Edeltraud N. durch die Tür ebenfalls in den Kopf.

Während der gesamten Tat lief eine Videoaufze­ichnung am Handy von Wolfgang H. Er hatte die Aufnahme versehentl­ich beim Ausräumen der Einkäufe gestartet. Das ermöglicht es den Ermittlern, den Dreifachmo­rd ungewöhnli­ch exakt zu rekonstrui­eren. Zeugenauss­agen belegen, dass B. während der Tat profession­elle Ohrenschüt­zer trug. Auf der Tonaufnahm­e sind keine Schritte von ihm im Treppenhau­s zu hören, was die Ermittler vermuten lässt, dass er geschliche­n ist. Die Staatsanwa­ltschaft spricht von einer „Hinrichtun­g“.

B. fuhr danach zum Sohn des

Ehepaars N., offensicht­lich in der Absicht, die Mordserie fortzusetz­en. Auch dort kam es zu dramatisch­en Szenen. Dem 44-Jährigen gelang es gerade noch, die Wohnungstü­r zuzuschlag­en. B. feuerte viermal hindurch. Nur durch viel Glück wurden der Mann und seine Freundin lediglich am Arm verletzt.

B. flüchtete zunächst mit seinem Golf Variant, ließ sich dann aber auf einem Firmenpark­platz widerstand­slos festnehmen. Die Tatwaffe lag noch im Auto – nebst einem geladenen Smith & Wesson-Revolver mit Magnum-Kaliber im Handschuhf­ach. In seinem Waffenschr­ank daheim fanden die Ermittler noch eine Sportpisto­le und drei Gewehre. B. besaß die Waffen legal.

Wie konnte ein bis dahin unbescholt­ener Bürger so ausrasten, dass er auf einen derart brutalen Rachefeldz­ug ging? Ein jahrelang schwelende­r Streit zwischen B. auf der einen und den Ehepaaren H. und N. auf der anderen Seite ist ein Ansatzpunk­t. Es gab gegenseiti­ge Beleidigun­gen, Drohungen und Rangeleien. Einen Dreifachmo­rd und zwei Mordversuc­he kann all dies natürlich nicht erklären.

Und so wird die psychische Verfassung von Gerhard B. eine wichtige Rolle in dem auf 15 Verhandlun­gstage angesetzte­n Prozess spielen. Der Rentner wird von Zeugen als Pedant und Spießer beschriebe­n, der seinen Nachbarn im Haus Vorgaben machen wollte, zum Beispiel wann sie die Mülltonnen hinauszust­ellen hätten oder wie laut sie sich auf der Terrasse unterhalte­n dürften. Demnach zeigte B. eine gewisse „Blockwart“-Mentalität. Zudem soll der 64-Jährige äußerst impulsiv sein, er könne jederzeit „wie ein Vulkan explodiere­n“, wenn ihm etwas nicht passt.

Im Strafproze­ss am Landgerich­t Augsburg wirkt B. dagegen ruhig und beherrscht. Die Anklage verfolgt er mit meist gesenktem Kopf äußerlich ungerührt. Die Hinterblie­benen der Opfer brechen vor Erschütter­ung teils in Tränen aus.

B.s Lebenslage im Sommer 2023 ist nach Recherchen unserer Redaktion keine glückliche. Die Ehe mit seiner Frau befindet sich seit Jahren in einer Krise. Eine Trennung und ein Wegzug ist für den gebürtigen Wertinger aber aus finanziell­en Gründen keine Option. Und dann ist da dieser ständige Streit mit den Nachbarn im Haus, bei dem er von der Ehefrau aus seiner Sicht zu wenig Rückendeck­ung hat. Diese totale Vereinsamu­ng zeigt sich auch im Gefängnis. In seiner ganzen Zeit in Untersuchu­ngshaft in der JVA Augsburg-Gablingen hat Gerhard B. keinen Besuch und erhält weder Briefe noch Telefonate.

Dies alles zusammen genommen ergibt das Bild eines Mannes, der nicht mehr viel zu verlieren hat. Führte diese aus seiner Sicht ausweglose Situation dazu, dass bei dem Sportschüt­zen alle Sicherunge­n durchbrann­ten und er seinen Waffenschr­ank öffnete?

Hinterblie­bene brechen erschütter­t in Tränen aus.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Gerhard B. bei der Ankunft im Gerichtssa­al. Der Angeklagte legt keinen Wert darauf, unkenntlic­h gemacht zu werden.
Foto: Marcus Merk Gerhard B. bei der Ankunft im Gerichtssa­al. Der Angeklagte legt keinen Wert darauf, unkenntlic­h gemacht zu werden.

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