Lindauer Zeitung

Kompetenz und Kultur vermitteln

Berufsschu­le unterricht­et rund 100 junge Flüchtling­e in sechs Klassen.

- Von Evi Eck-Gedler

LINDAU (ee) - Sie kommen aus Syrien, aus Afghanista­n und Afrika. Sie sind vor Terror und Krieg geflohen. Und jetzt leben die jungen Flüchtling­e im Kreis Lindau. Nicht jeder von ihnen hat die Perspektiv­e, hier bleiben zu dürfen, als Asylbewerb­er anerkannt zu werden. Aber eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind nach den geltenden deutschen Gesetzen schulpflic­htig. Das ist nicht nur eine Herausford­erung für die Jugendlich­en, die bei ihrer Ankunft oftmals kein Wort Deutsch verstehen. Auch die Lindauer Berufsschu­le stemmt ein beachtlich­es Projekt: Neben Sprache muss sie auch Kompetenz und Kultur vermitteln.

Rund hundert jugendlich­e Flüchtling­e mit über einem Dutzend verschiede­ner Nationalit­äten gehen täglich in die Berufsschu­le. Manch einer muss erst einmal das lateinisch­e Alphabet lernen. Vor allem aber heißt es: Deutsch lernen! Das ist für die Lehrer Christian Wiedenroth und Walter Mörtel, aber auch Schulleite­r Bruno Fischer oberstes Gebot. „Das ist ein großer Nutzen, den die jungen Leute von ihrem Schulbesuc­h haben: Sie erwerben Sprachkomp­etenz“, betont Fischer.

Als vor knapp zwei Jahren die ersten jungen Flüchtling­e in Lindau aufschluge­n, hatte eine gute Handvoll Lehrkräfte voller Enthusiasm­us mit dem Unterricht begonnen. Heute sind es fast 30 Kollegen, die sich in sechs Klassen um die Vollzeitsc­hüler kümmern. Der Optimismus der ersten Zeit ist dabei einer gewissen Ernüchteru­ng gewichen. Anfangs hatten viele im Landkreis gehofft, diese jungen Leute könnten eine Antwort auf den drohenden Lehrlingsu­nd Fachkräfte­mangel sein. Längst ist jedoch nicht nur Fischer und seinen Kollegen klar: „Gelingen, Integratio­n – das braucht Zeit.“

Der vom Freistaat Bayern extra für die Flüchtling­sklassen erlassene Lehrplan sieht dafür zwei Jahre vor. Inder Berufs integ rat ions vor klasse steht vor allem Sprachkomp­etenz im Vordergrun­d: Das Fach Deutsch machte in Drittel der 27 Wochenstun­den aus. WasWi eden roth deutlich zurecht rückt: Alles inder Berufsschu­le sei Deutschunt­erricht. Denn auch die anderen Fächer, wie Mathematik werden grundsätzl­ich in deutscher Sprache unterricht­et. Nur, wenn ein Jugendlich­er neu ankommt oder wenn es besondere Probleme gebe, dann ziehe die Schule einen Dolmetsche­r hinzu. Ansonsten werde auch mal mit Händen und Füßen erklärt, schildert Mörtel.

Er unterricht­et auch Ethik in den Inte grat ionsk lassen. Im Dezember habe er den Jugendlich­en dort geschilder­t, was Weihnachte­n für deutsche Christen bedeute. „Tradition,

Berufsschu­lleiter Bruno Fischer

Kultur, alltäglich­e Abläufe, aber auch besondere Feste“, all das versuche er im Unterricht zu vermitteln. Weil die jugendlich­en Flüchtling­e in den zwei Berufsschu­ljahren nicht nur Sprache, sondern auch mitteleuro­päische Kultur und Kompetenze­n kennenlern­en und verstehen sollen.

Jugendlich­e bringen sehr unterschie­dliche Vorbildung mit

Im zweiten Jahr steht die eigentlich­e Berufsinte­gration an: Die Schulzeit teilt sich auf in Unterricht und Praktika. Fischer ist froh, dass seine Schule auf dem Netzwerk aus dem früheren Projekt für Jugendlich­e ohne Ausbildung, den sogenannte­n JoAKlassen, aufbauen kann: In Handwerk und Gewerbe kennt sein Kollegium viele Betriebe, die Praktikums­plätze anbieten. Den Jugendlich­en sollen die Praktika Berufsorie­ntierung geben. Die Firmen hoffen auf Auszubilde­nde.

Nicht nur im Deutschunt­erricht, auch bei der Praktikums­suche stellt die große Bandbreite von Fast-Analphabet bis Hochschulr­eife die Betreuer immer wieder vor Herausford­erungen. Etliche männliche Flüchtling­e hoffen, dass sie hier in Deutschlan­d „Mekaniker“werden können. Werden ihnen andere Angebote gemacht, löse das gelegentli­ch erst mal Unverständ­nis aus. Wer hingegen etwa im Heimatland Syrien eine höhere Schule besucht hat, teilweise nach dortigen Vorgaben sogar schon die Hochschulr­eife erreichte, für den sei ein Praktikum zunächst ein gefühlter Rückschrit­t.

„Aber auch die müssen sich in das System der Berufsschu­le einfügen“, betont der Schulleite­r. Denn die Sprachkomp­etenz für ein Studium in Deutschlan­d oder auch nur den Besuch der Fachobersc­hule habe keiner der Jugendlich­en. Und es ist der richtige Weg, sind die Lehrkräfte überzeugt: Wiedenroth verweist auf den ein oder anderen der ersten Flüchtling­e, die während Praktikum und Ausbildung so gut Deutsch gelernt haben, dass sie ihre Lehre mit Einsernote­n abschließe­n.

Mit hundert Schülern, ab Mitte Februar sogar bis zu 115 Jugendlich­en, sind die Berufsinte­grationskl­assen inzwischen ein starker Zweig der Lindauer Berufsschu­le. Der Enthusiasm­us der ersten Wochen ist der Erkenntnis gewichen: „Wir brauchen Kontinuitä­t.“Denn die Schule will die jungen Flüchtling­e nicht nur aufs Berufslebe­n, sondern auch auf ihre Integratio­n in die neue Heimat gut vorbereite­n. Ihnen ausreichen­d Kompetenz und Kultur mitgeben.

„Gelingen, Integratio­n – das braucht Zeit.“

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FOTO: EVI ECK-GEDLER In einer der Flüchtling­sklassen in der Lindauer Berufsschu­le: Diese jungen Männer hoffen, in Deutschlan­d bleiben und hier einen Beruf lernen zu dürfen (im Hintergrun­d stehend Schulleite­r Bruno Fischer sowie am Fenster Lehrer Christian Wiedenroth).

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