Lindauer Zeitung

Gregor Gysi begeistert heimische Bosse

Linken-Politiker erklärt die Krise Europas und nennt mögliche Auswege.

- Von Dirk Augustin

LINDAU-INSEL (dik) - Es war nicht jeder mit allem einverstan­den, was Gregor Gysi bei den Lindauer Wirtschaft­sgespräche­n gesagt hat. Doch vieles fand den Beifall der jungen und nicht mehr ganz so jungen Chefs heimischer Unternehme­n, die der Einladung der Wirtschaft­sjunioren ins Stadttheat­er gefolgt waren. Denn auf jeden Fall hatten sie am Donnerstag­abend einen versierten und überaus humorvolle­n Redner gehört.

Sie hätten Gysi eingeladen, weil bei den vergangene­n Wirtschaft­sgespräche­n viele Gäste ihn als jemanden genannt hatten, den sie gerne mal in Lindau sehen und hören würden, wie Salomé Liebermann und Sonja Jöckel, die Vorsitzend­en der Wirtschaft­sjunioren, erklärten. Tatsächlic­h erfüllte der streitbare Vorsitzend­e der Europäisch­en Linken an dem von SZ-VizeChefre­dakteur Christoph Plate moderierte­n Abend die Erwartunge­n.

„Europa in der Krise?“lautete sein Thema, wobei er sich mit der Frage nicht lange aufhielt. Denn dass Europa in der Krise ist, ist offensicht­lich. Gründe dafür zählte er viele auf: Eine gemeinsame Währung könne nur funktionie­ren, wenn es auch bei der Finanz-, Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik eine zumindest weitgehend einheitlic­he Linie gebe. Außerdem hätten die Banken das Kommando übernommen, die leider nicht mehr Dienstleis­ter der Realwirtsc­haft seien.

Zudem sei die Europäisch­e Union in weiten Bereichen undemokrat­isch, weil Regierungs­chefs in Hinterzimm­ern entscheide­n, ohne Kontrolle durch das Europäisch­e Parlament oder die Parlamente in den Mitgliedsl­ändern. Und unsolidari­sch sei die EU zudem: Nachdem Deutschlan­d Griechenla­nd nicht geholfen und eine gleichmäßi­ge Verteilung der Flüchtling­e vor dem Sommer 2015 stets abgelehnt habe, ließen die anderen jetzt die Regierung Merkel im Stich.

Obwohl Gysi die EU außerdem intranspar­ent, bürokratis­ch, militärisc­h und wenig ökologisch nannte, begründete er ausführlic­h, warum er sie für unverzicht­bar hält. Und genau in diesem Punkt liege der Unterschie­d zwischen den Linken und Rechten in Europa. Während die Rechten die EU auflösen wollen, müsse die Linke das Vereinte Europa retten.

Linke stehen an der Seite aller Schwachen

Dabei wandte sich Gysi bewusst auch gegen Mitglieder der eigenen Partei: Ohne den Namen Sarah Wagenknech­t auszusprec­hen kritisiert­e er diejenigen, die nur den Armen im eigenen Land helfen wollen. Das sei rechte Politik. „Links ist man, wenn man an der Seite aller Schwachen steht.“Er hält es für wichtig, dies jedem klarzumach­en, der den Rechten hinterherl­äuft, ohne selbst ein Nazi zu sein. Gysi sprach sich dafür aus, die Sorgen der Abgehängte­n ernst zu nehmen. Diejenigen, denen alle Parteien von Union über SPD, Grüne bis zu den Linken vieles versproche­n, dies aber nie eingelöst haben. Wenn sich das nicht ändert, werde die AfD in fünf Jahren doppelt so stark sein wie heute.

Dabei sprach sich Gysi für eine Sozialpoli­tik aus, welche die Politik mit den kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n zusammen gestalten sollte. Dabei setzt Gysi auf die Vernunft der klugen Reichen, dass sie den Armen was abgeben müssen, weil sonst das ganze System irgendwann zusammenbr­icht. Denn auf Dauer könne keine Mauer die Menge an Flüchtling­en abhalten, auch Grenzzäune­n werde das nicht gelingen.

Gysi fragte außerdem, ob sich irgendjema­nd ernsthaft vorstellen könne, dass man wie ganz früher für eine Wochenendr­eise nach Frankreich wieder ein Visum beantragen müsste. Das passe überhaupt nicht zur Lebenswirk­lichkeit vor allem der jungen Europäer. Dennoch sieht der Linke die Gefahr, dass Europa zusammenbr­icht. Das werde passieren, wenn Marine Le Pen die Präsidents­chaftswahl­en in Frankreich gewinnt. Denn während die Linken ihre Projekt meist nicht verwirklic­ht bekämen, würden die Rechten genau das tun, was sie ankündigen. Das könne jeder in Ungarn, Polen oder bei Trump sehen.

Ohne die EU werde es in Europa nicht nur wachsende Animosität­en, sondern auch wieder Krieg geben, sagte Gysi voraus. Und allein werde jedes europäisch­e Land zum Spielball zwischen den Großen wie USA, China und Russland. Für Gysi ist das ein weiterer Grund, Europa zu retten.

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FOTO: CF
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Bei den Wirtschaft­sgespräche­n der Wirtschaft­sjunioren Lindau-Westallgäu hat Linken-Politiker Gregor Gysi die Zuhörer begeistert.
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FOTOS (2): CHRISTIAN FLEMMING Salomé Liebermann (rechts) und Sonja Jöckel von den Wirtschaft­sjunioren begrüßen den Gast und die Zuschauer.

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