Pflegekräfte illegal angestellt, aber keine Strafe
Richter begründet Freispruch: Heimleiterin konnte nicht erkennen, dass sie das nicht tun darf
KEMPTEN/OBERALLGÄU (jan) - Die Leiter von Pflegeheimen und die Klinikgeschäftsleitung können aufatmen: Die illegale Beschäftigung von Pflegekräften hat für sie mutmaßlich keine strafrechtlichen Folgen. Nun wurde die Leiterin des Pflegeheims St. Vinzenz in Seltmans vor dem Amtsgericht Kempten von dem Vorwurf der Veruntreuung freigesprochen. Der Richter stellte zwar klar, dass es sich um Scheinselbstständigkeit handelte, als die Frau genauso wie Kollegen beispielsweise in Sonthofen oder Oy in größter Personalnot mit freiberuflichen Kräften Lücken in Dienstplänen stopfte. Sie habe aber nicht erkennen können, dass sie dies nicht tun durfte.
Seit 2009, erklärte ein Sachverständiger der Deutschen Rentenversicherung vor Gericht, gaben sehr viele Pflegekräfte ihre Festanstellung auf und arbeiteten als Freiberufler. Mehrere Frauen und Männer, die sich von Oberallgäuer Heimen zeitweise anheuern ließen, begründeten dies gestern bei Zeugenaussagen mit einer „besseren Bezahlung“und „mehr Freiheit und Freizeit“. Als dies immer größere Ausmaße annahm, reagierten die Verantwortlichen auf Bundesebene und ordneten das Zumischen von Freiberuflichen zu Festangestellten der Scheinselbstständigkeit zu. Veröffentlicht wurde die Neuregelung 2012 allerdings nur auf der Internetseite der Rentenversicherung. Der Verteidiger der Heimleiterin argumentierte, dass man von seiner Mandantin nicht erwarten konnte, dies einfach so wahrzunehmen. Zudem räumte der Sachverständige ein, dass sie bei einer Anfrage in seinem Haus oder auch bei Krankenkassen vermutlich keine verbindliche Auskunft über die Frage der Rechtmäßigkeit oder Illegalität erhalten hätte.
Kompliziert wurde die Situation nämlich dadurch, dass die Allgäuer Heime und das Klinikum die freiberuflichen Kräfte über eine privat organisierte Vermittlungsbörse erhalten hatten. Die Heimleiterin schilderte vor Gericht eindrucksvoll ihre Notlage beim Bemühen, die Senioren zu versorgen: Das Haus voll belegt, bei insgesamt 30 Angestellten fünf langfristig Erkrankte, keine einzige Vermittlung durch die Arbeitsagentur, auch sonst war niemand zu finden.
Der Staatsanwalt hatte eine Strafe in einer Höhe gefordert, bei der die Angeklagte als vorbestraft gegolten hätte. Bei einer derartigen Verurteilung dürfte kein Heimleiter mehr eine Einrichtung führen.
Die Stiftung, die das Heim St. Vinzenz betreibt, hat der Rentenversicherung Sozialabgaben in Höhe von 52 000 Euro nachgezahlt. Die reine Schadenssumme lag bei 47 000 Euro, der Rest sind Verzugszinsen. Auch das Klinikum Kempten/Oberallgäu hat bereits für die Reha-Einrichtung in Sonthofen sehr viel bezahlt.