Faszinierend und malerisch zugleich
Töne, Geräusche, Musik und bewegte Bilder: Videos von Rachel Rose im Kunsthaus Bregenz
BREGENZ - Rachel Rose ist die Senkrechtstarterin der US-amerikanischen Kunstszene. Innerhalb nur weniger Jahre gelang es der gebürtigen New Yorkerin, die zeitgenössische Videokunst-Szene aufzumischen und eine führende Position einzunehmen. In ihren Arbeiten geht es nicht allein um Bilder, vielmehr werden in Kombination mit Tönen, Geräuschen und Musik alle Sinne angesprochen. Ab sofort sind ihre aufwendig produzierten Videos im Kunsthaus Bregenz (KUB) zu entdecken. Mit dieser Ausstellung ist die 30-Jährige die jüngste Künstlerin, die bis dato das Gebäude aus Beton und Glas bespielen durfte.
Ihre Filme üben eine gewaltige Anziehungskraft auf den Betrachter aus. Ausgangspunkt ist immer ein Gefühl, etwa ein Unbehagen oder eine spezifische Neugier, dem eine aufwendige Recherche folgt, wie sie in Bregenz bei der Pressekonferenz verrät. Anschließend verwebt Rose teils selbst produzierte, teils vorgefundene Ton- und Videoaufnahmen sowie historische Fakten zu Bewegtbild-Collagen, die sich aus Alltag, Popkultur, Wissenschaft und Kunst nähren.
Das führt zu so ungewöhnlichen und aufregenden Filmen wie etwa „A Minute Ago“von 2014. In der Arbeit, die im KUB unterm Dach gezeigt wird, verbindet Rose Naturkatastrophen, moderne Architektur und klassizistische Barockmalerei miteinander. Die Protagonisten des Films sind quasi sinnliche Phänomene.
Es beginnt mit einem Hagelschauer, der das beschauliche Treiben an einem Strand in Sibirien plötzlich durcheinanderwirbelt. Vor dem akustischen Hintergrund eines Livekonzerts von Pink Floyd laufen die Strandbesucher hektisch umher, suchen Schutz unter Handtüchern und Sonnenschirmen oder versuchen vor dem Unwetter zu fliehen. Die nächste Szene stellt ein Interview mit Architekt Philip Johnson in seinem Glass House von 1949 nach. Wie ein Geist huscht seine Gestalt zu einem Rhythmus aus Klopfgeräuschen durch die Räumlichkeiten.
Rasant wechseln die Motive
In rasantem Tempo vermischen sich die Bilder vom Glashaus mit denen des Sturms am Strand. Parallel dazu geht der Sound in ein von Johlen übertöntes Livekonzert über. Wie aus dem Nichts taucht plötzlich ein Gemälde von Nicolas Poussin auf, auf dem ein Leichnam durch eine Landschaft zur Beerdigung getragen wird. Dann verschwindet das Bild wieder – das tatsächlich im Glashaus hängt –, bis am Ende die überlagerten Sequenzen in tausend Teile zerspringen.
Solche komplexen, aber mitreißenden Erzählungen berühren und erschüttern den Betrachter ganz unmittelbar. Das muss man gehört und gesehen haben. Rachel Roses Bilder sind faszinierend und malerisch zugleich. Mal folgen sie stakkatohaft aufeinander, mal gehen sie fließend ineinander über. Dann wieder wechseln sich extreme Nahaufnahmen mit Fernerlebnissen ab, während der Sound stets bis in den Bauch hinein zu spüren ist. Gleichzeitig werden logische Denkprozesse gesprengt, das unmittelbare Chaos vor Augen geführt. So gelingt es der jungen Künstlerin zwischen anscheinend zusammenhanglosen Bestandteilen historische Bezüge offenzulegen und diese in neue Sinnzusammenhänge zu stellen. Nach dem Motto: Warum bauen wir überhaupt Häuser aus Glas, um uns zu schützen? Es ist doch ein zerbrechliches und wenig solides Material.
Die Ausstellung im KUB zeigt genau drei Videos – für jedes Stockwerk eines. In „Everything And More“(2015) steht ein Astronaut und die Unendlichkeit des Alls im Mittelpunkt, in „Palisades in Palisades“(2014) setzt Rose sich mit unseren Vorstellungen von Zeit und Geschichte auseinander. In der Regel arbeitet die Künstlerin ein ganzes Jahr an einem Projekt.
Leinwände aus besonderem Stoff
Die Videoinstallationen waren sehr teuer, wie die Kuratoren erzählen. Die Boxen hat man aus edlem Vogelbeereholz hergestellt und die Leinwände auf Wunsch von Rose extra für Bregenz aus einem speziellen Stoff gefertigt, in den jeweils unterschiedliche Motive eingewebt wurden. Bei „A Minute Ago“beispielsweise das Poussin-Bild, das nun im Raum zu schweben scheint.
Zu erleben sind die Videos dank dieser raffinierten Technik erstmals auf beiden Seiten – wobei die Rückseite malerischer wirkt als die Front. Das liegt daran, dass dort nur ein Teil der Motive durchscheint. Im Grunde ist Rachel Rose eine Malerin, die mit digitalen Bildern ungewöhnliche Kompositionen schafft.
Als die New Yorker Künstlerin im vergangenen Jahr zum ersten Mal in Bregenz zu Besuch war, um sich einen Eindruck vom Ausstellungsgebäude zu verschaffen, hat sie das Haus „wie eine Kathedrale“empfunden, sagt Rose. An diesem Ort, wo Licht, Raum und Luft von jedem Besucher anders wahrgenommen werden, kommen ihre Bewegtbild- und Sound-Welten jedenfalls hervorragend zur Geltung. Roses Kunstwerke sind für Direktor Thomas D. Trummer „Tauchgänge in die Tiefen der Wahrnehmung, Erkundungen des Sinnlichen und der Empfindsamkeit“. In der Tat spürt man, wie die magischen Momente von Geschoss zu Geschoss ineinandergreifen, zu Grenzerlebnissen des Sehens, Hörens, Fühlens führen – und zwar nicht nur in den Video-Collagen, sondern auch im Raum an sich.