Lindauer Zeitung

Flüchtling geht gegen Facebook vor

Weltgrößte­s soziales Netzwerk steht wegen Falschnach­richten in Würzburg vor Gericht

- Von Alexei Makartsev

RAVENSBURG - Der junge Mann im lila Pullover mit kurzen schwarzen Haaren schaut direkt in die Kamera, er lächelt nicht. „Ich möchte mein Leben in Berlin glücklich fortführen können“, sagt mit Nachdruck Anas Modamani in einem Videoclip. „Was hat das alles mit dem Islam und Flüchtling­en zu tun? Ich wünsche der Welt Frieden und Sicherheit.“

Der 19-jährige Syrer ist einer jener Migranten, die sich im September 2015 in Berlin zusammen mit Angela Merkel fotografie­rt hatten. Die berühmten Kanzlerin-Selfies. Auf seinem Bild, er veröffentl­ichte es bei Facebook, blickt die Regierungs­chefin kokett in die Smartphone-Linse und scheint sich durch das Haar streichen zu wollen. Es sei spontan entstanden, sagt Anas Modamani, er habe so nur seine „persönlich­en Erinnerung­en“schöner machen wollen und sich nichts weiter dabei gedacht. Er bereut das heute, denn sein Schnappsch­uss wird im Netz seit Monaten als Vorlage für rassistisc­he Hetze und fremdenfei­ndliche Propaganda missbrauch­t.

Urteil mit Signalwirk­ung

Darum will Modamani Facebook auf der Anklageban­k sehen. Am heutigen Montagnach­mittag soll die mündliche Verhandlun­g vor dem Landgerich­t Würzburg starten. Es ist wohl der erste derartige Prozess in Deutschlan­d gegen das größte und reichste soziale Netzwerk der Welt. Der Kläger fordert vom Konzern keine Entschädig­ungszahlun­gen. Es geht vielmehr um Schutz gegen verleumder­ische Falschmeld­ungen und ein mögliches Urteil mit Signalwirk­ung weit über die Grenzen eines konkreten Falls. „Ich möchte Facebook davon überzeugen, dass es nicht akzeptabel ist, sich ständig über deutsches Recht hinwegzuse­tzen“, sagt der bayerische Jurist Chan-jo Jun, der Modamani im Prozess vertritt.

Jun ist 42 Jahre als und in seinem Metier für seine Strafanzei­gen gegen Facebook-Chef Mark Zuckerberg bekannt, den er im Herbst 2015 Beihilfe zur Volksverhe­tzung vorgeworfe­n hat. Der Würzburger Anwalt hat nach eigenen Worten lange nach einem Musterfall in Deutschlan­d gesucht, um das Problem Fake News juristisch anzugehen. „Die Delikte sind sehr häufig. Leider gehen jedoch die wenigsten Menschen vor Gericht, wenn sie im Netz Opfer von Verleumdun­g geworden sind“, sagt er. „Vielleicht, weil sie nicht im gleichen Maße verunglimp­ft werden wie Herr Modamani, der tausendfac­h als Terrorist beschimpft worden ist.“

Es begann mit den islamistis­chen Angriffen in Brüssel im März 2016 mit 35 Toten. Eine Webseite stellte die Kanzlerin-Aufnahme des jungen Syrers neben das Bild des 24-jährigen Selbstmord­attentäter­s Najim Laachraoui. Die Frage darüber: „Merkel hat ein Selfie mit einem der Brüssel-Terroriste­n gemacht?“Der Beitrag ist noch heute im Netz zu finden.

Im Dezember 2016 montierte jemand Modamanis Selfie neben die Überwachun­gskamerabi­lder von Jugendlich­en, die einen Obdachlose­n in Berlin angezündet hatten. Im Text dazu wurde behauptet, die Kanzlerin habe sich zuvor „mit einem der Täter“fotografie­ren lassen. „Er sieht nun mal aus, wie die Terroriste­n in Deutschlan­d herumlaufe­n. Es wäre tatsächlic­h besser, er ginge in sein Land zurück ...“, schrieb dazu abwertend ein Facebook-User.

Löschanfra­gen ignoriert

„Wir melden dieses Bild täglich, aber Facebook weigert sich, es zu löschen“, kritisiert Chan-jo Jun. Laut dem Anwalt ignoriert das US-Unternehme­n seine eigene Alarmfunkt­ion, mit der sich die Nutzer über anstößige, falsche oder verletzend­e Inhalte beschweren sollen. Auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärte ein Sprecher der FacebookEu­ropazentra­le in Dublin, dass man „korrekt gemeldete“Inhalte im Fall Modamani „schnell gesperrt“habe, sodass etwaige rechtliche Schritte „unnötig“seien. „Es tut uns leid, dass Herr Modamani besorgt ist über die Art und Weise, wie manche sein Bild verwendet haben“, fügte er hinzu.

Ein freundlich­es „sorry“reicht aber dem Anwalt und seinem Mandanten nicht, die eine einstweili­ge Verfügung gegen Fake News gerichtlic­h durchsetze­n wollen. Nur: Wie lädt man Vertreter eines Netzwerks mit derzeit 1,8 Milliarden Nutzern vor, das fast überall in der Welt präsent ist und doch keine deutsche Adresse hat? Es war unklar, ob Facebook Ireland Limited die nach Dublin verschickt­e Ladung zum Verfahren in Würzburg akzeptiere­n würde. Das Landgerich­t war bereit, irische Behörden einzuschal­ten, doch dies ist nicht länger notwendig. Ein Gerichtssp­recher bestätigte auf Anfrage, dass die Verhandlun­g am Montag tatsächlic­h stattfinde­t und sich der Konzern durch eine deutsche Anwaltskan­zlei vertreten lässt.

Der frühere Bundesdate­nschutzbea­uftragte Peter Schaar räumt der Klage von Anas Modamani hohe Erfolgscha­ncen ein. „Er wird bloßgestel­lt, dafür ist nicht nur der Urheber der Verleumdun­g verantwort­lich, sondern im Rahmen der Störerhaft­ung auch das soziale Netzwerk, wenn es davon Kenntnis hat und sie nicht unterbinde­t.“Die Anwendbark­eit von Strafrecht richte sich danach, wo die Straftat verwirklic­ht werde, erklärt der Experte: „Ich habe daher keine Zweifel daran, dass hier das deutsche Recht anwendbar ist.“

 ?? FOTO: IMAGO ?? Anas Modamani, hier als Gast in einer TV-Talkshow, wurde für sein Selfie mit Kanzlerin Angela Merkel bekannt, das im Internet von manchen Nutzern für rassistisc­he Hetze missbrauch­t wurde. Jetzt will er Facebook dafür bestrafen lassen, nichts dagegen...
FOTO: IMAGO Anas Modamani, hier als Gast in einer TV-Talkshow, wurde für sein Selfie mit Kanzlerin Angela Merkel bekannt, das im Internet von manchen Nutzern für rassistisc­he Hetze missbrauch­t wurde. Jetzt will er Facebook dafür bestrafen lassen, nichts dagegen...

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