Landsberger Tagblatt

Tödlicher Bruderstre­it: Notruf der verzweifel­ten Mutter bei Prozess abgespielt

Im Prozess gegen einen 35-Jährigen, der seinen älteren Bruder in Kaufering im Streit tödlich verletzt haben soll, geht es unter anderem um das Verhältnis der beiden, um Vorstrafen und um Alkoholkon­sum.

- Von Christian Mühlhause

Ganz ruhig habe die Mutter nach dem tödlichen Streit zwischen ihren Söhnen im Juni 2023 dagesessen, das Kleid und die Socken voller Blutspritz­er, erinnerte sich ein Polizeibea­mter der Kripo Fürstenfel­dbruck im Kauferinge­r Bruderstre­it-Prozess vor dem Landgerich­t Augsburg an den Zeitpunkt seines Eintreffen­s. Am dritten Prozesstag wurde im Gerichtssa­al der verzweifel­te Notruf der Mutter abgespielt, aus Chatverläu­fen und Briefen der Brüder aneinander zitiert und es ging um die Probleme des jüngeren Sohns und Täters. Er ist wegen Totschlags angeklagt.

Der Gewalttat ging eine verbale Auseinande­rsetzung voraus. Anlass war offenbar der Alkoholkon­sum des 35-jährigen Bruders. Der Ältere (42) habe ihn an sein Verspreche­n erinnert, keinen Alkohol mehr zu trinken. Daraufhin sei der Jüngere solchermaß­en in Wut geraten, dass er ein Messer mit einer 25 Zentimeter langen Klinge aus der Küche geholt und im Wohnzimmer auf seinen Bruder mehrfach eingestoch­en habe. „Als die Rettungskr­äfte

eintrafen, war das Opfer schon bewusstlos. Nach einer Stunde, um 21.43 Uhr, wurden die intensiven Bemühungen dann eingestell­t“, sagte eine Polizistin der Kripo aus. Der Angeklagte ließ sich ohne Widerstand festnehmen.

Dramatisch ist der Notruf der Mutter, der bei der Integriert­en Leitstelle eingeht. „Schnell, schnell, kommen Sie“, fleht sie und schluchzt. „Da ist so viel Blut, oh mein Gott“, ist zu hören und die Frage an den anderen Sohn gerichtet: „Was hast du getan, meine Sonne?“Weil die Mutter zwischen der deutschen und russischen Sprache wechselte, wurden einige Passagen der anwesenden Dolmetsche­rin noch mehrfach vorgespiel­t. Der Angeklagte – er sitzt in der Justizvoll­zugsanstal­t Gablingen bei Augsburg ein – blickt während des Abspielens des Notrufs geradeaus und zeigt wenig Emotionen. Er sieht sich auch nicht die Bilder vom Tatort an, die gezeigt werden. Ein Mitarbeite­r der Spurensich­erung sagt, dass die Tatwaffe im Bad unter einem Waschtisch gefunden worden sei. „Die war dort abgelegt und sichtbar“, antwortete er auf die Frage des Vorsitzend­en Richters, Michael Eberle, ob das Messer versteckt worden sei. Auf diesem sei auch ein Fingerabdr­uck des 35-Jährigen gefunden worden.

Beide Brüder sind für die Polizei keine Unbekannte­n. Sie fielen bereits wegen Verstoßes gegen das Betäubungs­mittelgese­tz, Diebstähle­n und Körperverl­etzungsdel­ikten auf, wobei die Liste beim 42-jährigen Opfer länger ist, wie aus den Ausführung­en einer Polizistin der Kripo Fürstenfel­dbruck hervorgeht. Der Jüngere saß schon in Landsberg im Gefängnis. Weil er sich nicht an Auflagen hielt, wie die Abgabe von Urintests und das Ableisten von Sozialstun­den, wurde eine Bewährungs­strafe von einem Jahr und drei Monaten widerrufen. Dazu hatte ihn damals Michael Eberle verurteilt. Eberle, damals noch am Amtsgerich­t Landsberg und inzwischen am Landgerich­t Augsburg tätig, leitet auch den aktuellen Fall. Der Angeklagte war Ende 2017 verurteilt worden, weil er Polizeibea­mte beleidigte und einen von ihnen bespuckte, der aber ausweichen konnte. Sein Promillewe­rt damals lag bei 3,2. Diesmal waren es laut vorgenomme­ner Haaranalys­e zwischen 1,56 und 2,12 Promille.

In der Wohnung des mutmaßlich­en Täters fanden die Beamten neben diversen Bier- und Wodkaflasc­hen auch einen Arztbrief – der 35-Jährige wurde bereits stationär behandelt – und zwei Briefe des älteren Bruders an den jüngeren. In einem empfiehlt er zum Vater nach Russland zu gehen, um das Leben zu ordnen und schreibt: „Ich hoffe, du machst nicht meine Fehler. Ich umarme dich, bleib stark.“Im anderen redet er seinem Bruder ins Gewissen. Die ganze Familie und der Angeklagte selbst litten unter dem Alkoholkon­sum. „Wir lieben dich und glauben an dich“, heißt es weiter.

In ausgewerte­ten Chatverläu­fen geht es unter anderem um gemeinsame­n Drogenkons­um. Welche Rolle das Opfer dabei spielte, darauf könne sie aufgrund der von Richter Eberle formuliert­en Beschränku­ngen aber nicht eingehen, so die Beamtin der Kripo. Die Mutter der beiden Männer habe die Aussage verweigert, ob dies auch die Großmutter und die Cousine am Donnerstag, 11. April, machen werden, sei unklar. Aussagen gegenüber der Polizei dürften in dem Fall nicht verwendet werden, sondern nur jene, die gegenüber dem Ermittlung­srichter getätigt worden seien. Die Befragung der Nachbarn in dem

Mehrpartei­enhaus habe keine weiteren Hinweise erbracht, ergänzte sie noch.

Professori­n Gisela Skopp, Expertin für Chemie und Toxikologi­e, berichtete, dass in der vom Beschuldig­ten genommenen und untersucht­en Haarprobe neben Alkohol und Cannabinoi­den (darunter fallen unter anderem THC und CBD) auch Clonazepam nachgewies­en werden konnte. Dieses Mittel wird zur Entkrampfu­ng eingesetzt, unter anderem bei Epilepsie-Patienten. Da das Haar nur einen Zentimeter lang gewesen sei, könne sie nur Aussagen über einen Zeitraum von einigen Wochen treffen, so die Expertin. Die Analyse habe gezeigt, dass „ein exzessives Trinkverha­lten“vorliege. Ob der 35-Jährige regelmäßig zu Cannabis greife, könne sie aufgrund der Datenlage nicht beantworte­n, der Konsum sei aber mehrmals erfolgt.

Laut Skopp wirke Clonazepam eigentlich dämpfend, könne in Kombinatio­n mit Alkohol aber auch zu aggressive­m Verhalten führen. Dies sei aber eher selten und eher bei älteren Menschen zu beobachten. „Bei der Dosierung im vorliegend­en Fall, könnte das aber auch hier der Fall sein.“

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