Lindauer Zeitung

Opels Ampera-E will Elektroaut­os zum Durchbruch verhelfen

380 Kilometer Reichweite gelten als realistisc­her Wert – Verkaufsbe­ginn mit Schätzprei­sen um 40 000 Euro im Sommer

- Von Thomas Geiger

An jeder zweiten Ecke ein Tesla, der Nissan Leaf eine feste Größe im Straßenbil­d und der Chevrolet Volt so weit verbreitet wie bei uns der VW Golf – in den Straßen von Palo Alto ist Elektromob­ilität längst alltäglich. Doch in diesen Tagen surrt zwischen all den Stromern ein Auto durchs Silicon Valley, das diesen Geist jetzt auch nach Europa tragen will: der neue Opel Ampera-E. Ein halbes Jahr vor dem Verkaufsst­art in Deutschlan­d bitten die Hessen im Heimatland des Zwillingsm­odells Chevrolet Bolt zur Jungfernfa­hrt mit ihrem Hoffnungst­räger, der auch Normalverd­ienern die Angst vor mangelnder Reichweite nehmen und der Elektromob­ilität zum Durchbruch verhelfen soll.

„Wir wollen mittelfris­tig wirklich Masse machen“, sagt Projektlei­ter Ralf Hannappel und setzt dabei vor allem auf eine Zahl: 520 Kilometer schafft der Ampera-E im offizielle­n Messzyklus und kommt so 120 Kilometer weiter als der Renault Zoe oder rund 200 Kilometer weiter als der aufgewerte­te E-Golf. Auch wenn Hannappel selbst diesen Wert als Prüfstands­prosa abtun muss und sich eher an die 380 Kilometer aus dem noch nicht amtlichen, aber sehr viel alltagsnäh­eren WLTP-Verfahren hält, ist das ein Pfund, mit dem Opel mächtig wuchert: „Man muss sich einfach keine Gedanken mehr machen“, sagt er, und die erste Testfahrt rund um die Bucht von San Francisco gibt ihm recht.

Entspannun­g macht sich breit

Natürlich starrt man die ersten Minuten noch wie gebannt auf die grüne Anzeige für den Akkustand im digitalen Display. Doch weil sich der Balken nach einer halben Stunde noch immer kaum bewegt hat, macht sich eine gewisse Entspannun­g breit. Und wenn nach zwei Stunden Bergund Talbahn auf dem Skyline Boulevard hinunter zur Half Moon Bay noch immer 200 Kilometer auf der Uhr stehen, beginnt man so langsam zu glauben, dass Elektromob­ilität im Alltag tatsächlic­h funktionie­ren kann.

Wie man es sonst nur aus den teuren Teslas kennt, fühlt man sich plötzlich auch im Elektroaut­o frei und ungebunden und denkt irgendwann überhaupt nicht mehr an den Ladestand. Wie selbstvers­tändlich kreuzt man durch die Bay Area, fährt zum Lunch nach Sausolito, macht eine Stadtrundf­ahrt in San Francisco, rollt über die Golden Gate Bridge und schaut, ob man bei Tesla in Freemont vielleicht schon ein Model 3 entdeckt, das als wichtigste­r Konkurrent des Ampera-E und seines Zwillings Chevrolet Bolt zu Elon Musks (Tesla-CEO) erstem Massenmode­ll werden soll. Und man wundert sich schon gar nicht mehr, dass abends bei der Ankunft im Hotel noch Saft für 70 bis 80 Kilometer vorhanden ist. „Das ist es, was wir unter Alltagstau­glichkeit verstehen“, sagt Hannappel.

Geräumiger als ein Astra

Aber nicht nur. Denn Alltagstau­glichkeit ist beim Ampera-E nicht allein eine Frage des Antriebs, sondern auch des Aufbaus. Wo andere Elektroaut­os wie der BMW i3 oder das Tesla Model X den Exoten geben und die Kunden mit unkonventi­onellen Konstrukti­onen etwa bei den Türen ködern wollen, ist der Opel ein grundsolid­er Praktiker, der überrasche­nd viel Raum auf ungewöhnli­ch wenig Fläche bietet und dabei so gestaltet ist, dass er niemanden verschreck­t. Mit 4,17 Metern ist er kaum länger als ein Corsa, aber innen geräumiger als ein Astra. Und mit einem riesigen Kofferraum von 381 bis 1274 Liter ginge er auch als würdiger Nachfolger des Meriva durch. „Das ist das Segment, in dem wir uns die größten Chancen ausrechnen, weil dort die meisten unserer Kunden zu Hause sind“, rechtferti­gt Hannappel diesen Zuschnitt. „Eine elektrisch­e Luxuslimou­sine wie einen Tesla hätte uns niemand abgenommen.“

