Tödlicher Bruderstreit: Notruf der verzweifelten Mutter bei Prozess abgespielt
Im Prozess gegen einen 35-Jährigen, der seinen älteren Bruder in Kaufering im Streit tödlich verletzt haben soll, geht es unter anderem um das Verhältnis der beiden, um Vorstrafen und um Alkoholkonsum.
Ganz ruhig habe die Mutter nach dem tödlichen Streit zwischen ihren Söhnen im Juni 2023 dagesessen, das Kleid und die Socken voller Blutspritzer, erinnerte sich ein Polizeibeamter der Kripo Fürstenfeldbruck im Kauferinger Bruderstreit-Prozess vor dem Landgericht Augsburg an den Zeitpunkt seines Eintreffens. Am dritten Prozesstag wurde im Gerichtssaal der verzweifelte Notruf der Mutter abgespielt, aus Chatverläufen und Briefen der Brüder aneinander zitiert und es ging um die Probleme des jüngeren Sohns und Täters. Er ist wegen Totschlags angeklagt.
Der Gewalttat ging eine verbale Auseinandersetzung voraus. Anlass war offenbar der Alkoholkonsum des 35-jährigen Bruders. Der Ältere (42) habe ihn an sein Versprechen erinnert, keinen Alkohol mehr zu trinken. Daraufhin sei der Jüngere solchermaßen in Wut geraten, dass er ein Messer mit einer 25 Zentimeter langen Klinge aus der Küche geholt und im Wohnzimmer auf seinen Bruder mehrfach eingestochen habe. „Als die Rettungskräfte
eintrafen, war das Opfer schon bewusstlos. Nach einer Stunde, um 21.43 Uhr, wurden die intensiven Bemühungen dann eingestellt“, sagte eine Polizistin der Kripo aus. Der Angeklagte ließ sich ohne Widerstand festnehmen.
Dramatisch ist der Notruf der Mutter, der bei der Integrierten Leitstelle eingeht. „Schnell, schnell, kommen Sie“, fleht sie und schluchzt. „Da ist so viel Blut, oh mein Gott“, ist zu hören und die Frage an den anderen Sohn gerichtet: „Was hast du getan, meine Sonne?“Weil die Mutter zwischen der deutschen und russischen Sprache wechselte, wurden einige Passagen der anwesenden Dolmetscherin noch mehrfach vorgespielt. Der Angeklagte – er sitzt in der Justizvollzugsanstalt Gablingen bei Augsburg ein – blickt während des Abspielens des Notrufs geradeaus und zeigt wenig Emotionen. Er sieht sich auch nicht die Bilder vom Tatort an, die gezeigt werden. Ein Mitarbeiter der Spurensicherung sagt, dass die Tatwaffe im Bad unter einem Waschtisch gefunden worden sei. „Die war dort abgelegt und sichtbar“, antwortete er auf die Frage des Vorsitzenden Richters, Michael Eberle, ob das Messer versteckt worden sei. Auf diesem sei auch ein Fingerabdruck des 35-Jährigen gefunden worden.
Beide Brüder sind für die Polizei keine Unbekannten. Sie fielen bereits wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, Diebstählen und Körperverletzungsdelikten auf, wobei die Liste beim 42-jährigen Opfer länger ist, wie aus den Ausführungen einer Polizistin der Kripo Fürstenfeldbruck hervorgeht. Der Jüngere saß schon in Landsberg im Gefängnis. Weil er sich nicht an Auflagen hielt, wie die Abgabe von Urintests und das Ableisten von Sozialstunden, wurde eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten widerrufen. Dazu hatte ihn damals Michael Eberle verurteilt. Eberle, damals noch am Amtsgericht Landsberg und inzwischen am Landgericht Augsburg tätig, leitet auch den aktuellen Fall. Der Angeklagte war Ende 2017 verurteilt worden, weil er Polizeibeamte beleidigte und einen von ihnen bespuckte, der aber ausweichen konnte. Sein Promillewert damals lag bei 3,2. Diesmal waren es laut vorgenommener Haaranalyse zwischen 1,56 und 2,12 Promille.
In der Wohnung des mutmaßlichen Täters fanden die Beamten neben diversen Bier- und Wodkaflaschen auch einen Arztbrief – der 35-Jährige wurde bereits stationär behandelt – und zwei Briefe des älteren Bruders an den jüngeren. In einem empfiehlt er zum Vater nach Russland zu gehen, um das Leben zu ordnen und schreibt: „Ich hoffe, du machst nicht meine Fehler. Ich umarme dich, bleib stark.“Im anderen redet er seinem Bruder ins Gewissen. Die ganze Familie und der Angeklagte selbst litten unter dem Alkoholkonsum. „Wir lieben dich und glauben an dich“, heißt es weiter.
In ausgewerteten Chatverläufen geht es unter anderem um gemeinsamen Drogenkonsum. Welche Rolle das Opfer dabei spielte, darauf könne sie aufgrund der von Richter Eberle formulierten Beschränkungen aber nicht eingehen, so die Beamtin der Kripo. Die Mutter der beiden Männer habe die Aussage verweigert, ob dies auch die Großmutter und die Cousine am Donnerstag, 11. April, machen werden, sei unklar. Aussagen gegenüber der Polizei dürften in dem Fall nicht verwendet werden, sondern nur jene, die gegenüber dem Ermittlungsrichter getätigt worden seien. Die Befragung der Nachbarn in dem
Mehrparteienhaus habe keine weiteren Hinweise erbracht, ergänzte sie noch.
Professorin Gisela Skopp, Expertin für Chemie und Toxikologie, berichtete, dass in der vom Beschuldigten genommenen und untersuchten Haarprobe neben Alkohol und Cannabinoiden (darunter fallen unter anderem THC und CBD) auch Clonazepam nachgewiesen werden konnte. Dieses Mittel wird zur Entkrampfung eingesetzt, unter anderem bei Epilepsie-Patienten. Da das Haar nur einen Zentimeter lang gewesen sei, könne sie nur Aussagen über einen Zeitraum von einigen Wochen treffen, so die Expertin. Die Analyse habe gezeigt, dass „ein exzessives Trinkverhalten“vorliege. Ob der 35-Jährige regelmäßig zu Cannabis greife, könne sie aufgrund der Datenlage nicht beantworten, der Konsum sei aber mehrmals erfolgt.
Laut Skopp wirke Clonazepam eigentlich dämpfend, könne in Kombination mit Alkohol aber auch zu aggressivem Verhalten führen. Dies sei aber eher selten und eher bei älteren Menschen zu beobachten. „Bei der Dosierung im vorliegenden Fall, könnte das aber auch hier der Fall sein.“