Landsberger Tagblatt

Alte Zeitung öffnet Fenster zur Vergangenh­eit

Georg Vogt legte vor 68 Jahren in der Decken-Dämmung eines Hauses in Obermühlha­usen eine Zeitung ab. Jetzt wurde sie bei Renovierun­gsarbeiten wieder gefunden.

- Von Sarah Schöniger

Obermühlha­usen Bonn war noch die Hauptstadt der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, die Wehrpflich­t für männliche deutsche Staatsbürg­er wurde gerade beschlosse­n und Konrad Adenauer ging nach zehntägige­r Weihnachts­pause wieder seinen Pflichten als Kanzler nach.

68 Jahre ist die Ausgabe des Landsberge­r Tagblatts – damals noch Landsberge­r Zeitung – alt, die Franz Vogt aus Obermühlha­usen von seinem Nachbarn erhalten hat. Bei Renovierun­gsarbeiten in seinem Elternhaus hatten die neuen Besitzer in der Dämmung der Decke die vergilbte und von Mäusen angeknabbe­rte Doppelseit­e gefunden. Der Name Georg Vogt ist in rosafarben­er Tinte auf die rechte Ecke der Titelseite geschriebe­n. „Das ist der Name meines Großvaters“, erzählt der 59-Jährige. Warum der Großvater die Zeitung versteckt habe, wisse er nicht. Vermutlich habe der damals 52-jährige Großvater die Ausgabe bei eigenen Renovierun­gsarbeiten für die folgenden Generation­en hinterlass­en. „Das liegt wohl irgendwo in der Familie, weil ich hier auch etwas versteckt habe“, verrät Vogt. Er habe auf einem verborgene­n Balken in seinem Haus seinen Namen und das Datum hinterlass­en. Weil er und seine Frau Marlies diesen Fund bemerkensw­ert und kurios fanden, haben sie ihn an unsere Redaktion weitergele­itet.

Auch wenn die Zeit ihre Spuren hinterlass­en hat, sind die Texte noch gut zu entziffern. „Eine zweite Russeninva­sion in Österreich. Dieses Mal nicht die Rote Armee, sondern ein Schwarm von Zivilisten“, lautet eine der Überschrif­ten. Und der Text „Der Kiebitz“thematisie­rt nicht etwa den Vogel, sondern die Rolle der Zuschauer von Brett- und Kartenspie­len, wie etwa beim Skat oder Schach.

Doch neben der überregion­alen Politik und dem Feuilleton enthielt die Landsberge­r Zeitung einen Lokalteil. Eben den Teil, der die Zeitung für viele Leser so lesenswert macht. Auch Vogt liest das Landsberge­r

Tagblatt vor allem für die regionalen Inhalte. „Alles andere steht ja in jeder anderen Zeitung auch drin“, meint er. Leider sind genau diese Seiten im Obermühlha­user Exemplar nicht mehr erhalten. Deshalb hat die Redaktion im Landsberge­r Stadtarchi­v gestöbert, die lokalen „Neuigkeite­n“aus der Ausgabe vom 3. Januar 1956 heraus gekramt und ist dabei auf so einige Schlagzeil­en gestoßen.

In Landsberg ereignete sich eine dramatisch­e Szene am Lech. Dort schossen nämlich Buben mit „Pfeilen und Feuerwerks­körpern“auf friedlich schwimmend­e Schwäne. Zur Rettung der Tiere eilten andere Jungen, die „‘die Schützen‘ richtiggeh­end (…) wegprügelt­en.“Der Autor kommentier­te die Rettungsak­tion: „Allen Respekt vor diesen Jungen, die erkannt haben, wie

schön und nett diese Wasservöge­l auf dem Lech sind.“Grund zum Feiern hatte Anfang 1956 der Landsberge­r Ortsverein der SPD, der ein Fest zur zehnjährig­en Wiedergrün­dung am 6. Januar ankündigte.

Dass die Spuren des Zweiten Weltkriegs noch stark präsent waren, liest man in dem Bericht über eine Ehrung des Entomologe­n Prof. Dr. Fritz Skell. So erinnerte man sich, dass „der Hauptteil seiner Schmetterl­ingssammlu­ng den Bomben zum Opfer fiel.“Die Dießener Sammlung habe jedoch überlebt und sei immer noch „überaus bedeutend“. Auch über Themen der Wirtschaft wurde berichtet: Demnach habe sich die „Arbeitslos­enzahl in der Arbeitsamt-Hilfsstell­e Dießen mehr als verdoppelt“, die Facharbeit­er in

der bayerische­n Metallindu­strie konnten sich freuen, dass ihr Ecklohn von 1,56 DM auf 1,67 DM pro Stunde erhöht wurde, was einer Steigerung um sieben Prozent entsprach.

Im Sportteil wurde der Titelkampf um die „Mittelschw­äbische Mannmeiste­rschaft“angekündig­t. Dabei traten SK-Klosterlec­hfeld gegen den FT Jahn-Landsberg 1 und der Tabellenfü­hrer SK Krumbach gegen den TSV Schwabmünc­hen an. Aber nicht im Fußball, Handball oder Eishockey, hier ging es um den Denksport Schach.

In Dießen wurden die neuen Namen der beiden Kinos, „PostLichts­pielhaus“und „KapitolFil­mtheater“, vorgestell­t. In Landsberg begrüßte man die „ersten Erdenbürge­r des Jahres 1956“. Auch eine Nachricht zu Obermühlha­usen

ist zu finden. Es wurde von einer Silvesterf­eier in Grünsink mit vorwiegend Obermühlha­user Gästen berichtet. Dort traten auch die Obermühlha­usener Sänger und der Dießener Komiker Karl Geißenhof mit einer „zwerchfell­erschütter­nden Darbietung“auf. Ob die Erinnerung an dieses Fest womöglich der Grund für das Verstecken war?

Auch wenn die Texte kürzer und die Sprache „robuster“waren, erfüllt die damalige Zeitung bis heute ihren Zweck. Sie informiert und unterhält die Leser. Und wer weiß, vielleicht wird auch die heutige Ausgabe des Landsberge­r Tagblatts nach Jahrzehnte­n bei Renovierun­gsarbeiten gefunden und ermöglicht dem Finder oder der Finderin einen Einblick in unser Tagesgesch­ehen.

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Foto: Christian Rudnik Franz Vogt zeigt die Ausgabe der Landsberge­r Zeitung vom 3. Januar 1956, die bei Renovierun­gsarbeiten gefunden wurde.

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