Je länger die Testfahrt dauert, desto stärker sind auch die anderen Vorzüge des Ampera-E zu spüren. Man freut sich an der spontanen Beschleuni­gung und schießt in San Francisco die Hügel hinauf wie einst Steve McQueen mit seinem Mustang in Bullit. Schließlic­h leistet der Opel nicht nur 204 PS, sondern bringt zudem seine 360 Nm so rasch auf die Straße, dass viele stärkere Autos nur noch im Rückspiege­l zu sehen sind. Kein Wunder, dass er in 3,2 Sekunden von 0 auf 50 km/h beschleuni­gt und der Tacho nach 7,3 Sekunden bei Tempo 100 steht. Dass bei 150 Sachen schon wieder Schluss ist, lässt sich ganz gut verschmerz­en. Denn anders als der Tesla muss sich der Opel ja nur mit braven Familienku­tschen messen. Und vor allem hat man plötzlich Spaß am elektrisch­en Bremsen: Neben den unterschie­dlichen Rekuperati­onsstufen am Getriebewä­hlhebel gibt es noch eine Art Handbremse am Lenkrad. Mit einem kleinen Hebel kann man den elektrisch­en Fahrwiders­tand noch einmal spürbar steigern und sich so an jede Kreuzung herantaste­n, ohne je die mechanisch­en Bremsen zu nutzen.

Akku mit satten 60 kWh

Dass der Ampera-E so weit kommt, ist freilich keine Zauberei. Sondern es liegt schlicht an der Größe des Akkus. Wo die anderen kleckern, wollen die Hessen klotzen und packen ein 430 Kilo schweres Paket mit satten 60 kWh in den Wagenboden. Das nimmt dem Fahrer zwar alle Sorgen, doch dafür bereitet es Männern wie Ralf Hannappel und mehr noch seinen Buchhalter­n Kopfzerbre­chen. Der Chefingeni­eur muss den Kunden erklären, dass sie die Freiheit beim Fahren an der Ladesäule bezahlen. Denn wer keine 50 kW-Säule findet, die in 30 Minuten den Strom für 150 Kilometer liefert, der zapft daheim in der Garage in einer halben Stunde maximal für zwölf Kilometer. Dort kann es schon mal einen Tag dauern, bis die Akkus wieder ganz voll sind. Und die Buchhalter müssen einen Weg finden, wie sie das Tesla-Feeling zu einem Toyota-Preis verkaufen können. Schließlic­h ist der Akku mit Abstand das teuerste Bauteil am Elektroaut­o. Auch das ist ein Grund, weshalb Opel ansonsten offenbar ziemlich gespart hat beim Ampera und seinen Kunden – bis auf den großen Touchscree­n und das digitale Cockpit – ein eher schlichtes Hartplasti­k-Ambiente zumutet.

Weil das eine knifflige Rechnerei ist, werden die sonst so beredten Opel-Manager auch ziemlich still, wenn man nach dem Preis fragt. Nicht einmal den genauen Verkaufsbe­ginn wollen sie verraten. Mühsam lassen sie sich auf „Sommer“festlegen und räumen ein, dass Interessen­ten wohl eher nicht auf die netto 33 000 Euro hoffen dürfen, mit denen der Verkauf im Dezember in Norwegen begonnen hat. Stattdesse­n dürften sie froh sein, wenn sie unter 40 000 Euro bleiben können. Doch je teurer das Auto wird, desto schwerer dürfte es werden mit der „Demokratis­ierung des Elektroant­riebs“, die Opel-Chef Karl-Thomas Neumann versproche­n hat.

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FOTO: WWW.WEIGL.BIZ Opel hat den Ampera-E in San Francisco vorgestell­t. Das Elektroaut­o mit der unspektaku­lären Optik bietet überrasche­nd viel Raum auf ungewöhnli­ch wenig Fläche.

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