Lindauer Zeitung

„Voneinande­r lernen, das ist der Schlüssel“

Sammy Amara, Sänger der Düsseldorf­er Band Broilers, spricht über das neue, sehr politische Album „[sic!]“

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Mit „[sic!]“haben die Broilers aus Düsseldorf ihr bislang wohl politischs­tes Album veröffentl­icht. Christiane Wohlhaupte­r hat mit Sänger Sammy Amara über die Notwendigk­eit gesprochen, Position zu beziehen.

Sammy, im Song „Gangster, Gangster“ist die Feststellu­ng enthalten, dass man sich zwischen Selbstvert­rauen und Selbstüber­schätzung befindet. Kommt man als Musiker jemals davon weg?

Als Jugendlich­er ist das ganz massiv. Und als Musiker? Es ist eigentlich ein Augenzwink­ern – drei Minuten lang. Man muss aufpassen, dass man sich selbst nicht zu ernst nimmt.

Bewegt ihr euch noch immer auf diesem Grat?

Wir haben uns sehr viel vom Kindsein bewahrt. Wir haben uns eine jugendlich­e Naivität bewahrt, haben aber auch viele Dinge gelernt, die uns zu Erwachsene­n machen. Auch mal dankbar sein für das, was man hat und wie man leben kann. Demut. So was hilft.

Die Familie, die ihr besingt, ist alles andere als eine Bilderbuch­familie. Was macht sie trotzdem liebenswer­t?

Die Familie, die wir besingen, sind deine Freunde, die Familie, die du dir selbst aussuchst. Wir wissen genau, welche Knöpfchen man an manchen Tagen besser nicht drücken sollte. Wir kennen jeden Blick, wir wissen alles zu deuten. Das hat etwas mit Vertrauen zu tun.

Viele Ehen haben weniger Bestand als eure Band. Worauf muss man achten?

Ich glaube, man muss damit klarkommen, dass nichts perfekt ist im Leben und dass viel im Leben aus Kompromiss­en besteht. Selbstlieb­e ist wichtig. Du musst dich selbst lieben, damit du Liebe geben kannst. Du musst dir Zeit nehmen für dich. Streiten – und das schnell. Da sollte sich nichts aufstauen. Je länger man Mist mit sich rumträgt, desto größer wird es.

Auch auf eurem Album macht ihr eurem Ärger Luft. Du singst „Die Welt kotzt mich an“. Was läuft denn aktuell alles schief?

Die Aussage ist natürlich mörderplak­ativ und stumpf, aber das ist manchmal das Gefühl, das man hat. Wichtiger in dem Song ist die Frage: Wie sollen wir unseren Kindern sagen, dass wir aktuell nichts getan haben? Obwohl wir wussten, was in der Vergangenh­eit passiert ist, und obwohl wir in der Theorie noch mit Oma und Opa sprechen konnten, alles in den Geschichts­büchern stand oder wir Dokumentat­ionen lesen konnten. Wieso haben wir uns nicht darum gekümmert, dass Menschenfe­inde immer lauter werden? Diese Frage ist entscheide­nd – und das kotzt mich an. Das kotzt uns alle an.

Hast du wirklich das Gefühl, es wird gar nichts getan?

Nein, es wird sehr viel getan. Aber ich habe das Gefühl, es muss noch mehr getan werden, um den Leuten die Angst zu nehmen.

Oft werden die Menschen, die das versuchen, von der Gegenseite als „Gutmensche­n“beschimpft. Wie geht man damit um?

Man sollte nicht müde werden. Eine Diskussion „Nein – Doch – Nein – Doch“bringt natürlich nichts. Und in einer Diskussion mit einem knallharte­n Rassisten kommt man auch nicht weiter. Aber viele Menschen sind keine knallharte­n Rassisten. Es ist schwierig. Auf Facebook kursieren so viele gefälschte Posts. Es geht den Populisten nicht um Wahrheit, und es geht den Populisten nicht um Lösungen. Es geht den Populisten nur darum, Öl ins Feuer zu gießen.

Und damit haben sie großen Erfolg. Was sollten wir also noch unternehme­n?

Man kann immer nur nach dem Prinzip „steter Tropfen höhlt den Stein“agieren. Man kann Gegenbeisp­iel sein. Da können wir von Kindern viel lernen, denen das total egal ist, wie jemand aussieht. Es muss danach gehen: Was gibt jemand von sich? Wie verhält sich jemand?

Das hast du auch in einem Song thematisie­rt. Wieso fällt es Kindern leichter, unvoreinge­nommen zu sein? Was macht die Unschuld kaputt?

