Der Cremona-Code
Alte Streichinstrumente sind weltweit heiß begehrte Objekte – auch bei Betrügern
Dutzende dieser Prachtstücke wurden schon gestohlen, viele blieben bis heute verschollen.
Thöne und Reister betreiben ihr Geschäft mit der Nüchternheit der Bankiers und dem Enthusiasmus von Sammlern. Sie bringen Instrumente, Anleger und Musiker zusammen. Seit 2013 haben sie mehrere Dutzend Instrumente vermittelt.
Die Nachfrage ist groß
Die Musikhochschulen entlassen immer mehr Geiger und Bratscher. Hoch qualifizierte Interpreten drängen auf Podien und in Orchestergräben, Kammermusik-Ensembles sprießen. Im Prinzip eine erfreuliche Entwicklung. Aber sie hat einen Haken. Die Zahl der alten Instrumente wächst nicht. Die Verknappung macht hochwertige Geigen, Bratschen und Celli immer teurer – und so zu lukrativen Anlageobjekten, zuweilen unerreichbar für junge Talente.
Ob Amati, Stradivari oder Guarneri – von den Kronjuwelen existieren weltweit nur einige Hundert Exemplare. Zwar hat etwa der Italiener Antonio Stradivari (wohl 1644 oder 1648-1737) vermutlich etwas mehr als tausend Stück in seiner Werkstatt in Cremona hergestellt. Davon sind nach Schätzungen von Simon Morris, Direktor des Geigenhändlers Beare in London, etwa 550 Geigen, 60 Celli und 12 Bratschen bekannt. Manche nennen leicht andere Werte.
Jost Thöne kennt die Zahlen, auch er hat Schätzungen. Mit dem Spürsinn eines Detektivs hat er weltweit Geigen, Bratschen und Celli aus dem Hause Stradivari aufgestöbert. 300 Stück dokumentierte er in Büchern: „Ich könnte bis zu 400 schaffen.“Er reiste dafür um die Erde, sprach mit scheuen Sammlern und verschwiegenen Milliardären.
„Violin Assets“könne aber nicht nur die Juwelen vermitteln. Investoren und Mäzene seien auch bereit, nicht so teure Geigen zu erwerben und an Musiker zu verleihen. Zwar seien bei einer Stradivari die Renditen höher: „Fünf bis acht Prozent sind bisher immer drin gewesen – im Jahr“, schwärmt Thöne. Doch wer hinter dem Streicher-Investment nur das Schielen nach Gewinn vermutet, habe den Ansatz nicht verstanden. Und wohl auch die Klientel nicht.
„Hier sitzen oft Leute“, erzählt Thöne und zeigt auf das Ledersofa in seinem Studio, „denen es nicht um die Rendite geht. Die machen sie in ihrem Job.“Investoren, die in den ersten Jahren ihres Berufslebens vor allem mit der Kapitalvermehrung beschäftigt gewesen seien, suchten irgendwann den Kontakt zur Kulturszene. So kämen auch Geigen ins Spiel. „Es ist wunderbar, wenn die Rendite realisiert werden kann, aber das ist kein Schwerpunkt.“
Und es ist ja auch nicht so, dass Händler immer Mondpreise erzielten. Noch 1980 war eine Stradivari für rund 200 000 US-Dollar zu haben. Seitdem zogen die Preise im Durchschnitt um rund 15 Prozent im Jahr an, wie das US-Beratungsunternehmen Violin Advisors errechnete.
Dennoch: 2011 wurde die „Lady Blunt“Stradivari für die Riesensumme von knapp 16 Millionen US-Dollar (heute rund 15 Millionen Euro, damals 11 Millionen) versteigert. Auf den Markt gebracht hatte sie die japanische Nippon Foundation. Die Stiftung verleiht ihre Instrumente an Künstler.
Talentierte Musiker brauchen für den Erfolg gute Instrumente. „In Zeiten explodierender Marktpreise ist es jungen Konzertinstrumentalisten zu Beginn der Karriere kaum möglich, ein hochwertiges Instrument zu erwerben“, sagt der Geiger Sven Stucke. Der Magdeburger spielt auf einer von Thöne vermittelten Tommaso Balestrieri von 1767.
„Im Laufe meiner Konzerttätigkeit hatte ich immer wieder die Möglichkeit, mit herausragenden Instrumenten von Stradivari, Guarneri, Storioni oder Vuillaume aufzutreten“, erzählt Stucke. Meist war die Leihgabe an Projekte gebunden.
In der Branche gibt es aber auch schwarze Schafe. Besonders krass war der Fall eines deutschen Geigenhändlers, der wegen Betrugs in großem Maßstab zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Jahrelang hatte er falsche Herkunftspapiere ausgestellt und überteuerte Instrumente als Sicherung für Bankkredite eingesetzt – bis der Schwindel 2011 aufflog. Er hatte alte Geigen bis ins 17. Jahrhundert rückdatiert.
Susanne Leuthner kennt die Szene gut. Sie leitet bei der Mannheimer Versicherung die Instrumentenabteilung. Die Versicherung hat mehr als 50 000 Musiker unter Vertrag. „Immer wieder werden bei uns gestohlene oder verlorene Instrumente gemeldet“, sagt Leuthner. Und das Internet-Auktionshaus Tarisio führt eine Liste gestohlener Geigen und Bratschen. Kenner sprechen von teilweise gezielten Raubzügen. Susanne Leuthner, Versicherungsexpertin
„Immer wieder werden bei uns gestohlene oder verlorene Instrumente gemeldet.“