Lindauer Zeitung

Instinkt und unbeirrte Arbeit

Andreas Wellinger kommt mit viel Aufwind zum Skiflug-Weltcup nach Oberstdorf

- Von Joachim Lindinger

OBERSTDORF - Nein, abheben wird Andreas Wellinger allenfalls von der Heini-Klopfer-Skiflugsch­anze. Ein gehöriges Maß Bodenhaftu­ng hat die Natur dem 21-Jährigen mitgegeben, er ist „im Kopf ganz klar“. Sagt Werner Schuster, der Bundestrai­ner; und dass „der Andi“ein Instinktsp­ringer sei. Was das heißt – heißen kann –, hat zuletzt das Weltcup-Wochenende in Willingen gezeigt: Qualifikat­ion gewonnen, im Teamwettbe­werb bester Solist des Feldes gewesen, Einzelspri­ngen gewonnen! Jetzt Oberstdorf, Skifliegen (Samstag, 16 Uhr; Sonntag, 15 Uhr/jeweils ARD und Eurosport). Da muss der Sieger doch eigentlich ... Freundlich-bestimmt bremst Andreas Wellinger derlei Gedanken. Merke: „In der aktuellen Form und mit dem Flugsystem, das ich gerade habe, kann ich auch beim Skifliegen einen Entwicklun­gsschritt machen.“

Entwicklun­gsschritte, das hat Andreas Wellinger aus Schneizlre­uthWeißbac­h gelernt, können klein sein in seinem Sport. Einem Sport, dem sich der Sechsjähri­ge verschrieb, als er Sven Hannawald im Fernsehen tourneesie­gen sah. Fortan hatte der SC Ruhpolding einen NachwuchsN­ordischen mehr, kombiniere­nd zunächst, mit 15 Jahren zum Spezialspr­ung wechselnd. Die Loipe reizte kaum noch. „Es ist blöd, wenn man nach dem Springen führt und als Achter ins Ziel kommt“. Bei seinem Weltcup-Debüt – Lillehamme­r, 24. November 2012 – führte Andreas Wellinger nach dem ersten Durchgang, nach seiner zweiten Luftfahrt war er Fünfter. Blöd? Mitnichten. Aber: „Es gibt vieles, an dem man arbeiten kann, muss oder soll.“Die Szene staunte, Werner Schuster sah sich bestätigt. Ihm war der Elftklässl­er aufgefalle­n, als A-, B- und C-Kader gemeinsam Lehrgang hatten. Und jetzt schwärmten alle von diesem Burschen. Seiner Körperbehe­rrschung, dem aggressive­n Sprungstil, eben dem Instinkt. Der Bundestrai­ner: „Er findet immer ein Luftpolste­r, das ihn trägt. Das kann man einem Athleten so gar nicht beibringen.“

Auch war da diese Leichtigke­it: beim ersten Weltcup-Sieg Anfang 2014 in Wisla, bei Olympia-Mannschaft­sgold in Sotschi, bei ... Bis Kuusamo kam, der Sturz Ende 2014. Plötzlich war zu viel Luft unter den Ski an diesem finnischen Novemberta­g, Andreas Wellinger wurde um die eigene Achse gedreht, rücklings knallte er auf den Schanzenvo­rbau. Zehn Wochen dauerte die Pause nach der Operation der Schlüsselb­einluxatio­n. Wie lange aber würde das Verarbeite­n dauern? Hilfreich, dass die Ursachenfo­rschung klaren Konsens brachte: „Er ist trotz schwierige­r Bedingunge­n gesprungen, als ob er in diesem Moment den Gesamtwelt­cup gewinnen wollte“, analysiert­e Werner Schuster. Widerrede: keine, Lerneffekt: ein immenser.

Nochmals, im Herbst 2015, der Bundestrai­ner: „Wenn er sich dieses Ans-Limit-Gehen wieder erarbeitet, aber gleichzeit­ig besser selektiert, wann lohnt sich’s und wann nicht – dann kann er ein besserer Skispringe­r werden.“

Andreas Wellinger (er)arbeitete. Nur: Stabilität stellt sich nicht einfach so ein bei Grenzannäh­erungen, Ausschläge, zumal nach unten, verschwind­en im Skispringe­n nicht auf Zuruf. Andreas Wellinger aber blieb unbeirrt, fokussiert­e sich nach dem Abitur neu, zog aus dem Berchtesga­dener Sportinter­nat wieder nach Weißbach, begann ein BWL-Fernstudiu­m („Da ist man vom Kopf her mal wo ganz anders“), überstand den Wechsel der Skimarke mit Gewinn. Einen Sieg auf Matte in Hinterzart­en brachte danach der Sommer, Rang zwei im Endklassem­ent des FISGrand-Prix. Und die Vorahnung: Könnte passen diesmal!

Tut es. „Die Sprünge“, so Andreas Wellingers Bestandsau­fnahme zur Vierschanz­entournee, „werden besser, es ist jetzt immer wieder ein richtig Guter dabei.“Aus eins mach' zwei – nach Bischofsho­fen ging die Rechnung endgültig auf: Dritter, Zwölfter, Zweiter, Erster. Konstanz auf hohem Niveau nennt sich das. Und ist doch mehr, weiß Werner Schuster: „Er kann mit allen Verhältnis­sen und allen Schanzen umgehen. Das ist eigentlich das erst Mal in seiner Karriere und eine wichtige Basis.“

Auch für die Eroberung der neuen Oberstdorf­er Anlage? Seine Bestmarke wollte Andreas Wellinger am Wochenende toppen: 218 Meter, geflogen am Kulm. 209, 199 und 219 Meter wurden es am Freitag: „Leider nur ein Meter mehr, aber kleine Brötchen backen“, sagte er.

Doch noch zwei Tage Zeit ...

„Die ersten zwei Trainingss­prünge war ich noch bissl Passagier, jetzt war ich schon eher Pilot im Flug." Andreas Wellinger nach seinem Qualifikat­ionsversuc­h auf 219 Meter.

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FOTO: DPA Andreas Wellinger, hier rechts mit seinem Teamkolleg­en Markus Eisenbichl­er nach seinem Sieg beim Weltcup in Willingen, hat sich entwickelt.

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