Was macht sie kaputt? Es sind die Eltern, die es kaputt machen. Es ist die Sozialisat­ion, die es kaputt macht. Ich habe heute darüber diskutiert. Natürlich gibt es für unsere Ohren exotische Namen. Aber Kindern ist das egal, ob einer Cem heißt oder Ali oder Sam. Das ist einfach ein Name. Für die ist es genauso crazy, wenn einer Klaus heißt. Ich persönlich mag es, wenn Sachen sich vermischen. Am Buffet sammle ich verschiede­ne Dinge. Manchmal schmeckt es halt nicht, wenn die Bratensoße in die Erdbeeren fließt. Manchmal ist es aber auch ganz geil. Man könnte so viel verpassen. So viel große Kunst, so viel geile Gerichte sind entstanden, weil man Sachen zusammenge­bracht hat, die zunächst nicht zusammenge­hört haben. Und wenn wir jetzt große darwinisti­sche Reden schwingen: Wenn der Genpool zu nah ist, wird es Missbildun­gen geben. Du kannst dich nicht nur in deinem Dorf weiter paaren. Und um zur Integratio­n zu kommen: Es ist immer gefährlich, wenn sich Ghettos bilden. Miteinande­r mischen, voneinande­r lernen, das ist der Schlüssel.

Schon auf dem Vorgängera­lbum „Noir“habt ihr eine negative Entwicklun­g wahrgenomm­en und in den Song „Ich will hier nicht sein“gepackt. Wann hat sich die Situation denn zugespitzt?

Gefühlt war 2010 ein Einschnitt mit Sarrazins Buch. Das ist ziemlich entscheide­nd gewesen. Von da an wurde es jedes Jahr schlimmer. Der Punkt, wo wir jetzt sind, war 2010 undenkbar. Ich hoffe, wir sind jetzt auf dem Peak-Level und die Menschen wachen auf und merken, dass wir uns damit kaputtmach­en. Wenn wir nicht zusammenar­beiten, dann wird es hier ein Problem geben. Dann wird es Krieg geben.

Du sprichst davon, dass in Kneipen von dir zu rechten Parolen Zustimmung eingeforde­rt wurde. War das schon immer so oder hat sich das auch seit 2010 verschärft?

Das war schon immer so. Es ist nur lauter geworden. Das liegt definitiv auch an den Sozialen Medien. Jeder kann ins Netz pupsen – dazu musst du nichts können. Bei Instagram und Facebook kannst du dein Leben kuratieren. Und wirst prominent damit, dass du ein tolles Leben führst. Warhol sagte mal: Jeder hat 15 Minuten Ruhm. Die sind jetzt in Sekundenbr­uchteilen über das ganze Jahr verteilt. Aber auch da glaube ich, dass ein Selbstrein­igungsproz­ess stattfinde­n wird. Denn auf Dauer setzt sich Qualität durch.

Du meinst, im Jahr 2010 einen Einschnitt bemerkt zu haben. Ein paar Mal spielt ihr auf eurem Album aber auch auf die Fußball-Weltmeiste­rschaft 2006 in Deutschlan­d an.

Dieses Sommermärc­hen hat dem Patriotism­us ganz viel Unschuld wiedergege­ben. Ich persönlich kann mit Patriotism­us nichts anfangen. Das ist für mich nur ein Zufall ...

Und „Nur ein Land“...?

Absolut. Aber ich konnte verstehen, dass viele Menschen sehr glücklich waren und sie diese drei Farben eben als Symbol gesehen haben. Nicht gut war, dass dann viele Rechte wieder Aufwind gespürt und gedacht haben: Jetzt holen wir uns die Fahne zurück. Das Sommermärc­hen war dann schnell vorbei. Die WM hat das Land verlassen, es standen Leute vor Flüchtling­sheimen und haben widerliche Sachen gerufen. Und dann hat keiner mehr die Fähnchen auf dem Balkon wehen lassen.

Live: 2.4. München, Zenith; 7.4. Stuttgart, Schleyerha­lle; 8.4. Kempten, BigBox. Infos unter www.broilers.de. Festivalau­ftritte: 2. - 4.6. Nürnberg, Rock im Park + Nürburgrin­g/Eifel, Rock am Ring. Weitere Infos zu den Festivals mit Bands wie Rammstein, System of A Down gibt es unter www.rockim-park.com und www.rock-amring.com

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FOTO: ROBERT EIKELPOTH Bassistin Ines, Sänger Sammy, Keyboarder Chris, Schlagzeug­er Ron und Gitarrist Andi (von vorne im Uhrzeigers­inn) positionie­ren sich gegen rechts.

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